Jutta Skotnicki hat seit 17 Jahren einen ungewöhnlichen Doppel-Job: als rechte Hand des Bürgermeisters und als Turmführerin. Im Osten Deutschlands liegen das Neuenhagener Rathaus und der Wasserturm in einem Gebäude.
Knapp 200 Stufen sind es bis auf die Aussichtsplattform des Neuenhagener Wasserturms. Jutta Skotnicki erklomm die Treppen schon unzählige Male. Besonders außer Puste scheint sie aber nicht zu sein, als sie oben zeigt, was man alles sehen kann. Kein Wunder: Die fitte Märkerin ist als Rathaus-Mitarbeiterin für Presse und Tourismus nicht nur die rechte Hand des Bürgermeisters, sondern sozusagen auch „Türmerin" von Neuenhagen. Wie das zusammenpasst? „Ganz einfach: Wasserturm und Rathaus sind bei uns eins und als Duo in einem Gebäude im Osten Deutschlands einzigartig", strahlt die Mittvierzigerin. Sie hat natürlich auch gleich die Entstehungsgeschichte des 42 Meter hohen Wahrzeichens von Neuenhagen parat: „Durch das Wachstum des Berliner Vorortes in den 20er-Jahren reichte der Wasserdruck der alten Leitungen aus dem Niederbarnim nicht mehr aus. Ein eigener Wasserturm sollte her – und in ihm auch gleich das neue Rathaus. Mit dem weithin sichtbaren Klinkerbau auf dem Mühlenberg schlug man 1926 also gleich zwei Fliegen mit einer Klappe", erklärt Jutta Skotnicki. 1994 wurde der Wasserspeicher im roten Koloss außer Betrieb genommen – Gemeindeverwaltung und Industriedenkmal blieben.
Doch noch einmal zurück zum fantastischen Ausblick: „Schauen Sie hier – das IGA-Gelände von 2017 und hinten Richtung Westen der Fernsehturm. Im Osten liegt Strausberg, im Süden Köpenick mit den Müggelbergen", schwärmt die studierte Journalistin. Die traditionsreiche Galopprennbahn Hoppegarten sei dagegen nur im Winter und Frühjahr zu sehen, wenn sie vom Laub der Bäume nicht verdeckt wird. Von oben erkennen Besucher aber auch, wie gut sich Neuenhagen seit der Wende entwickelte. Neue Wohngebiete entstanden zwischen all dem Grün. Zur guten Infrastruktur zählen unter anderem acht Kitas, drei Grundschulen, ein Gymnasium und vier Seniorenheime. 70 Vereine und etliche Kulturstätten belegen das intakte Sport- und Kulturleben, von dem auch Besucher aus der Hauptstadt profitieren. „Die grüne Gemeinde vor den Toren der Weltmetropole Berlin – diesen Reiz wollen wir bewahren", so Jutta Skotnicki, die bis zu ihrem Dienstantritt in Neuenhagen bei einer Brandenburger Tageszeitung als Journalistin arbeitete.
„Ein eigener Wasserturm musste her"
Privat startet Jutta Skotnicki mit Freunden gern zu Ausflügen durch halb Europa. Sehnsuchtsziele sind Sardinien, Irland, Schottland und Italien. In der warmen Jahreszeit ist allerdings auf dem heimischen Neuenhagener Grundstück immer etwas zu tun. Die Brandenburgerin ist begeisterte Hobby-Gärtnerin. Fit hält sie sich aber auch beim Badmintonspiel, auf dem Rad und bei größeren Joggingrunden.
Mit der gleichen Leidenschaft bietet sie nach Voranmeldung Führungen durch den „Rathaus-Turm" an. Der 93 Jahre alte Klinkerbau besticht schließlich nicht nur mit schöner Aussicht, sondern auch mit seinem musealen Innenleben. Und da ist Jutta Skotnicki wieder in ihrem Element. Über schmale Treppen geht’s zum früheren Tropfboden des Turms. Mit Teilen des historischen Uhrwerks sowie alten Zu- und Ableitungen wirkt das Ganze wie ein Mini-Museum. Zu bestaunen ist unter anderem der riesige Wassertank aus Stahlbeton. Rund 1.000 Kubikmeter Wasser passten hier mal rein. „Der Durchmesser beträgt circa 13 Meter, die Tiefe acht Meter", erklärt Jutta Skotnicki.
Beim „Abstieg" vom Dach bewundert eine Besuchergruppe das schöne Trauzimmer und den historischen Ratssaal. Blickfang sind die nach originalem Vorbild neu eingesetzten Bleiglasfenster. Im Bau-Unikat befanden sich früher übrigens nicht nur Ratskeller und Arrestzelle der Polizei, sondern auch Dienstwohnungen, unter anderem für Polizeichef, Gemeindevorsteher und Kneipier, erfahren wir von Jutta Skotnicki. Mit Detailkenntnis und Charme erläutert die Rathausbedienstete ihr „Türmchen", wie sie es nennt. Dass diese Frau ihren Job liebt, merkt jeder vom ersten Moment. An vielen Wochenenden trifft man die Powerfrau zudem auf touristischen Messen, auf denen sie für ihre Heimat wirbt. Ach so: Im Verein Seifenkistenspektakel Neuenhagen ist sie auch aktiv. Jedes Jahr im September sausen Teilnehmer in ihren selbstgebauten Vehikeln die leicht abschüssige Neuenhagener Lindenstraße hinunter. Am Straßenrand applaudieren Tausende. „Im Mittelpunkt stehen bei uns aber nicht Platzierungen, sondern die skurrilen Gefährte, Marke Eigenbau", betont Jutta Skotnicki. Daneben führt sie auch Bustouren für Senioren, hält Kontakt zu Partnergemeinden wie Grünwald (Bayern) und ist Autorin heimatkundlicher Bücher. Während des Interviews verpackt sie nebenbei mal eben 25 Präsente für einen Bürgermeisterempfang.
Im Verein Seifenkistenspektakel Neuenhagen ist sie aktiv
Schon als 15-Jährige hatte sie im Ortsblatt „Neuenhagener Echo" eine Jugendseite mit aus der Taufe gehoben. Nach dem Abitur begann Skotnicki 1989 – noch kurz vor dem Mauerfall – ein Volontariat bei einer Regionalzeitung. An der Universität Leipzig folgte das Studium der Journalistik am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften. 1995 schloss sie es mit Diplom ab. Während ihres einjährigen Aufenthalts in den USA nutzte Jutta Skotnicki die Chance, an der Universität in Reno (Nevada) verschiedene journalistische Kurse zu belegen. Anschließend stieg sie bei der „Märkischen Oderzeitung" im Osten Brandenburgs als Redakteurin ein.
Nach der Geburt ihrer Tochter orientierte sich die frühere Reporterin um: Seit 2002 arbeitet sie in der Neuenhagener Gemeindeverwaltung. Als junge Autorin veröffentlichte Jutta Skotnicki 2005 ihr erstes Buch mit dem Titel „775 Jahre Neuenhagen – Porträt einer märkischen Gartenstadt".
Privat bereiste die gebürtige Neuenhagenerin schon die halbe Welt. Sie sah Ayers Rock in Australien, fuhr Ski in der Sierra Nevada und badete im Toten Meer. Reise-Favorit in Deutschland bleibe allerdings Hiddensee, wie Jutta Skotnicki sagt. Wenigstens einmal im Jahr kehrt sie auf die Insel zurück. Und das seit ihrer Kindheit! „Vielleicht ist das auch der Grund für meine Heimatverbundenheit: Dass ich Freunde, Bekannte und Landschaft mehr schätze, wenn ich nach meinen Touren wieder nach Hause komme."
Jutta Skotnicki befasste sich als gebürtige Neuenhagenerin natürlich auch mit dem Werk Hans Falladas. In seinen Romanen sei er immer nah dran gewesen am wahren Leben, erklärt sie. „Dabei lieferte er nie Kitsch", so die Brandenburgerin. Auch mit „Jeder stirbt für sich allein" oder „Der Trinker" erlangte er Weltruhm.
Hans Fallada lebte in Neuenhagen
Nur rund zwei Jahre lebte Hans Fallada in Neuenhagen. Doch genau in dieser Zeit schrieb er seinen erfolgreichen Roman „Kleiner Mann – was nun?". Der Dichter wohnte ab 1930 in einem kleinen Reihenhäuschen des Berliner Vorortes. Seine frühere Wohnung lässt die Gemeinde derzeit zu einem literarischen Gedenkort umgestalten.
Von Einheimischen wurde Fallada, mit bürgerlichem Name eigentlich Rudolf Ditzen, in seiner Neuenhagener Zeit jedoch verkannt. Denn wenn er vormittags mit Kinderwagen und Sohn Ulrich durch die märkische Gemeinde spazierte, tuschelte man nur vom „Arbeitslosen mit Kind", ist in Chroniken nachzulesen. Keiner ahnte, dass der neue Bewohner Schriftsteller war, Ideen und Romane meist schon ab 5 Uhr morgens zu Papier brachte.
Fallada selbst beschrieb seine Vormittagsrunden so: „Jeden Morgen, wenn Suse (seine Ehefrau, Anm. d. Red.) den Hausstand besorgte, zog ich mit meinem Sohn im Kinderwagen los. Er lag drin (…) und sah mit seinen blauen Augen in den blauen Himmel. (…) Ich schob ihn durch Altenhagen, ich schob ihn durch Neuenhagen, ich schob ihn durch Bollensdorf, durch Hoppegarten, ich schob ihn bis Altlandsberg. Überall tauchten wir auf: Der Kinderwagen und ich, wir gehörten zum Straßenbild der Gegend."
Raus ins Grüne zog Fallada, um den Versuchungen der Großstadt Berlin zu widerstehen. 120 Zigaretten am Tag, Kaffee als Aufputschmittel und abendliche Kneipenbesuche waren Falladas Biografien zufolge normal. Der Umzug zeigte offenkundig die gewünschte Wirkung. Die Jahre 1930 bis 1932 gehörten nach Aussagen des Dichters zu seiner „glücklichsten Zeit". Hans Fallada starb 1947 mit nur 53 Jahren in Berlin-Pankow.