Richard Kruspe prägt mit seinen wuchtigen Gitarrenriffs seit 25 Jahren den Sound von Rammstein. Bei seinem ambitionierten Nebenprojekt Emigrate arbeitet er mit Weltstars wie Tobias Forge von Ghost und Ben Kowalewicz von Billy Talent zusammen. Auch Till Lindemann ist auf dem aktuellen Album „A Million Degrees" zu hören. Ein Interview über das Songschreiben und die kommende Rammstein-Tour.
Herr Kruspe, das neue Emigrate-Album „A Million Degrees" beginnt mit dem Rocker „War". Wer oder was hat Sie zu dem Song inspiriert?
Die Amerikaner! Das ist schon etwas länger her. Als sie damals in den Irak einmarschierten, habe ich noch in New York gelebt. Ich erinnere mich an eine permanente Übertragung der News. Dadurch wurde versucht, diesen Krieg zu verkaufen. Das hat mich ziemlich wütend gemacht. Im Grunde geht es in dem Song um Kommerzialisierung von News. In dem speziellen Fall um Krieg.
An den Wänden Ihres Studios hängen Plattencover von unter anderem den Sex Pistols, Kiss, Pink Floyd und Iron Maiden. Welches Album hat bei Ihnen das Rockfieber ausgelöst?
Ich hatte als kleiner Junge viel Stubenarrest und habe mir ständig ein Tape von AC/DC angehört. Bon Scott hat mich immer dazu animiert, aus meinem Zimmer zu flüchten. Und mit Big Black unternahm ich meine erste Reise in die Welt des Industrials, während mich Kraftwerk als erste Band im elektronischen Bereich inspirierten. Ich kam ja von der Gitarre. Bei „Never Mind The Bollocks" von den Sex Pistols fand ich insbesondere das Rotzige toll. Kiss steht für mich persönlich für Rebellion gegen Staat, Eltern oder Schule, weil sie im Osten verboten waren. Musikalisch waren sie eher schwach, aber das Make-Up und das Feuer waren ohne Frage eine große Inspiration für Rammstein.
Steckt in Ihnen heute noch ein Rebell?
Nein. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt ein Rebell im eigentlichen Sinne war. Ein Rebell rebelliert logischerweise gegen irgendwas. Ich hatte immer ein Problem mit autoritären Systemen und mit Vorgesetzten. Ich habe schnell gemerkt, dass ich mein eigener Herr sein will. Deswegen will ich in meiner Musik auch nicht den Zeigefinger erheben. Man muss erstmal bei sich selber anfangen, Dinge zu verändern. Musik war für mich immer eine Fähre, um mich zu verstecken und zu träumen.
Hip-Hop hat Rock als dominante Jugendkultur abgelöst. Alle wichtigen gegenwärtigen künstlerischen Impulse, alles, was neu, spannend, aufregend oder innovativ ist, kommt von Hip-Hop. Ist Rockmusik heute etwas Altmodisches?
Rock ist tot. Leider. Die Gitarre ist keine Rebellion mehr, sie wurde durch die Sprache im Hip-Hop beziehungsweise Trap abgelöst. Ich persönlich komme damit nicht klar, weil ich dieser Sprache nicht wirklich folgen kann. Weil sie stellenweise aus einer Machokultur kommt, mit der ich überhaupt nichts anfangen kann. Die Kids singen das natürlich nach, aber glauben sie es auch? Die deutsche Hip-Hop-Musik ist sehr dünn, der Lifestyle ist dabei viel wichtiger.
Das Emigrate-Album wurde in Los Angeles von Ihnen gemeinsam mit Ben Grosse (Red Hot Chili Peppers, Depeche Mode unter anderem) abgemischt. Was spricht dafür, die Musik auf solch eine Reise zu schicken?
Weil es bei mir und bei Rammstein immer ewig dauert, wollte ich gleich nach meiner zweiten Soloplatte die dritte nachschieben und bin zu Ben Grosse gefahren. Aber dann wurde mir bewusst, dass ich ausgebrannt war. Ich hatte persönliche Probleme, hatte gerade ein Haus gebaut und tanzte auf vielen Hochzeiten. Ich habe das Album noch zu Ende gebracht und zur Seite gelegt. Es war mir ein bisschen egal geworden. Das war gefährlich. Das Projekt Emigrate beruht nämlich ganz klar auf Leidenschaft. Und dann kam es zu einem Wasserschaden in meinem Studio. Die Hälfe der Technik war weg –
plus der Festplatten.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Komischerweise bleibe ich bei solchen Sachen immer ganz ruhig. Früher war es keine Seltenheit, dass mir nach einer durchgearbeiteten Nacht der Computer abstürzte und es kein Back-up gab. Das war für mich immer ein Zeichen, dass ich es besser machen musste.
Mussten Sie Ihre Gastsänger auch noch einmal ins Studio bitten?
Margaux Bossieux und Till Lindemann mussten es noch einmal machen. Die kannte ich auch besser. Aber bei Till ist das so eine Sache. Man muss ihn immer im richtigen Moment kriegen.
Was macht Ihre Freundschaft mit Till Lindemann so besonders?
Um den Mauerfall herum herrschte hier im Osten eine unglaubliche Wildwest-Zeit. Wir beide haben irgendwelche Imbissbuden überfallen, weil wir Hunger hatten. Wir waren wie Robert Redford und Paul Newman in dem Western „Butch Cassidy and the Sundance Kid". Wir dealten zeitweise mit Autos, die wir nachts in Bochum abholten und in den Osten brachten. Manchmal sind uns die Fahrzeuge unterwegs verreckt. In Berlin gingen wir morgens um 7 in Technoclubs, und Till brachte zwischendurch seine Tochter zur Schule. Es war wirklich chaotisch, aber es hat auch gefetzt.
Wohnten Sie damals zusammen?
Ja, Till und ich haben zusammen gewohnt. Ich habe ihn nach Berlin gebracht und davon überzeugt, überhaupt Musik zu machen. Till war früher ein Fan von mir und brachte immer meinen Gitarrenkoffer in den Proberaum. Irgendwann wollte er selbst ein Instrument spielen, da besorgten wir ihm ein Schlagzeug. Er schrieb schon immer Gedichte, aber er wollte zuerst gar nicht singen, weshalb ich all meine Überredungskünste anwenden musste.
Hatten Sie damals schon eine Vision von Rammstein im Kopf?
Ich glaube, eine Vision von Rammstein hatte ich nicht. Da sind verschiedene Dinge zusammengekommen. Ein Grund für die Entstehung von Rammstein war unsere erste Amerika-Reise, Till, Olli und ich. Olli war damals noch klassischer Gitarrist und wechselte später zum Bass. Zu dieser Zeit hörte ich extrem viel amerikanische Musik. Drüben wurde mir klar, dass alles, was ich in Deutschland gemacht hatte, eine Imitation des coolen LA-Styles war. Also eine Lüge. Ich habe mich sogar ein bisschen vor mir selbst geschämt. Zurückgekommen bin ich dann mit dem Vorsatz, etwas Deutsches zu machen. Erstmal waren wir zu dritt – Schlagzeug, Bass, und ich wollte selbst singen –, aber dann fragte ich Till. Den Rest der Geschichte kennt man.
Welche Soli anderer Gitarristen haben Sie am Anfang Ihrer Karriere immer wieder abgehört und nachgespielt, bis die Nachbarn wahnsinnig
wurden?
Ich habe es probiert bei einem Solo von Gary Moore. Aber ich war schon immer schlecht im Heraushören und habe es nicht hingekriegt. Deshalb bin ich ziemlich schnell kreativ geworden und liebe es bis heute, Songs zu schreiben. Ich wollte immer einen erkennbaren Sound haben, selbst bei Rhythmus. Bei Rammstein- und Emigrate-Gitarren hört man immer heraus, wer da spielt. Für mich ist Malcolm Young einer der größten Gitarristen überhaupt. Unglaublich!
Dieses Jahr soll ein neues Album von Rammstein erscheinen. Sind die Produktionen – Rammstein und Emigrate – parallel verlaufen?
Leider. Ich mag das nicht so gerne, aber es ging einfach nicht anders, weil ich nicht aus dem Pott gekommen bin. Die Emigrate-Welt fadet sich gerade aus und die Rammstein-Welt ein. Man hat eine Hauptfrau und ein paar Geliebte. Und irgendwann schickt die Hauptfrau die anderen nach Hause.
Haben Sie keine Lust, irgendwann doch mal mit der Geliebten aufzutreten?
Reizvoll ist das schon, aber wenn man der Geliebten zu viel Aufmerksamkeit widmet, wird die Hauptfrau sauer. Die muss immer in Stimmung bleiben. Andernfalls stimmt die Balance nicht mehr. Für mich ist das Allerschönste, Songs zu schreiben, aufzunehmen und zu produzieren. Mit eigenen Songs auf die Bühne zu gehen ist die Reproduktion eines Gefühls, das ich schon einmal hatte. Natürlich brauche ich auch das Live-Spielen, aber die andere Seite ist mein Lebenselixier.