Der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Rainer Moritz leitet das Literaturhaus in Hamburg und schreibt Bücher. Bei „erLesen!", den Literaturtagen im Saarland, stellt der Autor „Leseparadiese" vor.
Herr Prof. Dr. Moritz, ein Kapitel ihres Buches widmen Sie auf amüsante Weise den Autorenlesungen und deklarieren als „berühmt berüchtigte Frage aus dem Publikum": Warum schreiben Sie? Der Untertitel ihres Buches gibt Aufschluss, trotzdem: Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?
Ich wollte immer schon mal ein Lob über Buchhandlungen schreiben – wir wissen ja, dass es viele Buchhandlungen derzeit nicht leicht haben. Ich wollte bestimmte Merkmale von Buchhandlungen herausarbeiten: Was macht eine Buchhandlung aus? Wann ist sie gelungen, wann weniger? Es ist eine Art Liebeserklärung geworden – das sagt ja auch der Untertitel.
Sie zeigen sich skeptisch gegenüber Leseappellen, schreiben gar von „Leseglücksherolden" und „Lesepropagandisten". Was meinen Sie damit?
Wenn man als Kind nicht gerne in den Keller gegangen ist, weil da Monster sein können, dann hat man gepfiffen, um die Angst zu vertreiben. Wenn Buchhändler Probleme haben, wollen „Lesepropagandisten" mit der berühmten Formel „Lesen macht glücklich" alles schönreden. Diese Formel stimmt für mich so nicht. Wir wissen alle: Es gibt Bücher, die einen unglücklich machen. Man muss realistisch bleiben, was das Lesen angeht, aber auch sagen, was das Wunderbare am Lesen und an Buchhandlungen ist. Das versuche ich in dem Buch zu beschreiben.
Trotzdem schreiben Sie: „In Büchern werden Dinge verhandelt, die mit unserem Leben und Lebensglück zu tun haben."
Das ist ja etwas anderes. Wenn das Lebensglück in einem Roman verhandelt wird, dann weiß man ja nicht, wie es ausgeht. Viele Romane enden traurig, das ist das Faszinierende am Lesen, dass uns oft auch traurige Bücher glücklich machen. Glücklich in dem Sinne, dass sie uns weiterhelfen, dass wir die Welt anders sehen. Das ist für mich am Lesen immer schon das Wichtigste gewesen, dass wir dadurch anders auf die Welt blicken. Wir denken differenzierter, wir sehen differenzierter, wir nehmen die Welt anders wahr.
Das Buch gilt als Kulturgut. Die Ware Buch wird steuerlich begünstigt und zum festen Ladenpreis angeboten. Warum sollte das so bleiben?
Für den kleinen Buchhändler ist das ein Vorteil, weil er nicht von der Marktstärke von Thalia oder Amazon an den Rand gedrängt wird. Würde die Buchpreisbindung aufgehoben, dann würden Bücher mit geringer Auflage, die sich nicht an den Mainstream wenden, teurer.
Zwischen Buchdeckeln darf auch Unsinn verbreitet werden. Immer wieder geistert der Begriff „das gute Buch" – auch in ihrem Buch – umher. Gibt es „das gute Buch"?
Ich habe etwas gegen diese Formel. Wenn die Sommerferien beginnen, dann werden gerne Politiker befragt: Was machen Sie im Urlaub? Dann kommt gerne die Antwort: Im Urlaub lese ich ein gutes Buch. Ich weiß gar nicht genau, was ein gutes Buch ist. Politiker nennen gerne Biografien, die etwas mit Geschichte zu tun haben. Natürlich kann ein Politiker nicht irgendein Buch lesen, er muss ein „gutes Buch" lesen. Man muss genau hinschauen, dann kann man, glaube ich, schon sagen, was ein gutes oder schlechtes Buch ist.
Sie wünschen sich eine „Buchhandlung als geistigen Raum". Meine Wünsche wären befriedigt, fände ich einen Sessel und ausreichend Licht in einer Buchhandlung, als auch eine freundliche Begrüßung und die Fähigkeit, sich auf mich als Kundin einstellen zu können. Die Buchhandlungen, die ich kenne, entsprechen meinem Wunsch teilweise und sind vom „geistigen Raum" weit entfernt. Bin ich zu anspruchsvoll?
Nein, ich glaube nicht. Was sie gesagt haben, sind wichtige Argumente für eine gute Buchhandlung. Das Ambiente, das sie beschrieben haben, die Ausstrahlung gehört dazu. Auch das Geschick des Buchhändlers, der ja eine Mischung aus Sozialarbeiter und Psychologe sein muss, um auf seine zumeist anspruchsvollen Kunden eingehen zu können. Er muss spüren, wann will der Kunde gestört werden, wann will er Ratschläge annehmen. Der geistige Raum ist eine altmodische Formulierung und meint letztendlich eine Atmosphäre des Austausches, wo man sich über nichtalltägliche Dinge austauschen kann. Der geistige Raum meint auch, dass es letztendlich nicht nur um Kommerz und schnellen Umsatz geht, sondern dass eine gute Buchhandlung ein Raum des Gespräches und der Anregung ist.
Sie kennen viele Buchhandlungen weltweit und beschreiben einige in Ihrem Buch, darunter eine Buchhandlung in Maastricht, die der Guardian 2008 zur „schönsten Buchhandlung der Welt" gekürt hat. Ist es die schönste?
Die Buchhandlung in Maastricht ist in einer alten Kirche untergebracht. Wenn Sie dort hineintreten, sind Sie in einem großen Kirchenraum, gehen sogar über Grabplatten hinweg – das macht einen unvergesslichen Eindruck. Ob das nun wirklich die allerschönste ist? Ich beschreibe auch eine Buchhandlung in Porto, die weltberühmt ist – Touristen gehen dorthin, nicht um ein Buch zukaufen, sondern um die Buchhandlung zu fotografieren.
Und die „schönste Buchhandlung" in Deutschland, die Sie kennen, wo ist die?
Das kann ich ganz schwer beantworten. Ich würde vielleicht „Felix Jud" in Hamburg nennen. Das ist eine Buchhandlung, die vom Ambiente her eine Seriosität ausstrahlt. Karl Lagerfeld war dort regelmäßig Kunde. Feine kleinere Buchhandlungen, die in den Vororten sind – auch dort schafft man es, tolle Buchhandlungen auf die Beine zu stellen – sollte man nicht übersehen.