Berlin soll sauberer werden, nicht nur auf den Straßen und in den Parks, sondern auch beim Müll aus den Haushalten. „Zero Waste" heißt das neue Abfall-Konzept des Senats. „Null Müll" – geht das überhaupt?
Das Leitbild des Senats klingt ehrgeizig: „Zero Waste", null Müll. Die rot-rot-grüne Berliner Regierung will Abfall deutlich reduzieren, und zwar von Anfang an, bis zum Ende der Kette. Was in Grundsätzen im Koalitionsvertrag stand, hat die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz nun konkretisiert und ein Abfallwirtschaftskonzept für die Zeit von 2020 bis 2030 erarbeitet. Die Beteiligung der Öffentlichkeit hat gerade erst begonnen.
„Das Land Berlin verfolgt mit dem Aktionsplan ‚Zero-Waste‘ das Ziel, die bestehende Abfallwirtschaft zu einer modernen und möglichst geschlossenen Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln", sagt Stefan Tidow, Staatssekretär für Umwelt und Klimaschutz. Es gehe um Abfallvermeidung, Wiederverwendung und Recycling, Priorität habe der Schutz der natürlichen Ressourcen. „Dadurch soll das Abfallaufkommen, das der energetischen Verwertung, der sonstigen Verwertung und der Beseitigung zuzuführen ist, insgesamt gesenkt werden." Also deutlich weniger Restabfall in der grauen Tonne als bislang.
Weniger verbrennen – mehr vermeiden
Aber ganz wörtlich gemeint ist „Zero Waste" dann doch nicht: Der Abfall, den die Stadt erzeugt, soll bis 2030 um 20 Prozent reduziert werden. Ein Fünftel? Das klingt dann doch deutlich weniger ehrgeizig. Mag sein – aber das täuscht: Anspruchsvoll ist es trotzdem. Das Abfallaufkommen verändert sich erfahrungsgemäß immer sehr langsam, weil es vor allem vom Alltagsverhalten der Menschen abhängt – und Menschen sind bekanntlich Gewohnheitstiere. Minus 20 Prozent, das wäre schon was.
So ist das sogenannte Restabfallaufkommen, also das, was nur noch verbrannt werden kann, in Berlin von 934.000 Tonnen im Jahr 2008 in einem Jahrzehnt auf 875.000 Tonnen gesunken. Bevor es in den 90er-Jahren mit der Mülltrennung überhaupt losging, waren es sogar mal 1,7 Millionen Tonnen. Die aktuelle Menge des Restabfalls soll nun also noch mal sinken. In einem idealen „Ökoszenario", also wenn alle Berliner jetzt in großem Stil anfangen würden, Müll zu vermeiden und zu trennen, könnten es 673.000 Tonnen werden – von „Zero" weit entfernt, aber ein Riesenschritt.
Wie will der Senat das erreichen? Bei den Antworten liegt er nicht so weit weg von dem, was andere Städte machen und was EU-Recht und Bundesgesetze ohnehin vorschreiben.
Das Erste ist: Dinge sollen gar nicht erst zu Müll werden. Sie sollen also wiederverwendet werden, so lange sie noch brauchbar sind. Was der eine nicht mehr will, kann der nächste vielleicht noch brauchen – bei Büchern und Kleidung oder weißer Ware (also Kühlschränke und Waschmaschinen) gibt es dafür seit Jahrzehnten private Strukturen, ganz ohne Staat. Bei Möbeln und Elektrogeräten funktioniert es nicht so gut, Versuche scheiterten immer wieder. Hier will der Senat unterstützen, etwa durch sogenannte Repair-Cafés, in denen Ehrenamtliche helfen, Geräte zu reparieren. Davon gibt es in Berlin immerhin 39. Es könnten mehr werden.
Eine Kampagne mit dem Namen „Re-Use" soll dazu motovieren, mehr wiederzuverwenden. Entsprechende Strukturen für die Weitergabe von Gebrauchsgegenständen sollen gestärkt werden. So hat die BSR bereits eine Online-Verschenke-Börse eingerichtet. Bestehende Systeme, etwa Sozialkaufhäuser, sollen professioneller werden und enger zusammenarbeiten. Man denkt auch an ein „Kaufhaus der Zukunft", das idealerweise über den reinen Handel mit Gebrauchtwaren hinaus andere Elemente wie Repair-Cafés, Zero-Waste-Zentren und Bildungsinitiativen beherbergt.
Eine andere Baustelle sind weggeworfene Lebensmittel. Natürlich sollte die Lebensmittelwirtschaft das Ihre dazu tun, etliches ist ja auch schon im Gange – viel kann man da auf Landesebene ohnehin nicht machen. Unterstützen geht aber: Der Senat lobt ausdrücklich Aktionen, die sich gegen das Wegwerfen von Lebensmitteln richten – mehr in Sachen „Lebensmittel" lesen Sie ab Seite 40.
Ebenso wichtig ist natürlich, in welchen Behältnissen Lebensmittel angeboten werden. Unverpackt-Läden oder Mehrweginitiativen beispielsweise gegen Coffee-to-go-Becher („Better World Cup") geben gute Beispiele, die durchaus im Fokus stehen. Was dennoch an Verpackung anfällt, soll so weit wie möglich in die Wiederverwertung. Noch immer landen viel zu viele Stoffe im Restmüll, obwohl es dafür eigene Tonnen und Abholsysteme gibt: für Glas, Papier, Metalle, Kunststoffe. Selbst beim Glas, das man sehr gut recyceln kann, hapert es noch: Immer noch landen 42 Prozent des Glases aus Berliner Haushalten im Hausmüll statt in der Glastonne – wobei das auch daran liegt, dass in den Außenbereichen der Stadt die große Glas-Tonne eben nicht um die Ecke steht und so Faulheit über Umweltbewusstsein siegt.
Auf ein besseres Recyclingverhalten dringt auch die EU – erst 2018 hat das EU-Parlament neue Recyclingziele festgelegt. Bis 2025 sollen 70 Prozent des Glases, 75 Prozent des Altpapiers und 65 Prozent der Verpackungsabfälle recycelt werden. Da muss sich Berlin ranhalten.
Müll bleibt wohl ein Stadt-Thema
Das größte Projekt des Senats aber ist die Biotonne. Ab April ist sie grundsätzlich Pflicht. Bislang wurden vergleichsweise sehr wenige Speisereste und Grünabfälle gesammelt, was teils wieder an der berühmten Faulheit liegt, teils aber auch daran, dass viel zu wenige Haushalte Biotonnen haben. So stehen immerhin in 80 Prozent der Innenstadt-Hinterhöfe die braunen Biotonnen. Ganz anders im Außenbereich mit seinen Einfamilienhäusern mit Garten: Weit unter einem Drittel sind da mit der Tonne versorgt. Das soll sich künftig auf 90 beziehungsweise 80 Prozent steigern. Die BSR rechnet mit einem Anstieg des verwertbaren Biomülls um satte 70 Prozent – statt bisher 21 Kilo Bioabfall pro Jahr und Nase möchte Berlin bis 2030 immerhin 52 Kilo sammeln (siehe auch Artikel Seite 32). Alles in allem soll so der Anteil, der im Restmüll und damit am Ende in der Müllverbrennung landet, sinken. Das ist auch deshalb nötig, weil die Müllverbrennungsanlage Ruhleben derzeit mehr verbrennt, als sie laut ihrer Genehmigung eigentlich darf.
Dass Berlin beim Thema Müll vorankommen muss, zeigt sich auch im Vergleich: Zwar schloss laut Statistischem Bundesamt Hamburg mit 267 Kilo Restmüll pro Kopf in der grauen Tonne noch ein wenig schlechter ab als Berlin (247 Kilo). Aber in anderen Bundesländern werfen die Menschen sehr viel weniger weg – etwa in Baden-Württemberg 138 Kilo, in Sachsen 151. Es gibt sogar Gemeinden, die mit ihrem Abfallaufkommen auf weniger als 100 Kilo pro Einwohner kommen. Das mag daran liegen, dass dörfliche und kleinstädtische Strukturen anders sind als großstädtische. Vielleicht ist das Abfallbewusstsein in der Großstadt auch generell weniger ausgeprägt: Mehr Singlelhaushalte, mehr Fastfood, eine Angebotsvielfalt, die zu Kauf und Wieder-Wegwerfen reizt, und ohnehin viel vermülltere Straßen – egal, wenn da noch was mit dazu kommt … „Zero Waste" ist vielleicht das Ziel. Aber der Weg ist offensichtlich noch lang.