Gewissensfrage im Supermarkt: Verpackt, unverpackt oder gar alternativ verpackt? Fakt ist: „Verpackt" schadet meist der Umwelt. Politik, Wirtschaft und Umweltschutzverbände suchen nach sinnvollen Lösungen, die Umwelt und Verbraucher glücklich machen.
Ort des Geschehens: Die Obst- und Gemüseabteilung eines beliebigen Discounters in Deutschland. Egal ob Himbeeren, Karotten oder Äpfel – all die gesunden Lebensmittel sind in Plastik verpackt. Das gleiche Bild zeigt sich auch in Bio-Supermärkten. „Wir sollten uns fragen, ob wir überhaupt so viel Verpackung brauchen", sagt Michael Jedelhauser, Referent für Kreislaufwirtschaft beim Naturschutzbund (Nabu). Ähnliche Töne kommen auch von Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Gurken in Folien eingeschweißt, Obst und Gemüse in Kunststoffschalen abgepackt und immer mehr Wurst und Käse in Verpackungen vorportioniert wird."
Anders sieht man das beim Deutschen Verpackungsinstitut (DVI). Dort weisen Vertreter neben dem einfacheren Transport von verpackten Lebensmitteln auf die Schutzfunktion hin. Obst und Gemüse seien ohne Umhüllung Feuchtigkeit, Licht, Sauerstoff und Reifegasen ausgesetzt. All diese Einflüsse könnten durch Verpackungen ferngehalten werden. „Einige Kunststoffverpackungen sind begast, so dass die Lebensmittel länger haltbar sind", erklärt Schulungsleiterin Lena Sellschopf vom DVI. „Wenn Sie die berüchtigte plastikverschweißte Gurke nehmen, werden Sie feststellen, dass sich die Haltbarkeit durch die Verpackung vervielfacht." Die amerikanische Lebensmittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) hat ausgerechnet, dass die oft verpönte und in Plastik gehüllte Gurke mehr als sechsmal länger hält als ihr unverpacktes Gegenstück. Auch Bananen halten so doppelt so lange durch, und Kartoffelchips bleiben laut FDA in verschlossener Tüte 25-mal länger genießbar als lose.
Aber eine Karotte im Plastik-Schälchen und nochmal in einer Zellophan-Tüte – gibt es keine Alternativen? Antworten sucht man unter anderem im Bundesumweltministerium. Dort drehte sich kürzlich ein runder Tisch um die Vermeidung überflüssiger Verpackungen. Vertreter großer Handelsunternehmen, Hersteller, Umwelt- und Verbraucherverbändewaren waren ebenso dabei wie Abgesandte eines Unverpackt-Ladens. „Bei dem Treffen haben Handel und Hersteller bereits erste Maßnahmen zugesagt", sagt die Bundesumweltministerin. So wollten sie zum Beispiel Kunststoff im Obst- und Gemüsebereich reduzieren, das Angebot an unverpackter Ware erweitern und mehr Mehrwegbeutel und -netze anbieten.
Handel ist bereit, Verpackungen zu reduzieren
„Der runde Tisch des Bundesumweltministeriums beruht auf Freiwilligkeit, was wir sehr kritisch sehen", merkt jedoch Nabu-Mann Michael Jedelhauser an. „Es besteht die Gefahr, dass Händler und Hersteller nur kleine öffentlichkeitswirksame Lösungen anbieten. Oftmals werden statt Plastik auch andere, alternative Materialien eingesetzt, deren Ökobilanz am Ende nicht besser ist."
Die Frage müsste also lauten: Gibt es ökologisch sinnvolle Alternativen zu herkömmlichen Kunststoffverpackungen? „Gut wiederzuverwenden sind die sogenannten Drop-In-Kunststoffe", sagt DVI-Expertin Lena Sellschopf. „Anders als erdölbasierte Kunststoffe wie zum Beispiel Polyethylen (PE) und Polyethylenterephthalat (PET) bestehen sie aus faserbasierten Stoffen wie Zucker oder Stärke." Sie seien zwar nicht kompostierbar, würden aber von den Sortieranlagen erkannt und können dann recycelt werden. Daneben gebe es bio-basierte Materialien, die beispielsweise aus Milchsäure, Algen oder aus dem Milchbestandteil Kasein bestünden. Diese seien industriell kompostierbar, zersetzen sich also, wenn sie längere Zeit erhöhten Temperaturen ausgesetzt werden. Allerdings fehle es noch an einer Eingruppierung solcher Stoffe und auch an Recyclingmöglichkeiten, gibt Lena Sellschopf zu bedenken. Ein weiteres Problem: „Die Sortieranlagen können oft nicht unterscheiden zwischen abbaubaren und normalen Kunststoffen. Damit werden die abbaubaren Materialien aussortiert und der thermischen Verwertung zugeführt, also verbrannt." Das Aus für die Kompostierung. Den Verbrauchern geht es ähnlich wie den Sortieranlagen: „Leider können sie nicht unterscheiden, ob es sich um einen abbaubaren oder normalen Kunststoff handelt. Daher wird er meist in den Gelben Sack oder den Restmüll entsorgt."
Der Nabu setzt andere Schwerpunkte und plädiert zum Beispiel für nachhaltige Mehrweglösungen bei Flaschen. „Mehrweg führt dazu, dass man Verpackungen immer wieder verwenden kann. Dadurch fällt deutlich weniger Abfall an und Ressourcen werden geschont", sagt Referent Jedelhauser. „Mehrweg-Getränkeflaschen kann man beispielsweise bis zu 50-mal im Kreis führen, bevor sie aussortiert werden müssen." Mehrweg-Lösungen mit Pfandsystem hätten großes Potenzial – auch über den Getränkebereich hinaus. Noch besser sei es, über eine Ressourcensteuer nachzudenken, bei der der Rohstoffeinsatz generell verteuert wird. „Dadurch werden Anreize geschaffen, weniger Ressourcen zu verbrauchen. Ein erster Schritt könnte eine Plastiksteuer sein, die die Produzenten praktisch dazu zwingt, nur bestimmte Materialien zu verwenden", so Jedelhauser.
Dass passiere doch schon: Die Zielvorgaben des neuen Verpackungsgesetzes wirkten schon in etwa wie eine Plastiksteuer, meint der Vorstandschef der Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt (Avu), Carl Dominik Klepper. Das neue Verpackungsgesetz ist seit Anfang 2019 in Kraft: Es sieht unter anderem vor, dass deutlich mehr Kunststoffverpackungen recycelt werden müssen: fast 60 Prozent. „Diese Vorgaben erhöhen die Entsorgungsgebühren für Kunststoffverpackungen, machen damit auch den Einsatz von neuem Material teurer", so Klepper. „Vorher war es für die Hersteller sehr günstig, zum Beispiel PET-Verpackungen auf den Markt bringen. Das geht mit dem neuen Verpackungsgesetz nicht mehr. Verpackungen müssen für ein stoffliches Recycling auseinandergenommen werden, was nur mit hohen Investitionen geht." Und das überlegt sich natürlich jeder vorher.
Verantwortung bei den Produzenten
Auch auf europäischer Ebene tut sich etwas. Im Januar ist eine neue EU-Verpackungsrichtlinie (EPR) in Kraft getreten, die die Produzenten mehr in die Verantwortung nimmt. „Mit der Öko-Anpassung der Gebühren wurde die Herstellerverantwortung erweitert", sagt Carl Dominik Klepper. Die Verpackungshersteller sind ohnehin verpflichtet, für Sammlung und Recycling zu zahlen. Die neue Verordnung baut Öko-Belohnungen ein: Recyclingfreundliche Verpackungen werden mit niedrigeren Gebühren belegt. „Es tut sich viel, das liegt am Druck der Verbraucher", ergänzt der Avu-Chef. Der Druck zeigt Wirkung: So hat etwa Coca-Cola nach jahrelanger PET-Flaschenproduktion die Glasflasche wieder zurück auf den Markt gebracht. „Weitere Maßnahmen reichen von der Verringerung von Flaschenhälsen und Deckelgrößen bis hin zu reduzierten Wandstärken."
Mehr Bewusstsein für die Reduktion von Verpackungen – und das nicht nur beim Verbraucher – wünscht sich der Nabu: „Hier ist vor allem der Handel inklusive seiner Lieferanten am Zug, um umzudenken", fordert Michael Jedelhauser. Dass letztlich alle an einem Strang ziehen müssen, davon ist auch DVI-Expertin Lena Sellschopf überzeugt. „Wir müssen uns alle an die eigene Nase fassen und uns fragen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, wie viel Bequemlichkeit wir haben wollen", sagt sie. „Wir nehmen uns kaum Zeit zum Einkaufen, wollen immer alles sofort verzehren." Unsere To-go-Gesellschaft befördere die Verpackung. Sie schließt sich der Meinung von Avu-Chef Carl Dominik Klepper an, dass da noch viel zu erreichen sei: „Die Industrie reagiert auf die Wünsche der Verbraucher."