Vier neue Sterne des Guide Michelin wurden unlängst an den Berliner Himmel gehängt. „Die Neuen" überraschen, sind unterschiedlich in Herkunft und Ansätzen. 22 besternte Restaurants gibt es nun in der Hauptstadt.
Vier Berliner Restaurants haben ihren ersten Stern des Guides Michelin erhalten. Bei der Gala im Motorwerk Berlin nahmen René Frank für das „Coda", Dylan Watson-Brawn für das „Ernst", Dalad Kambhu für das „Kin Dee" und Sauli Kemppainen für das „Savu" die Auszeichnungen entgegen. Sie zeichnen sich durch sehr unterschiedliche Schwerpunkte, Anklänge an Länder- und Herkunftsküchen sowie innovative Ansätze aus.
Klar ist: Wer ins „Coda" nach Neukölln fährt, der darf einen überraschenden Umgang mit dem Konzept „Dessert" erwarten. Chef René Frank nutzt neuzeitliche Patisserie-Techniken, die sich weit von der klassischen „Süßigkeit" weg- und sehr nah an die verwendeten Produkte heranbewegen. Petersilienwurzeln, Auberginen und schwarzer Knoblauch finden sich in den Kreationen ebenso wie Lakritzsalz, Rhabarber oder Estragon. Nicht alle miteinander, aber immer wohldurchdacht kombiniert und akzentuiert eingesetzt. Damit das „Dessert Dining" in einem siebengängigen Menü aufgeht, gehört ein ausgefeiltes Drink-Pairing unabdingbar dazu. Es wegzulassen, wäre nur das halbe Vergnügen. Franks Idee vom „Lokal, in dem der Patissier vorn steht", ging auf. Dass „der Körper etwas anderes möchte als weißen Zucker" zum Dessert, weiß Frank aus seiner Zeit als Patisserie-Oberhaupt im dreifach besternten Osnabrücker „La Vie". Mit dem „Coda" wurde eine echte Rarität ausgezeichnet: Dessert- und Patisserie betonende Restaurants gibt es international nur sehr wenige – das „Coda" erhielt als Erstes einen Stern.
Mit Dalad Kambhu, der Küchenchefin vom Schöneberger „Kin Dee", wurde dagegen dem innovativen Umgang mit traditioneller Länderküche und Regionalität Tribut gezollt. Die Thailänderin mit internationaler Vita empfindet die Aromen ihrer Heimat mit hiesigen Produkten und selbst angesetzten Würzpasten sinnvoll nach: lieber brandenburgische Kohlrabi anstelle von nicht aromatischen, über viele Tausende Kilometer eingeflogenen Papaya. Es kommen heimische Wildschweine ebenso wie Forellen auf den Teller, ohne dass die Gerichte ihr thailändisches Flair verlieren.
„Ich wollte immer schon Küchenchefin werden. Das war mein Traum als ich in New York lebte", sagte Dalad Kambhu auf der Bühne. Damals war sie noch Model. Seit zwei Jahren nun tritt sie in der Lützowstraße den Beweis an, dass thailändische Küche jenseits von vorgemixten Gewürzpasten und rasch hingezimmerten, austauschbaren Varianten-Tellern auf einem hohen Niveau möglich ist. „It was difficult to get a foot in", resümiert Kambhu. Einen Fuß in die Tür zu bekommen und den Schritt vom Laien zum Profi zu machen. Die Inhaber der „Grill Royal"-Gruppe, die sie in New York kennenlernten, gaben ihr in Berlin die Chance dazu. Dalad Kambhu ist nun – neben Sonja Frühsammer – die erst zweite Küchenchefin mit einem Stern in Berlin. Damit liegt die Hauptstadt bundesweit immer noch an der Spitze – lediglich elf Häuser haben eine Küchenchefin mit Stern. Douce Steiner vom „Hirschen" in Sulzburg wiederum ist bei 309 Sterne-Adressen in Deutschland die einzige mit zwei Sternen ausgezeichnete Chefin.
Nur eine Frau unter Deutschlands Zwei-Sterne-Köchen
Auf der puristischen Seite ist das „Ernst" im Wedding angesiedelt. Ernst meint es der kanadische Küchenchef Dylan Watson-Brawn, der in einem Drei-Sterne-Restaurant in Tokio ausgebildet wurde, in jedem Fall mit seiner auf die Erzeuger fokussierten und produktzentrierten Küche. Die setzt auf viele, viele kleine Gänge und den engen Kontakt zum Gast. Nur zwölf Personen finden an der Theke, hinter der gekocht und angerichtet wird, Platz. Der Minimalismus wird ausufernd serviert – in mindestens 25 Gängen, je nach Tagesangebot auf den Feldern, Gärten, Weiden und in den Gewässern. Ob die Gäste bei so viel Wechsel, Erläuterung und Nahkontakt zum Küchenteam überhaupt noch zum Miteinander-Sprechen kommen?
Bei Sauli Kemppainen am Kurfürstendamm trennt dagegen lediglich eine bodentiefe Glasscheibe die Küche vom Gastraum. Im „Savu" findet gehobeltes Rentierherz mit Pastinake seinen nordischen Platz auf dem Teller so wie italienische und spanische Aromen, Zutaten und Küchentechniken. „Savu" bedeutet auf Deutsch so viel wie „räuchern". Damit erinnert der „Geschmacksfanatiker", wie Kemppainen sich selbst bezeichnet, an seine finnische Heimat. Oder, um es mit seinen Dankesworten auf der Bühne auszudrücken: „Jetzt sind nicht nur Räikkönen und Häkkinen bekannt. Jetzt ist es auch Kemppainen."
Die Attraktivität der Hauptstadt für Köche, Food-Verrückte und Ambitionierte aus allen Ländern lässt sich daran ablesen, dass drei der vier neu Ausgezeichneten von „anderswo" stammen. Kambhu und Watson-Brawn kamen unter anderem nach Berlin, um ihre Koch-Ambitionen auszuprobieren und erfolgreich umzusetzen. Kemppainen kehrte nach einem Abstecher nach Moskau und Helsinki zurück. In Berlin war er zuvor Küchenchef in dem mit einem Stern ausgezeichneten „Quadriga" im „Brandenburger Hof" gewesen.
An der Spitze in Berlin bleibt die Sterne-Verteilung wie sie war: Fünf Zwei-Sterner behielten ihre Auszeichnungen bei – vom „Facil" übers „Horváth" und „Lorenz Adlon Esszimmer" bis zum „Rutz". Der immer wieder als Anwärter auf einen – ersten – dritten Stern für die Hauptstadt gehandelte Tim Raue blieb auch in diesem Jahr bei zwei Sternen für sein gleichnamiges Restaurant. Dafür verabschiedeten sich drei Restaurants und mit ihnen fünf Sterne aus dem Ranking: das „Fischers Fritz" nach dem Ausscheiden von Christian Lohse sowie das zum Jahreswechsel geschlossene „Reinstoff" von Daniel Achilles mit jeweils zwei Sternen.
Fünf Zwei-Sterner können sich an der Spitze behaupten
Auch Markus Semmler gab seinen „Macaron" bewusst preis. Er schloss sein gleichnamiges Lokal für den Restaurantbetrieb, bringt sich vom selben Ort aus aber weiterhin mit seinem Unternehmen „Kochkunst & Ereignisse" für Caterings und Events in die Stadt ein. In welcher Güte Semmler auch in mehrhundertfacher Ausführung kocht, erlebten die Gala-Gäste vor Ort. Er ließ als Vorspeise eine ausdrucksstark herbe und von der Textur her sehr feine ungestopfte Gänseleber mit Périgord-Trüffel, Apfel und Mini-Brioche reichen. Als Zwischengang schwamm ein Kabeljau in einer Muschel-Beurre blanc mit Fenchel und einem Hauch Curry an. Das längliche Warten auf den Hauptgang verkürzte eine Graubrot-Ecke mit Schmorsud von der Rinderbacke. Das cremige Bäckchen machte anschließend unter einer Schindel aus Sellerie und Champignons einen optisch schlanken Fuß, bewies jedoch geschmacklich volle Fleischeslust.
Bei den zehn Drei-Sternern in Deutschland blieb in diesem Jahr alles gleich: keine Verluste, aber auch keine Neuzugänge in der Spitzenliga. Fünf Restaurants dagegen wurden mit einem zweiten Stern ausgezeichnet. Das „Luce d’Oro" im Schloss Elmau in Krün darf sich nun im tiefsten Süden der Republik mit einem zweiten Stern schmücken. Das „Sosein" in Heroldsberg und das „Alexander Herrmann by Tobias Bätz" in Wirsberg positionieren mit ihrem nun jeweils zweiten Stern Franken noch markanter als Genussregion. Auch das „Ox & Klee" in Köln erhielt einen zweiten Stern. Das „Purs" im ebenfalls sternenverwöhnten Andernach startete gleich nach der Eröffnung von null auf zwei durch. Ganze elf Jahre musste dagegen Alexander Herrmann auf den „lebenserweiternden, einmaligen Moment" dieser Auszeichnung warten. Küchenchef Tobias Bätz kam 2009 zu ihm. „Wir haben uns zwei Sachen vorgenommen. Erstens, eine Sterneküche zu machen, in der nicht geschrien wird, und zweitens, den Stern zu halten und weiterzukommen", sagte Herrmann. Sie kochen eine „definitiv sehr kreative Küche, die nicht provoziert, aber auch nicht langweilt". Das Erfolgsrezept der beiden? „Du musst zusehen, dass du dich Stück für Stück verbesserst", sagt Herrmann. „Aber in erster Linie musst du du selbst bleiben. Schauen, was die Welt macht, aber deinen eigenen Weg darin finden und deine eigene Art und Weise zu kochen weiterentwickeln."