Katar hat drei Jahre vor der schon lange kritisierten Fußball-WM 2022 in seinem Land erstmals auch sportlich aufhorchen lassen. Durch den sensationellen Titelgewinn bei der Asienmeisterschaft hat sich das kleine Emirat auf der Fußball-Landkarte zu einer durchaus ernst zu nehmenden Größe gewandelt.
Das erste Märchen aus Tausend und einer Nacht ist für Katar schon lange vor der Eröffnung der Fußball-WM 2022 im eigenen Land wahr geworden. Durch den Titeltriumph bei der Asienmeisterschaft jüngst in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) streifte das Team aus dem kleinen Golfstaat für sämtliche Experten sensationell sein Image eines unterdurchschnittlichen Retorten-Teams mit einem Schlag ab und bewies nicht nur für Außenstehende urplötzlich international immerhin achtbares Niveau.
Die Fachwelt rieb sich noch irritiert den Wüstensand aus den Augen, da erklärte Katars Nationaltrainer Felix Sanchez die fußballerische Fata Morgana mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit. „Für uns sind unsere Leistungen und auch der Erfolg keine Überraschung. Wir haben dafür jahrelang gearbeitet und sind vor allem auch als Gemeinschaft gewachsen", sagte der Spanier und fügte hinzu: „Das war nur ein weiterer Schritt in unserer Entwicklung, damit wir Katar bei der WM 2022 würdig vertreten können."
Dieses Ziel erscheint seit dem Erfolg so realistisch wie niemals zuvor. Schließlich marschierte Katar – vier Jahre nach seinem noch desillusionierenden Vorrunden-Aus beim vorherigen Asian Cup in Australien ohne einen einzigen Punkt und mit nur zwei Toren – in beeindruckender Manier zum Titel. Sieben Siege in sieben Spielen mit 19:1 Treffern lautete die Abschlussbilanz, und dabei setzte sich Sanchez’ Mannschaft keineswegs nur gegen Laufkundschaft durch. Im Gegenteil: Gleich drei WM-Teilnehmer – Saudi-Arabien in der Vorrunde, Deutschlands WM-Vorrundenschreck Südkorea im Viertelfinale und Japan im Endspiel – konnten Katars Aufstieg zur neuen Nummer eins auf dem Kontinent nicht verhindern. Dabei mussten sich die Katarer in den VAE aufgrund der politischen Spannungen in der Golf-Region ohne Unterstützung von Fans aus dem eigenen Land gegen eine wahrhaftige Mauer der Feindseligkeit behaupten.
Katars Aufstieg zu einer Fußballmacht in Asien ist der Szene natürlich wegen des massiven Einsatzes von mehreren Milliarden von Petro-Dollars ausgesprochen suspekt. Mit dem schier grenzenlosen Vermögen des Emirs von Katar und ausländischem Know-how treiben die Scheichs seit 2004 und mit nochmals verstärkten Investitionen seit dem Zuschlag für die Ausrichtung des WM-Turniers 2022 das Projekt „Champions made in Qatar" energisch voran.
Sport als politische Lebensversicherung
Herzstück aller Anstrengungen ist die – nicht zuletzt durch die umstrittenen Trainingslager des Deutschen Meisters Bayern München – inzwischen bekannte Aspire Academy. In das auch an internationalen Maßstäben gemessen hochmoderne Sport- und Nachwuchsleistungszentrum in der Hauptstadt Doha luden die Katarer nach intensiver Beobachtung von Hunderttausenden Jugendlichen auf drei Kontinenten über Jahre vielversprechende Talente zur weiteren Ausbildung ein. Die Besten erhalten seit 2012 beim belgischen Club KAS Eupen, ein mit Millionen-Aufwand von katarischen Investoren bis in die Erste Liga emporgestiegener Provinzclub aus dem Grenzgebiet zu Deutschland, den Feinschliff und sollen sich im Training und Spiel unter Frankreichs früherem Weltstar und Champions-League-Sieger Claude Makélélé an den europäischen Fußball gewöhnen. Schubweise schickte Katar in den vergangenen Jahren fast 20 Hoffnungsträger nach Eupen und holt die Spieler nach mehreren Monaten wieder in die Wüste zurück.
„Es ist nicht ganz einfach, mit ihnen zu arbeiten, da sie besonders in Sachen Taktik noch viel lernen müssen. Es fehlt noch eine gewisse Stabilität, aber es sind interessante Spieler", erzählte Makélélé kürzlich in einem TV-Interview. Fortschritte sind unverkennbar. Für den Asian Cup in den VAE berief Sanchez nicht weniger als gleich sieben Spieler, die in Eupen die angestrebte Entwicklung eingeschlagen haben.
Erschwert wird Katars buchstäbliches Teambuilding für die WM durch die strengen Einbürgerungsregeln des Weltverbandes Fifa. Anders als im Handball, wo Katar 2015 für die Heim-WM kurzerhand Spieler aus aller Herren Länder einbürgerte und damit bis ins Finale stürmen konnte, muss im Fußball in aller Regel ein Bezug zum Land der jeweiligen Nationalmannschaft vorhanden sein. Immerhin wurden aus Katars Siegerteam in den VAE nur vier Spieler nicht in dem Emirat geboren, doch zugleich haben etliche Spieler aus Sanchez’ Kader durch Vorfahren Wurzeln in anderen Ländern.
Für den Sommer planen die Katarer den nächsten Entwicklungsschritt. Bei der Südamerikameisterschaft „Copa America" in Brasilien sollen Sanchez’ Schützlinge als Wildcard-Teilnehmer Anschauungsunterricht bei Stars wie Neymar, Lionel Messi oder auch Bayern Münchens Star James nehmen.
Katars gesamtes Sport-Engagement, das bis 2022 mittels eines speziellen Investitionsprogramms ein Volumen von 20 Milliarden Dollar erreichen soll, zielt allerdings nicht nur auf Ruhm und Ehre durch Erfolge. Vielmehr sehen der Emir und seine Regierung den Sport auch als eine Art politische Lebensversicherung. Umgeben von feindlich gesinnten Nachbarn wie Saudi-Arabien, Bahrain, Ägypten oder auch die VAE fürchten die Katarer erst recht seit der von den Saudis 2017 eingeleiteten Blockade nichts mehr als einen militärischen Überfall wie 1990 durch den Irak auf Kuwait. Die durch den Sport ausgebauten Beziehungen zu anderen Ländern und Katars damit gesteigertes Ansehen, so das Kalkül der Scheichs in dem halb so großen Land wie Hessen, sollen potenzielle Aggressoren von einer militärischen Operation abschrecken.
Wie verhasst Katar in der Region ist, machte die Asienmeisterschaft in den VAE nur einmal mehr deutlich: Nach dem Halbfinal-Erfolg gegen die Gastgeber wurden die Katarer vom einheimischen Publikum tausendfach mit Schuhen beworfen – in der arabischen Welt das Zeichen allertiefster Verachtung.