Ein Set zum Gießen von Zinnfiguren: Das wünschte sich Martin Lother schon als Kind. Heute gehört der Unterfranke zu den besten Figurenmalern Westeuropas.
Es war an Weihnachten in den 70er-Jahren, als der Bub sich nichts sehnlicher wünschte als ein Anfängerset der sogenannten Zinngieß-Werkstattpackung aus dem Sortiment der Firma Nürnberger Meisterzinn. Im Quelle-Katalog hatte es der Grundschüler entdeckt und war fasziniert. 50 Mark war damals ein stolzer Preis, trotzdem lag es an Heiligabend als Weihnachtsgeschenk unter dem geschmückten Tannenbaum. „Die Gießform und -kelle, ein Ofen zum Zusammenbauen, Talkum, Zinn, eine Schlüsselfeile und fünf Farben mit Pinsel als Inhalt." Dieser ganz besondere Abend wird Martin Lother für immer im Gedächtnis bleiben.
Das elterliche Wohnzimmer bei Würzburg wurde in der gleichen Nacht noch zur Werkstatt. Lothers stolzes Erstwerk war ein preußischer Trommler aus dem Siebenjährigen Krieg. Dieser kleine Soldat weckte sein Interesse für Militärgeschichte. Und auch heute noch arbeitet der 54-Jährige täglich an seinen Figuren. Ihn reizt eigentlich nur der Prozess des Bemalens, die Dokumentation der Uniformen und die dazugehörige geschichtliche Recherche. „Wenn die Figur fertig ist, prüfe ich sie nur noch einmal, ob sie gut geworden ist. Dann wird sie verkauft oder steht in der Vitrine. Für mich ist damit der Prozess der Herstellung abgeschlossen", sagt er. Lothers Arbeiten sind begehrt. Er stellt sie auf Fachmessen aus, erzielt gute Erlöse und gewinnt neue Kunden. „Meine Stammkunden bleiben mir treu, weil sie meinen Malstil mögen und wie ich die Figuren interpretiere."
Auch macht er Auftragsarbeiten für Serien, an denen er mehrere Monate lang arbeitet. „Die Kunden fragen immer nur nach dem fertigen Objekt, doch nie nach der Dauer, da sie wissen, wie umfangreich die Bemalung ist. Sie lassen mich einfach machen", sagt er und freut sich über die Wertschätzung seiner Klienten.
Ein Muss ist der jährliche Besuch der Zinnfiguren-Fachmesse in Sèvres bei Paris Ende November. „Das ist meine Lieblingsausstellung. Sie gehört zu den ältesten Besuchermessen, und ich kann meinen Aufenthalt gut mit Weihnachts-Shopping in der französischen Hauptstadt verbringen", lacht der begeisterte Motorradfahrer.
„Meine Stammkunden mögen meinen Malstil"
Denn bereits bei seiner ersten Teilnahme an internationalen Wettbewerben, wie in Kulmbach oder Folkestone, erhielt er wichtige Preise für seine Kunstfertigkeit, hinter der noch viel mehr steckt, als nur den Pinsel in die richtige Farbe zu tauchen. Einen Teil der Erlöse investiert er in Fachbücher. „Ich lasse sie mir aus Frankreich, Belgien oder England schicken. Vor allem die Franzosen und Belgier machen noch sehr viel militärgeschichtliche Forschung, im Moment gerade zu der Schlacht von Waterloo. Das interessiert mich sehr." Trotzdem, ein Pazifist sei Lother, die heutigen Kriege interessieren ihn nicht, sondern nur die Historie des Militärs, der Kriege und der Schlachten. Mit den ersten Zinnfiguren stand auch sein Studienwunsch fest: Kunstgeschichte, dazu Soziologie und Betriebswirtschaft. Studiert hat er in Würzburg.
Beim Rundgang durch die Ausstellung zeigt er schmunzelnd auf die Flachfigur Obelix: „Auf ihn sind die Franzosen regelrecht abgefahren." Gleich daneben steht die 75 Millimeter große Vollplastik einer Piratin. Der Zeitaufwand an allen vollplastischen Figuren ist immens, da sie aus mehreren Einzelteilen bestehen. Mehrere Monate könnten die Arbeiten an einer Figur schon dauern, inklusive Trockenzeiten.
Seit früher Kindheit begleiten die Miniaturen Lothers Leben. Doch worin liegt der Reiz dieses Mediums? War es anfangs die Faszination für die handwerkliche Tätigkeit und die Bemalung, intensivierte sich neben der Perfektion der feinmotorischen Fähigkeiten im Lauf der Zeit immer mehr das Interesse für die Geschichte hinter den Figuren. Und so erweiterten neben vollplastischen auch immer mehr die anspruchsvollen Flachfiguren seinen Horizont: „Hinter jeder Miniatur, flach oder vollplastisch, aus Zinn, Resin oder Plastik, steht mindestens eine Geschichte. Mir geht es darum, diese Geschichten in kleinstem Maßstab greifbar und erlebbar zu machen", erklärt der Unterfranke. Daher legt er bei der Bemalung jeder Figur höchsten Wert auf die historische Genauigkeit und die uniformkundliche Detailtreue – sowohl beim Selbstentwerfen und Darstellen historischer, vollplastischer Figuren wie auch bei der Bemalung von Figurenbausätzen und von Flachfiguren. Sein Studium kommt ihm dabei zugute und erleichtert die Recherchetätigkeiten. Dabei kann er immer wieder auf einen breiten Wissensschatz zurückgreifen. Zuhause deutet er auf seine große Bibliothek mit den vielen Standardwerken zu Uniformen und der Reihe an Bildbänden mit historischen Abbildungen.
Schnäppchen finden in Nachlässen oder bei Liebhabern
„Es gibt in Zinn nichts, was es nicht gibt und noch viele schöne und witzige Sachen. Aus dem rein militärischen Eck hat sich die Zinnfigur schon lange verabschiedet", erklärt er. „Und manchmal bewege ich mich auch weg davon, denn auf Epochen fixiert bin ich nicht. Ich arbeite derzeit gleichzeitig an einer Steampunk-Figur, an der flachen Gruppe mit der Auffindung des Knaben Mose und an der 30-Millimeter-Darstellung des japanischen Ehepaares Matsushita und Mumeno Konosuke, den Gründern von Panasonic. Warum soll ich mich nur auf eine Epoche beschränken?"
Und er will weitermachen, weil es ihm Spaß macht. Es warten noch jede Menge unbemalte Figuren auf ihn. Er orientiert sich bei der Suche nach den ganz besonderen Werken im Internet. Dort findet er Schnäppchen in Nachlässen oder über Liebhaber-Plattformen. Sein Schaffensdrang wird dadurch nur noch angestachelt. „Das ziehe ich durch, jusqu’il faut casser la pipe", zitiert er die französischen Soldaten der Napoleonischen Epoche, was im Deutschen etwa so viel bedeutet wie ‚den Löffel abgeben’.
Und dazwischen bleibt auch noch Zeit für ein weiteres Hobby: den Plastikmodellbau.