Mit „Willkommen in Marwen" erschafft sich ein leidender Mann seine eigene Wirklichkeit. Regisseur Robert Zemeckis zeigt eine radikale Mischung, die mehr ist als die üblichen glattgebügelten Wohlfühl-Dramen aus Hollywood.
Einer der großen Hollywood-Filmemacher ist Robert Zemeckis. Blockbuster wie „Der Tod steht ihr gut" (1992), „Forrest Gump" (1994) und „Cast away" (2000) waren seine größten Hits als Regisseur, als Drehbuchautor schuf er Klassiker wie „Zurück in die Zukunft" (1985–1995). Zwar sind diese Erfolge schon eine Weile her, aber der inzwischen 68-Jährige ist weiterhin filmisch fleißig. Nun präsentiert Robert Zemeckis seinen neuen Film. „Willkommen in Marwen" beweist, das Zemeckis noch immer voller Einfallsreichtum ist. Erzählt ist das Drama in einer ungewöhnlichen Ästhetik, die auf die Besucher einen interessanten Reiz ausübt.
Die Geschichte: Nachdem der Maler Mark Hogenkamp (Steve Carell) von Hooligans verprügelt wurde, liegt er tagelang im Koma. Als er wieder erwacht, muss er das Essen, Gehen oder Schreiben wieder lernen, darüber hinaus fehlen ihm Erinnerungen an sein Leben vor dem folgenschweren Zwischenfall. Um mit seinem Trauma umzugehen, entwickelt er eine eigene Form der Therapie: Er baut in seinem Garten ein belgisches Dorf aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs als Modell nach. In diese künstliche Welt flüchtet er sich von nun an. Zudem entwirft er zahlreiche Figuren: Puppen, die auf vertrauten Menschen aus seinem Leben basieren und die das Dorf bewohnen. Mit ihnen erlebt er wilde Abenteuer.
Therapie zur Traumabewältigung
Die Handlung klingt etwas kurios – und sie ist es auch, sie hat aber einen gewissen Reiz und Unterhaltungswert. Dem Regisseur ist es gelungen, die Puppen in Marwen in einer neuen Optik ihre Szenen spielen zu lassen. So zeigen die Figuren zwar immer ihre künstlich montierte Plastik-Anatomie (ähnlich wie Barbie-Puppen), die Gesichter jedoch sind denen der echten Menschen sehr nah, was den Filmzuschauern viel Raum für Identifikation lässt. Die Bewegungen der Körper sind flüssig und geschmeidig, ohne jedoch komplett zu verstecken, dass sie Puppen mit künstlichen Gliedmaßen sind. Es ist interessant, der Geschichte in Marwen zu folgen und durch eine geschickte Dramaturgie in die zerrüttete geistige Welt von Hauptfigur Mark geholt zu werden. Er taucht nämlich immer weiter in die Welt seines Fantasiedorfes ein, um seine Schwierigkeiten in der Realität auszublenden. Das wird unter anderem zu einem Problem, als vor Gericht der Prügelangriff auf ihn verhandelt wird.
Robert Zemeckis beherrscht es, durch sympathische Hauptcharaktere schwierige Situationen zu vermitteln. Dieser Versuchung hat er nun widerstanden. Denn anders als in „Forrest Gump" etwa macht es der Filmemacher dem Zuschauer nicht immer leicht, Hauptfigur und Prügelopfer Mark zu mögen. Jenseits seiner Fantasiewelt ist Mark zuweilen ein wenig umgänglicher Zeitgenosse. So geht zum Beispiel ein Heiratsantrag an seine Nachbarin dermaßen daneben, dass in so manchem Kinosessel Fremdschämen angesagt sein dürfte. Und auch die Kunstfiguren in Marwen leben alles andere als eine Idylle. Die weiblichen Figuren sind erotisiert, die männlichen sind für so manche Gewaltszene verantwortlich – eine kuriose Mischung, um die leidende und erkrankte Seele von Mark zu symbolisieren. Bei „Willkommen in Marwen" zahlt es sich aus, dass Zemeckis in den vergangenen Jahren mehrere Filme produziert hat, die mit den Sehgewohnheiten der Besucher gespielt haben. Für „Der Polarexpress" (2004), „Die Legende von Beowulf" (2007) und „Disneys Eine Weihnachtsgeschichte" (2009) filmte er die Schauspieler zunächst real ab, übertrug dann deren Mimik und Gestik auf die digitalen Figuren. Für „Marwen" hat sich der Regisseur ein ernstes Thema vorgenommen und setzte wohl zur Untermauerung des Plots einen auf den ersten Blick kaum passenden Schauspieler ein: Steve Carrell, der im Comedy-Genre heimisch ist. Nun spielt er den traumatisierten Mark nicht als klassischen Sympathieträger – und besonders gerade deshalb berührt seine Geschichte bis zum Schluss.