„Internet in Gefahr!" – mit dieser Warnung protestieren derzeit fast täglich Menschen gegen eine Reform des EU-Urheberrechtes. Wird das Ende März geändert, kontrollieren zukünftig womöglich programmierte Filter, was ins Netz darf. Gibt es Chancen auf eine Last-Minute-Wende?
„Nein!", tönt es ganz klar aus Angela Merkels Mund, es folgt ein sanftes „Neinneinnein", als wollte sie einen Enkel vom Naschen abhalten, dann ein etwas überlegend-gedehntes „Neeein", schief gelegter Kopf inklusive – und noch fünf weitere Varianten der Ablehnung: Ein Zusammenschnitt aus Videoschnipseln, zusammenkopiert aus den Merkel-Aufnahmen anderer, und – zack! – hochgeladen ins Internet. Ist das Datenklau? Eine Urheberrechtsverletzung? Satire? Kunst? Kurz: Darf man das – und wird man es weiter dürfen?
Dass so etwas bald nicht mehr geht, unter anderem davor haben Gegner des geplanten neuen Urheberrechts Angst. „Die vorgesehenen Änderungen gefährden Demokratie und Meinungsfreiheit", lautet der Vorwurf der Gegner. Sie warnen eindringlich vor dem Aus für das, was für viele das sehr wichtige Online-Leben ausmacht: Kreativität, Offenheit, Vielfalt.
Dabei sollte eigentlich alles besser werden. Als die EU-Kommission 2016 neue Regeln vorschlug, wollte sie das Urheberrecht ans digitale Zeitalter anpassen, Urheber und Rechteinhaber sollten für ihre Leistung fairer bezahlt werden. Darauf können sich auch heute noch alle einigen. Strittig ist nur der Weg.
Mitte Februar einigten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments auf einen Kompromiss der Reform. Dieser sieht in Artikel 13 des Urheberrechts vor, Plattformen wie Youtube beim Urheberrecht stärker in die Pflicht zu nehmen. Jeder kann dort eigene Inhalte veröffentlichen. Bislang müssen die Anbieter geschützte Werke von ihrer Seite löschen, sobald sie eine Beschwerde erhalten. Laut neuen Regeln müssten die Betreiber sicherstellen, dass urheberrechtlich geschützte Werke erst gar nicht unerlaubt auf ihrer Seite landen. EU-Kommissionsvizepräsident Andrus Ansip lobte die Pläne: Die Reform mache das Urheberrecht nicht nur fit für das Internetzeitalter, es stärke auch die Rechte normaler Nutzer. „Sie können ohne Furcht vor Strafe hochladen", sagte Ansip. Denn nicht die Nutzer, sondern die Plattformen müssten auf die Einhaltung von Urheberrechten achten.
Künftig Satire, Zitate und Kunst verboten?
Wie soll diese Überprüfung funktionieren? Nach Ansicht von Kritikern geht das nur durch sogenannte Upload-Filter, also durch Programme, die jedes Werk automatisch mit einer Datenbank zu den Urheberrechten abgleichen. Und da liegt das Problem. Denn solche Filter können nicht denken, sie prüfen stur nach Schema F. Was aber, wenn jemand ein Stück aus einem Werk zitiert? Es sei zu befürchten, dass auch legale Zitate, etwa aus Nachrichten, in Beiträgen von Internetnutzern aussortiert werden könnten, sagt Volker Grassmuck vom Verein Digitale Gesellschaft. „Dann muss man Beschwerde einlegen oder am Ende sogar klagen." Andere warnen auch vor der Gefahr für Whistleblower, die fremde Daten veröffentlichen, um einen Missstand publik zu machen. Insgesamt befürchten die Gegner der Reform Zensur. Der Chaos Computer Club etwa sieht das „freie bunte Internet" in Gefahr. Die Filter seien fehleranfällig, sie könnten nicht zwischen erlaubter Satire, Parodie oder Zitat und tatsächlichen Urheberrechtsverstößen unterscheiden, warnen die Kritiker. Letztlich sei die Meinungsfreiheit bedroht.
Dazu kommt, dass die kleinen Plattformbetreiber gerade gegenüber den US-Giganten weiter ins Hintertreffen gerieten, ergänzt Markus Beckedahl von netzpolitik.org. Denn Kleine können sich einen eigenen Upload-Filter nicht leisten – sie müssten sich einen der schon existierenden von den Großen lizenzieren lassen.
Der Widerstand ist enorm. Youtuber LeFloid fordert von seinen mehr als drei Millionen Followern: „Stoppt Artikel 13!" Knapp fünf Millionen Gegner haben eine Online-Petition unterzeichnet. Waren die ersten, von Tausenden besuchten Demos, noch angekündigt und organisiert, folgen inzwischen fast täglich spontane Proteste – quer durch die Republik und immer wieder. Gute Aussichten für die Organisatoren der europaweiten Proteste am 23. März, kurz vor der Abstimmung im EU-Parlament.
Julia Reda von den Piraten führt den Widerstand im EU-Parlament an. „Getragen wird der Protest von der Generation, die diese Plattformen aktiv nutzt und im Internet nicht nur konsumiert", sagt sie. Verschiedene EU-Abgeordnete werden demensprechend mit Mails zum Thema bombadiert – der Grüne Sven Giegold beispielsweise ebenso wie die SPD-Europaabgeordnete Martina Werner. Sie habe unzählige E-Mails zum Copyright erhalten, sagt sie.
Artikel 13 der Reform sei im anlaufenden Wahlkampf das ganz große Thema für Leute unter 30. „Ich habe noch nie gesehen, dass sich junge Leute so engagieren", sagte die Energieexpertin. Auch andere scheinen das zu spüren: So machte in der ersten Märzwoche das Gerücht die Runde, die Abstimmung könne auf Mitte des Monats vorgezogen werden, um die anschwellende Protest-Welle zu unterlaufen – was eben diese Welle natürlich weiter anheizte. Der Abstimmungstermin Ende März bleibt, sagt ein Parlamentssprecher.
Artikel 13 spaltet die deutsche Politik
In Deutschland ist der Konflikt aber auch in der Bundespolitik angekommen – und hat zum Konflikt innerhalb der Regierung geführt. Justizministerin Katarina Barley ist eigentlich gegen Artikel 13, ebenso Digital-Staatssekretärin Dorothee Bär. Durchsetzen konnten sie sich nicht, Deutschland stimmte dem Kompromiss kürzlich zu – unter Federführung des Justizministeriums. Es gehe, erklärt Barley, im neuen Urheberrecht um bessere Vertragsbedingungen für Künstler und Kreative, um grenzüberschreitende Bildungsangebote oder rechtliche Grundlagen für die Entwicklung künstlicher Intelligenz. Das solle nicht am Artikel 13 scheitern, sonst stünde man ganz ohne neues Urheberrecht da. Deswegen stimmte Barley im Kabinett zu. Ansonsten hätte sich Deutschland im Kreis der EU-Staaten enthalten müssen – weil Italien, Polen, Luxemburg, die Niederlande und Finnland den Vorschlag ablehnen, wäre dann die nötige Mehrheit nicht zustande gekommen. Dass die Justizministerin dabei ebenso wie ihre Kollegen gegen den eigenen Koalitionsvertrag entschieden hat, störte offensichtlich nicht wirklich: Der lehnt nämlich den verpflichtenden Einsatz von Upload-Filtern als „unverhältnismäßig" ab.
CDU-Politiker Axel Voss, der den Kompromiss mit den EU-Staaten ausgehandelt hat, erwehrt sich der Kritik aus jeglicher Richtung. Er sagt, die Reform schaffe „erstmals Rechtssicherheit für private User, die Musik oder Videos ins Internet stellen". Die Plattformen müssten dafür sorgen, dass sie Lizenzen für Inhalte auf ihren Seiten haben. Mit Filtern habe das nichts zu tun.
Etliche Verbände, die nach eigenen Angaben hunderttausend Künstler, Kreative und Journalisten sowie Tausende Unternehmen in Deutschland vertreten, springen ihm zur Seite. Sie sagen: „Die Richtlinie verbessert die Bedingungen für Kreativ- und Medienschaffende und die Kulturwirtschaft in ganz Europa erheblich." Unter anderem die Gema, der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, die Gewerkschaft Verdi und der Deutsche Musikverleger-Verband fordern ein „Ja zur EU-Urheberrechtsrichtlinie".
Die Fronten scheinen verhärtet, dennoch hoffen einige noch auf Nachbesserung – so wie Juso-Chef Kevin Kühnert. Er ist gegen die Reform in ihrer jetzigen Form und pocht auf die Abmachungen im Koalitionsvertrag. „Unsinnige Vorschläge, wie beispielsweise die Upload-Filter, können bei der Abstimmung im Europaparlament noch gekippt werden." IT-Fachmann Linus Neumann vom Chaos Computer Club hält die Chancen für eine Last-Minute-Wende hingegen für gering: „Wenn eine äußerst dumme Idee entgegen aller Expertise, entgegen aller Beratung, entgegen aller Kompetenz so weit gekommen ist – dann ist es nur noch eine Frage des Glücks, wenn hier noch einmal technischer Sachverstand und demokratisches Augenmaß Einzug erhalten."