Bastian Schweinsteiger hängt bei Chicago Fire in der Major League Soccer noch ein Jahr dran. Was danach kommt, lässt er offen – auch eine Rückkehr zum FC Bayern München.
Blutende Wunde im Gesicht, Tränen in den Augen. Kniend auf dem Rasen das Maracanã in Brasilien: Das waren das Spiel und der Tag seiner Karriere, an dem er sich endgültig in die Herzen der deutschen Fußballfans spielte – und sich selbst zum Weltmeister krönte. Der schüchterne Junge aus München war erwachsen geworden. Bastian Schweinsteiger, geboren im oberbayerischen Kolbermoor, stammt aus einer Fußballer- und Skifahrerfamilie. Mit 14 Jahren rast er mit Jugendspezi Felix Neureuther die Pisten herunter, erst dann geht die Tendenz zum Fußball. 1998 holt ihn der FC Bayern vom TSV 1860 Rosenheim nach München, Bastian zieht ins Jugendinternat. Ungeschliffen, furchtlos, ein schlampiges Talent mit „Flausen im Kopf", so der damalige Amateure-Coach Hermann Gerland, der ihn mit Süßigkeiten motivierte. „Also bin ich gerannt und gerannt", sagte er.
Als es Schweinsteiger dank Trainer Ottmar Hitzfeld 2002 in den Profi-Kader schafft, ist es vor allem der damalige Manager Uli Hoeneß, der ihm „den Puder aus dem Hintern blasen" muss. „Der Schweini" ist mal zu lange in der Disko, fährt auch mal zu schnell, zeigt seiner „Cousine" nächtens den Whirlpool des Kabinentrakts. Die Sommermärchen-WM 2006 macht ihn zum Idol, die ihm zu Unrecht zugeschriebene Verwicklung in eine Wettaffäre wenige Monate zuvor lässt ihn gegenüber den Medien skeptischer und dünnhäutiger werden. Seine Trainer prägen ihn. Felix Magath stählt ab 2004 seine Oberaudorfer Waden. Louis van Gaal erfindet ihn 2010 neu, zieht ihn von der Außenbahn ab, befördert ihn zum Spielmacher. In der Nationalelf wird er neben Kapitän Philipp Lahm zum Mittelfeld-Motor und emotionalen Anführer. „Schweini" war einmal, er mag den Kosenamen nicht mehr, besteht in Interviews auf „Schweinsteiger". Unter Jupp Heynckes gewinnt er 2013 die Champions League, als Reaktion auf das „Finale dahoam", für Schweinsteiger ein „Drama dahoam", weil er im Elfmeterschießen einen Ball an den Pfosten setzt. 2014 die Krönung in Rio. Weltmeister. Mit Blut, Schweiß und Freudentränen. Der Höhepunkt seiner Karriere.
Im Juli 2015 der Abschied von Bayern, Förderer van Gaal lockt ihn zu Manchester United. Ein Jahr später sortiert ihn José Mourinho aus: Einzeltraining abseits der Ersten Mannschaft, die Spiele verfolgt er auf Bank oder Tribüne. „Einfach nutzlos zuzuschauen, das tat weh." Mit seiner Frau, Ana Ivanovic, der ehemaligen Weltklasse-Tennisspielerin, zieht er im März 2017 nach Chicago, das letzte Karrierekapitel. „Ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden", sagt er. Gebraucht wird Schweinsteiger aber vor allem von seiner Ehefrau und seinem kleinen Sohn Luka, der knapp ein Jahr alt ist.
Ein Kapitel schließt sich
Luka wird nun auch weiterhin in Chicago aufwachsen. Im November vergangenen Jahres verlängerte Schweinsteiger seinen Vertrag um ein weiteres Jahr in der „Windy City". Anfang März startete der Ex-Bayern-Profi mit dem US-amerikanischen Club in seine dritte MLS-Saison. Konkrete Pläne, wie es nach der kommenden Spielzeit weitergeht, hat der 34-Jährige scheinbar noch nicht. Die Möglichkeit nach München zurückzukehren, will er zumindest nicht ganz ausschließen. In Chicago bestritt der ehemalige Nationalspieler bis zur neuen Saison 61 Pflichtspiele, in denen er sieben Treffer erzielte und acht weitere vorbereitete. Die letzte Saison schloss Chicago Fire als Tabellenzehnter ab.
Für die gerade begonnene Spielzeit hat sich der Routinier einiges vorgenommen. „Wir hoffen, dass wir in dieser Saison die Großen schlagen können. Wir haben eine ähnliche Einstellung wie Atlético Madrid: leidenschaftlich, aggressiv und unbequem", erklärte der Fußballgott im Interview mit der spanischen Sportzeitung „Marca". In Chicago stehe er „nicht so im Fokus der Menschen. Deshalb haben wir uns auch für die USA entschieden", wird Schweinsteiger von der „Sport-Bild" zitiert. „Dort ist es einfacher, auf der Straße spazieren zu gehen."
Pläne für seine Zeit nach der aktiven Laufbahn stellt der Weltmeister derzeit hintenan. „Im Moment sehe ich mich immer noch als Fußballer auf dem Rasen", gab der Rechtsfuß kürzlich zu Protokoll. Eine Rückkehr nach München nach seinem Karriereende schloss Schweinsteiger nicht aus. „Alles ist möglich", so der 34-Jährige. „Ich weiß nicht, was in Zukunft passieren wird." Eine Trainer-Karriere strebt der Mittelfeldspieler offenbar nicht an: „Ich sehe mich nicht in dieser Rolle. Trainer werden überall entlassen, egal, wie groß ihr Name ist. Aber man weiß nie, was die Zukunft bringen wird."
Was die Zukunft definitiv bringen wird, ist aber das Ende dieser außergewöhnlichen Karriere. Nachdem nun Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels auch aus dem Kader der Nationalmannschaft ausgeschlossen wurden, schließt sich auch auf dieser Ebene das Kapitel Rio fast endgültig. Das ist im Fußball aber schon immer so. Alte, verdiente Spieler machen Platz, und neue Akteure kommen nach. Der Status, den sich Bastian Schweinsteiger jedoch erarbeitet hat, ist ein anderer. Er ist nicht nur Weltmeister, sondern auch der Begleiter vieler Fans und das Gesicht einer ganzen Generation. Schweinsteiger ist oft gefallen – im Halbfinale der Heim-WM, im Halbfinale 2010 oder beim Finale in der heimischen Allianz Arena. Und jeder hat damals mit ihm mitgelitten.
Genauso hat sich aber auch jeder gefreut, als er gemacht hat, was er am besten konnte. Nicht liegen bleiben, sondern aufzustehen: der Champions-League-Titel 2013, die WM 2014. Aus Niederlagen die richtigen Schlüsse ziehen und stärker zurückkommen.
Damit hat er nicht nur den deutschen Fußball geprägt, sondern auch viele, die seine Karriere vom Lausbuben zu Herr Schweinsteiger mitgemacht haben. Die Karriere hat zwar ein Enddatum, die Geschichten des Kämpfers aber werden für immer bleiben.