Macron will eine XXL-Version, AKK und Merkel sind für die M-Variante
Annegret Kramp-Karrenbauer positioniert sich. Auch wenn die CDU-Vorsitzende derlei Überlegungen zurückweist: Sie läuft sich warm für das nächste große Ziel, die Kanzlerschaft. AKK zeigt in der Innenpolitik zunehmend klare Kante, was selbst der Koalitionspartner SPD zu spüren bekommt.
Erstaunlich, dass die Saarländerin auch in der Außenpolitik Markierungspunkte setzt. Diese war bislang vor allem die Domäne von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wenige Tage, nachdem der französische Präsident Emmanuel Macron einen rhetorischen Feuerritt für ein XXL-Europa hingelegt hatte, trat AKK auf die Bremse und plädierte für eine EU in Medium-Format. Fulminant der Zungenschlag, mit dem Kramp-Karrenbauer Macrons Euphorie abkühlte: „Europäischer Zentralismus, europäischer Etatismus, die Vergemeinschaftung von Schulden, eine Europäisierung der Sozialsysteme und des Mindestlohns wären der falsche Weg." Härter kann man eine Abfuhr für den Franzosen kaum formulieren.
Macron hatte zuvor am ganz großen Rad gedreht. Er warb für einen EU-weiten Mindestlohn, eine gemeinsame Grenzpolizei, eine Asylagentur mit gleichen Standards sowie eine Klimabank zur Finanzierung einer schadstoffarmen Politik. Anderthalb Jahre nach seiner Sorbonne-Rede, in der er eine tiefere Integration der Eurozone gefordert hatte, macht Macron klar, wie er sich in der EU sieht: als Visionär, Schrittmacher und Antreiber.
Der Auftritt des französischen Staatschefs kommt nicht von ungefähr. Rund zehn Wochen vor den Wahlen zum EU-Parlament hat Macron mit einem Paukenschlag den Wahlkampf eröffnet. Der Präsident trägt dick auf, um die Bevölkerung zu elektrisieren und zu mobilisieren. Das trifft zunächst einmal auf die politische Heimatfront in Frankreich zu. Macrons liberale pro europäische Partei La République en Marche liefert sich derzeit in den Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem rechtsextremen Rassemblement National von Marine Le Pen.
Dennoch: Macron ist auch konzeptionell von seinem ehrgeizigen Wurf überzeugt. Er will eine EU im großen Stil, die gemeinschaftlich die Wirtschafts-, Sozial-, Finanz-, Umwelt-, Sicherheits- und Asylpolitik regelt. Er baut damit auf Frankreichs Tradition auf, in der staatliche Eingriffe sowie die zentrale Planung in Paris eine dominierende Rolle spielen. Das deckt sich nicht mit dem deutschen Nachkriegs-Föderalismus, in der die Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden fein austariert sind.
Kramp-Karrenbauer hat Macrons Europa-Enthusiasmus stark heruntergedimmt. Zum Teil mit guten Gründen und sicherlich mit Merkels Einverständnis. Brüssel kann nicht die Lösung für alles sein. So wird ein EU-weiter Mindestlohn nicht funktionieren, weil die Produktivitäts-niveaus der Volkswirtschaften in Bulgarien oder Deutschland zu unterschiedlich sind. Bei einer europäischen Asylbehörde werden die Osteuropäer ausscheren. Dagegen liegt AKK beim „lückenlosen" Schutz der EU-Außengrenzen und bei der Schaffung eines Europäischen Sicherheitsrats auf einer Linie mit Macron.
In einigen Punkten hat die CDU-Chefin den Bogen allerdings überspannt. Die Idee, dass die EU einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhält, stößt in Paris nicht auf Wohlwollen. Die Forderung, den Sitz des EU-Parlaments auf Brüssel zu konzentrieren und die Vertretung in Straßburg dicht zu machen, muss die französische Führung als Provokation empfinden.
Welches Europa wollen wir? Merkel und Kramp-Karrenbauer würden einen schweren Fehler begehen, Macron als europapolitischen Überflieger abblitzen zu lassen. Sie müssen vielmehr Brücken zum französischen Präsidenten bauen. Es geht darum, dass sich die Gemeinschaft auf ihre Kernkompetenzen besinnt und diese ausbaut. Mehr Anstrengungen für Verteidigung und Grenzschutz sind ebenso wichtig wie eine verstärkte Geheimdienst-Kooperation zum Schutz gegen Terroranschläge und Cyber-Attacken.
Zudem könnte die EU auf der internationalen Bühne mehr Gewicht bekommen, wenn sie in der Außenpolitik den Zwang zur Einstimmigkeit kippen würde zugunsten des Prinzips der qualifizierten Mehrheit. In einem hat Macron nämlich recht: Brüssel ist zu einer ziemlich lahmen Veranstaltung geworden. Die Bundesregierung muss den Schwung des Franzosen nutzen, um die Europa-Debatte in die richtige Richtung zu lenken.