Im gänsehautverursachenden und Oscar-prämierten „Get Out"-Nachfolger „WIR" lässt der Regisseur Jordan Peele eine Familie im kalifornischen Feriendomizil mit ihren dämonischen Doppelgängern zusammenkrachen und beschert dem Zuschauer einen der packendsten Schocker der jüngeren Filmgeschichte.
Was sich spiegelt, vermag sich nicht nur nicht zu durchschauen, sondern ist „ständig außer und völlig neben sich, wenn man sein Spiegelbild mal etwas genauer betrachtet", wie es der Schriftsteller Robert Kroiß präzise auf den Punkt bringt. Bestialisch außer sich und blutig neben sich gebären sich hier die identischen Abziehbilder einer harmlosen Familie in diesem furiosen Mystery-Highlight: Schon der scheinbar harmlose Filmsong und Evergreen in den Anfangssequenzen „I Got 5 On It" („Ich habe 5 Dollar für Marihuana") des Hiphop-Duos Luniz von 1995 offenbart blanke Gewalt, wenn es dort heißt: „Wurdest fertig gemacht. Yuk wird auf dich schießen, dich plattmachen. Hier oben, im kalifornischen Okatown machen die Homies keine Spielchen." In der Tat ist es sicherlich alles andere als gruseliger Schabernack, den diese wie aus dem Nichts auftauchenden „Homies" und Housekeeper veranstalten: Adelaide Wilson (Lupita Nyong’o) und ihr Gatte Gabe (Winston Duke) hatten sich von ihrem Urlaub Entspannung und Erholung erhofft. Mit den Kids und den befreundeten Tylers (Elisabeth Moss und Tim Heidecker) will man idyllische Tage in Adelaides Ex-Heimatstädtchen Santa Cruz verbringen. Doch langersehntes Ambiente von Sonne und Sand, Wind, Wasser und Wellen währt nicht lange. Nachdem Filius Jason (Evan Alex) schon nachmittags einer bedrohlichen Gestalt begegnet, steht urplötzlich nachts eine vierköpfige, muntere Menetekel-Mischpoke draußen vor der Tür, genauer gesagt in der Einfahrt. Die unheimlichen Typen haben sich vor dem Feriendomizil bedrohlich postiert und garantieren fortan psychotische Paranoia par excellence, zumal diese ungebetenen Gäste auf dem irrsinnigen Home-Invasion-Trip und überdies mit den Wilsons identisch sind, quasi spiegelbildliche, gemeingefährliche Klone.
Geplant war eine entspannte Zeit
Fatalerweise nicht im harmonischen Sinne. Nein, diese Doppelgänger verwandeln das Haus und seine Bewohner in ein blutiges Masken- und Folterkabinett, aus dem es kein Entrinnen gibt – genial, grausam und gemeingefährlich inszeniert, mit überraschenden Wendungen und unerwartetem Ausgang. „Die werden nicht eher aufhören, bis sie uns alle getötet haben!", muss Gabe im täuschenden Antlitz des nahen Todes feststellen.
Unfassbar überraschend schlug schon Jordan Peeles klaustrophobisches, Antirassismus-Kinogleichnis „Get Out", in der ein junger Afroamerikaner von der Familie seiner Freundin gequält und ermordet werden soll, 2017 ein wie eine cineastische Außenseiterbombe. Die unterschwellige Kritik am „toleranten" weißen Bürgertum spielte bei einem Budget von knapp fünf Millionen US-Dollar weltweit runde 260 Millionen in die Kinokassen und bescherte dem Drehbuchtipper eines der begehrten güldenen Männchen bei der Oscarverleihung.
Nun taucht er noch krasser und konsequenter in ein tiefschwarzes Seelenkaleidoskop der Bestie Homo sapiens ein. Mit der desolaten Prämisse: „Was geschieht, wenn es von jedem Menschen eine zweite Identität gibt, wenn die dunkelste Seite der unkalkulierbaren Psyche zuschlägt?" Instinkte und Triebe haben seit jeher immer einen wahnsinnigen Weg am Gewissen und an der Ethik vorbeigegraben. Peele fokussiert und platziert diese ernüchternde Sozialpsychologie in ein neoveristisches Filmgenre, dem sogenannten Social Thriller und bedient sich dabei klassischer Vorbilder. Meisterliche Klassiker mit ihren kranken Horrorfilmmechanismen, die uns vor der großen Leinwand erzittern und erschaudern lassen. Das Feininstrumentarium sowie das komplexe Konvolut an Tricktechnik, Filmatmosphäre, Montage, Setting, Licht- und Sounddesign gemahnt hier beispielsweise an legendäre Momente aus „The Shining", „Das Schweigen der Lämmer", „Funny Games", „The Sixth Sense", „Schatten der Vergangenheit", „Mother!", „So finster die Nacht" oder „Coherence".
Die Fremden sind gar nicht so fremd
Kein Wunder also, dass der Kinozuschauer in eine gespenstische Sogwahrnehmung mit Herzinfarktgarantie geschleudert wird, aus der er sich schwerlich entziehen kann und die auch noch wie die raffinierten Dogmen von Sektenfilmseminaren nachhaltig im Gedächtnis kleben bleiben werden. Und Peele wäre nicht Peele, wenn er nicht schon die nächste horrible Herkulesaufgabe auf seinem Regieradar hätte: Ein rasantes Remake des Horrorfilmklassikers „Candyman"(1992) von Bernard Rose mit Tony Tood nach dem Buch von Clive Barker, in dem ein 1890 wegen einer Liaison mit einer Weißen gelynchter schwarzer Künstler als Dämon sich unheilvoll rächt. Das Original war einst schon ein schweißtreibender Horror, der wiederauferstehende Killer wird weitaus authentischer, dichotomischer und ambivalenter gestaltet werden. Denn Peele nistet sich geschickt in die Wahrnehmungspsychologie des Rezipienten ein. Und gerade das ist nicht gerade einfache „unterhaltsame" Kino- und Kopfkatastrophenkost.