Bezahlt, unbefristet, sozialversichert: Das „Solidarische Grundeinkommen" soll 1.000 Berlinern Perspektiven bieten. Sackgasse oder visionäre Idee? Demnächst startet der Praxistest.
Heftige Diskussionen tritt das Thema los – nicht nur im Internet, wo sich wie immer sachlicher Austausch mit dahingerotztem Gepöbel vermischt, sondern auch quer durch die Fachleute- und Parteienlandschaft: das „Solidarische Grundeinkommen" von Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD). Manche bleiben schon am Begriff „Grundeinkommen" hängen. Ist der doch seit Längerem gedanklich verknüpft mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Mit jener Idee also, dass jeder, ohne Unterschied, eine fixe, zum Leben ausreichende Summe erhält und dann selbst entscheidet, ob er nur den Tag faul in der Hängematte verbringt. Was tatsächlich, so belegen diverse Studien über Versuche in diese Richtung, überraschend selten der Fall ist. Die Leute bilden sich lieber fort, starten ein kleines eigenes Unternehmen, leisten sich was – und arbeiten trotzdem, bezahlt oder ehrenamtlich.
Ein Schelm, wer nur Ungeschicklichkeit in der Wortwahl sieht, die zu irreführenden Vermutungen verleitet: Teils wohlwollende, teils entsetzte Aufmerksamkeit bringt sie in jedem Fall mit sich. Das hat schon funktioniert. Seit Herbst 2017 nahm die Diskussion um Hartz IV und mögliche Alternativen in der SPD endlich Fahrt auf, gerade auch, nachdem Müller die Genossen mit seiner Idee hochgeschreckt hatte. Dennoch, hinter dem Solidarischen Grundeinkommen (SGE) steckt etwas ganz anderes als Bedingungslosigkeit: nämlich ein staatlich geförderter Vollzeitjob für Arbeitslose, bezahlt nach Tarif (so vorhanden) oder Mindestlohn, voll versichert, unbefristet, freiwillig. Angesiedelt im sozialen Sektor und gedacht für die, die gerade vom regulären Arbeitslosengeld ALG I in Richtung Hartz IV gerutscht sind – Müller spricht von ein bis maximal drei Jahren ohne Job und von Arbeitnehmern, die auf dem regulären ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben. Das SGE soll so eine Förderlücke schließen für jene, die noch nicht über mehrere Jahre hinweg von der Arbeitswelt abgekoppelt waren und somit noch nicht in die Zielgruppe des neuen Teilhabegesetzes passen.
Zusätzliche Arbeit fürs Gemeinwohl schaffen
Zusätzliche Arbeitsplätze schaffen in Zeiten, in denen es überall an Arbeitskräften mangelt? Schon haben Arbeitsagentur und Verdi vor neuen und für teures Geld aufgebauten Doppelstrukturen gewarnt, die womöglich vorhandene Arbeitsplätze gefährden. Nein, kontert man aus der Berliner Senatskanzlei, beim SGE geht es um zusätzliche Arbeit, die keine reguläre verdrängt. Um Jobs, die bei kommunalen oder gemeinnützigen Trägern angesiedelt sind und entsprechend gemeinwohlorientiert sind. Heraus kommen Arbeitsplatzbeschreibungen wie City-Lotse: Der ist unter anderem unterwegs als Kontrolleur für Sauberkeit und Mängel im öffentlichen Raum oder als Barrierefreiheitstester im ÖPNV, steht aber auch bereit als Ansprechpartner für Touristen, die mit den Öffentlichen nicht zurechtkommen. Auch Infodienste zur Energieeinsparung in Haushalten stehen auf der Liste, ebenso wie Lotsendienste im Bereich Kultur und Bildung. Andere werden vielleicht als Schulorganisationsassistenten helfen, Klassenräume vorzubereiten oder Schulbibliotheken zu betreiben. Insgesamt reicht die Bandbreite von klassischen Hilfsarbeiten bis zu Aufgaben im Bereich der sozialen Arbeit, Betreuung oder Lotsen-Arbeit auch im Integrationsbereich.
Alle werden davon profitieren, ist der Regierende Bürgermeister Michael Müller überzeugt: Schließlich verändere sich durch Digitalisierung und Automatisierung die Arbeitswelt grundlegend, neue Perspektiven seien nötig. Mit den neuen Jobs im sozialen Bereich zeige sich die Gesellschaft solidarisch mit den Arbeitslosen, ermögliche ihnen soziale Teilhabe. Und gewinne gleichzeitig durch die Aufgaben, die die SGEler übernehmen.
Wieso dann die teils harsche Kritik? Einerseits hängt sie sich am „Etikettenschwindel" auf – es geht eben nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern um den sozialen Arbeitsmarkt, manche sprechen auch von einer besseren Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Gegenüber Hartz IV blieben einem Berliner Alleinstehenden 234 Euro mehr im Säckel, dafür leistet er aber einen Fulltime-Job. Nichts war’s mit einer gerechteren Umverteilung von Reich nach Arm, tönen die Klagen von links. Während sich CDU, FDP und AfD aufregen, dass ein neuer geförderter Bereich entsteht, statt Geld und Energie in die Qualifizierung für schon vorhandene Jobs zu stecken. Dass übers SGE Tätigkeiten gefördert werden, die bislang oft ehrenamtlich geleistet wurden – in der Flüchtlingshilfe, als Unterstützung von Kita-Personal oder Lehrern, als Babysitter oder bei der Begleitung älterer Menschen –, kann man als durchaus positiv ansehen. Andererseits ist es ein Armutszeugnis, dass solche Aufgaben oftmals weggespart wurden, auch und gerade in staatlichen Einrichtungen wie Schulen oder Kitas, wo die Betreuerinnen nach Dienstschluss am Hinterherräumen sind. Dass da die einen von Lohndumping sprechen (Kai Whittaker von der CDU) und andere sich fragen, ob es also um „sinnlose" Jobs gehen soll, weil man sonst in Konkurrenz zum Arbeitsmarkt gerät (Holger Schäfer vom Institut für deutsche Wirtschaft), ist nachvollziehbar. Und ob das vermittelnde Jobcenter die Richtigen für die Jobs findet, bleibt zu hoffen. Ein Babysitter-Service wäre ja wundervoll, aber wer will schon das eigene Kind einem x-Beliebigen anvertrauen? Schon jetzt füllen aufgeregte Eltern-Fragen seitenweise die Chats. Und dass Integrationslotsen oder Stadtteilmütter in Brennpunkt-Vierteln eine lange Ausbildung durchlaufen, bevor sie jene beraten, die hierzulande erst ankommen müssen, ist auch kein Zufall.
Pilotprojekt läuft zunächst fünf Jahre
Spekuliert wird viel, währenddessen laufen die Motoren für die Umsetzung warm. Im Juli geht’s los: Nicht, wie ganz zu Beginn mal gedacht, bundesweit und für bis zu 150.000 Arbeitslose – die kämen, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), für das Programm infrage. Sondern als Pilotprojekt nur im Land Berlin, wissenschaftlich begleitet, für gerade mal 1.000 Leute. Und auch die Kosten bleiben beim Land Berlin, der Bund will Arbeitsplätze für noch arbeitsmarktnahe Personen nicht unterstützen. Knapp 39 Millionen Euro jährlich kostet die Hauptstadt der Sonderweg. Wer mit dabei ist wird, so der Plan, fünf Jahre lang arbeiten. Auf diese Zeitspanne ist das Projekt erst mal angelegt. Währenddessen gibt es Möglichkeiten, sich zu qualifizieren. In der Hoffnung, dass der Arbeitgeber spätestens nach den fünf Jahren einen regulären Job bereithält oder der SGEler anderweitig auf dem ersten Arbeitsmarkt unterkommt. Falls nicht, garantiert das Land eine Weiterbeschäftigung.
Was an Ängsten oder an Hoffnungen dran ist, wird sich in der Praxis zeigen. Ob die neuen Jobs sinnvoll sind, sich die 1.000 Auserwählten gut einpassen, mancher vielleicht neue Fähigkeiten entdeckt und so neue Chancen auf einen regulären Job bekommt: Das wird mit zur Beurteilung beitragen, ob – so Michael Müllers Vision – mit dem Solidarischen Grundeinkommen wirklich eine „Win-win-Situation für bisher arbeitslose Menschen und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft" entsteht.