Ulrich Köhler arbeitet seit 25 Jahren beim Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) in Berlin. Im Interview spricht der Planetengeologe über den Ursprung von Meteoriten, ihre Bestandteile, Fundorte und erklärt, warum man im Vergleich zum Mond so wenig Einschlagkrater auf der Erde findet.
Herr Köhler, worin unterscheiden sich Meteore, Meteoroide und Meteoriten?
Zunächst ist der wichtigste übergeordnete Begriff der der Meteore: Meteore sind atmosphärische Lichterscheinungen, das Aufleuchten einer „Sternschnuppe" oder – seltener – einer „Feuerkugel" in der Atmosphäre. Meteore gibt es auch in den Atmosphären von Venus oder Mars, aber hier reden wir jetzt vom Aufleuchten von zumeist Sternschnuppen in der Hochatmosphäre der Erde. Seltener spricht man auch bei anderen atmosphärischen Leuchterscheinungen von Meteoren. Meteore entstehen durch das Verglühen von Staubteilchen oder durch das Aufglühen von größeren Brocken, die mit extrem hoher Geschwindigkeit in die Erdatmosphäre eindringen – 10 bis 70 km/s; maximal 72 km/s, das sind dann 260.000 km/h –, durch die Reibung an den Luftmolekülen sehr heiß werden und verdampfen. Dabei ionisieren die Luftmoleküle und leuchten dabei auf. Das ist die Leuchterscheinung.
Meteore werden also von Meteoroiden verursacht, kleinen Staubteilchen oder größere Brocken aus Stein, Stein-Eisen oder Metallen – Eisen-Nickel zumeist. Meteoroide erreichen nicht die Erdoberfläche.
Das hingegen tun dann Meteorite, also Festkörper, die hinreichend groß sind, nicht vollständig verdampfen, und der Rest, der nicht durch Ablation verlorengegangen ist, fällt auf die Erde. Man spricht dann vom „Fall" eines Meteoriten. Es gibt etwa 60.000 Meteoriten in den Sammlungen und im Privatbesitz. Noch viel seltener sind sehr große Körper, die auf der Erde beim Einschlag einen Krater erzeugen.
Wo liegt der Ursprung von Meteoriten?
Meteorite entstehen, wenn kleine Körper aus dem Sonnensystem in die Erdatmosphäre eindringen und Reste davon auf dem Boden ankommen. Die Ausgangsprodukte von Meteoriten liegen zum ganz großen Anteil im Asteroidengürtel. Fast alle Meteoriten in den Sammlungen stammen aus dem Asteroidengürtel. Es sind meist Bruchstücke von einst größeren Asteroiden, die durch Kollisionen zerkleinert wurden. Es gibt aber auch Meteorite, die vom Mond stammen (340), und auch vom Mars (124). Ein Meteorit, der vom Merkur stammen könnte, ist wissenschaftlich umstritten. Es existieren keine bewiesenen Meteorite, die von Kometen stammen. Meteorite vom Mars, vom Mond oder auch vom Merkur werden erzeugt, wenn dort ein Asteroid einschlägt, Material aus der Kruste heraussprengt, und Teile davon auf Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt werden und dann auf Umlaufbahnen im inneren Sonnensystem entweder die Sonne umkreisen oder die Erde – und auf dieser gelegentlich einschlagen.
Woraus bestehen Meteoriten?
Es gibt drei Hauptklassen von Meteoriten: Steinmeteorite, Stein-Eisen-Meteorite und Eisen-Nickel-Meteorite, also Metall-Meteorite. Die Steinmeteorite werden noch, und das ist wichtig, in primordiale, also so gut wie unveränderte, 4,5 Milliarden Jahre alte Meteorite, die sogenannten Chondrite (85 Prozent aller Meteorite) und in Achondrite unterteilt. Chrondrite bestehen aus vielen kleinen Silikatkügelchen – die Chondren, die allerersten festen Strukturen, die sich im solaren Urnebel gebildet haben –, auch Kohlenstoff (etwas vereinfacht) und Achondrite. Letztere bestehen auch aus Stein, aber nicht aus Kügelchen, und haben aber im Inneren von Asteroiden bereits Veränderungen erfahren, bis hin zur „Differentiation", also die frühen Entwicklungsstadien planetarer Körper durch Schmelz- und Erstarrungsprozesse.
Ebenso sind die Eisen-Nickel-Meteorite Bruchstücke von Metallkernen bereits differenzierter planetarer Körper (Asteroiden). Das lässt sich besonders gut an Eisen-Nickel-Meteoriten nachvollziehen, die beim Anschnitt auf der polierten Schnittfläche die sogenannten Widmannstättenschen Figuren zeigen, die nur entstehen können, wenn eine geschmolzene Eisen-Nickel-Legierung über viele Millionen Jahre abkühlt. Und die vergleichsweise seltenen Stein-Eisen-Meteorite stammen aus der Übergangszone zwischen Gesteinsmantel und Metallkern differenzierter Asteroiden. Chondrite und Achondrite (und die Steinanteile der Stein-Eisen-Meteorite) bestehen zu einem Großteil aus silikatischen Mineralen, beinhalten aber auch unterschiedliche Anteile an Kohlenstoff („kohlige Chondrite").
Wie viele dieser Himmelskörper treffen im Jahr die Erde und wie viele kommen tatsächlich auf dem Boden an?
Eine Anzahl für die Menge an Körpern, die auf die Erde treffen, lässt sich nicht nennen. Die Schätzungen, wie viel Material auf die Erdatmosphäre trifft, gehen weit auseinander.
Welcher war der bisher größte Meteorit, der auf der Erde gefunden wurde?
Das ist der 1920 entdeckte Hoba-Meteorit, der nahe Grootfontein in Namibia gefunden und auch dort – wegen seiner Masse – liegen gelassen wurde. Er hat ein Gewicht von über 60 Tonnen und gehört zur Klasse der Eisen-Nickel-Meteoriten (Fe: 84 Prozent, Ni: 16 Prozent). Es ist das massereichste natürliche Metallstück, das es auf der Erde gibt. Eine Isotopenanalyse ergab, dass Hoba – in der Sprache der Einheimischen dort „das Geschenk" – vor etwa 80.000 Jahren auf die Erde fiel.
Wo kann man Meteoriten finden?
Theoretisch überall, weil die Erde statistisch auf jedem Quadratkilometer (fast) gleich häufig Meteoriten abbekommt. Die besten Meteoriten-Suchgebiete sind jedoch die Wüsten der Erde, dort, wo sie eine feste Oberfläche haben und keine Vegetation stört. Kleine Meteorite dringen dort erst gar nicht in den Boden ein. Gleiches gilt für die großen Eisflächen in der Antarktis, dort, wo die Trockentäler sind und selten Schnee fällt, und die Meteorite auf der Eisoberfläche schön auffallen. Zwei Drittel aller Meteorite fallen allerdings in die Weltmeere, und da ist die Erfolgsquote eher ganz schlecht.
Wie findet man einen Meteoriten und wie unterscheide ich diesen von einem gewöhnlichen Stein?
Meteorite sind zunächst einmal einfach anders als andere Steine.
Wer glaubt, selbst einen „Himmelsstein" gefunden zu haben, der kann durch einfache Tests eingrenzen, ob es sich möglicherweise um einen echten Meteoriten handelt: Weist das Fundstück eine besonders hohe Dichte auf, ist es also für seine Größe besonders schwer? Wird das Stück von einem Magneten angezogen? Hat das Fundstück eine matte Oberfläche? Zeigt das Objekt auf einer angeschliffenen Ecke metallischen Glanz oder metallische Einschlüsse? Hat es eine schwarze oder braune Kruste? Ist das Stück kompakt und massiv? Falls Sie alle Fragen mit „Ja" beantworten können, so haben Sie möglicherweise einen Meteoriten gefunden. Meistens handelt es sich aber leider nicht um einen Meteoriten, sondern um ein irdisches Fundstück. In mehr als neun von zehn Fällen, bei denen die mit Meteoriten befassten Forschungseinrichtungen angefragt werden, handelt es sich nicht um einen Meteoriten.
Wieso findet man im Vergleich zu unserem Mond nur so wenige Einschlagkrater auf der Erde?
Die Erde wird permanent durch geologische Prozesse verändert – zuvorderst die Plattentektonik, die sehr langsam wirkt, aber die Kontinente und vor allem die Ozeankruste ständig erneuert. Nur wenige Anteile der Kontinente, die nicht einmal ein Drittel der Erdoberfläche ausmachen, sind älter als eine halbe Milliarde Jahre – und die Erde ist viereinhalb Milliarden Jahre alt. Das bedeutet, dass auf der Erde fast nur Krater zu sehen sind, die jünger als etwa 300 Milliarden Jahre alt sind. Alle älteren Krater – und es gab pro Flächeneinheit so viele Einschläge wie auf dem Mond, wegen der größeren Anziehungskraft sogar mehr – sind von der Erosion und der Plattentektonik ausgelöscht worden. Deshalb sehen wir heute noch nicht einmal 200 Krater auf der Erde, die von Einschlägen von Meteoriten (Asteroiden) herrühren.
Welche Meteoritenschauer lassen sich von der Erde aus beobachten?
Die Erde durchquert auf ihrem Weg um die Sonne mehrere Hinterlassenschaften von Kometen, die zu Strömen von Meteoren und Sternschnuppen führen. Diese Kometenschweife diffundieren im Laufe der Zeit, doch jedes Jahr durchfliegt die Erde den Schweif, was dann zu Meteorströmen führt. Der bekannteste Meteoritenschauer ist derjenige der Perseiden (August), mit einem Höhepunkt an stündlich zu beobachtenden Sternschnuppen von etwa 110 Meteoren. Die ergiebigsten Schauer sind die der Geminiden (120 Sternschnuppen pro Stunde), der Quadrantiden (ebenfalls 120) und der Leoniden (variabel). Am besten lassen sich diese Meteoritenschauer nach Mitternacht beobachten, wenn die Erde die Staubpartikel aufsammelt, wie ein Auto Insekten auf der Windschutzscheibe abbekommt.
Wo kann man die interessantesten Exponate bewundern?
Besonders schöne Meteoritensammlungen gibt es im Naturhistorischen Museum in Wien und im Museum für Naturkunde in Berlin – und in ähnlichen Museen mit ihren Sammlungen in London, Paris, New York und Tokio. Japan hat, nach Wien, die größte Meteoritensammlung der Welt.
Halten Sie Asteroide für eine potenzielle zukünftige Rohstoffquelle?
Ja, das ist prinzipiell denkbar, allerdings in zeitlich ziemlich weiter Entfernung: Es gibt – nicht zuletzt aus der Erkenntnis, dass es Asteroiden aus fast reinem Metall gibt (Nasa-Erkundungsmission „Psyche") – Überlegungen, dass solche Körper in Zukunft auch als Quelle für Ressourcen dienen. Trotz herausragender Fortschritte bei der Raumfahrt wurde noch nie der Versuch unternommen, aus den Stoffen, die auf einem planetaren Körper vorhanden sind, robotisch – oder gar mit Raumfahrer – mit einer Art von „Bergbau" Ressourcen abzuschöpfen. Das ist ein mechanisch grobes Gewerke und deshalb nicht so ohne weiteres umsetzbar.
Der bekannte Marsmeteorit Nakhla lässt den Schluss auf die frühere Anwesenheit von flüssigem Wasser auf dem Mars zu. Inwieweit helfen uns solche, auf der Erde gefundenen Himmelskörper, um das Verständnis unseres Sonnensystems zu komplettieren?
Solche Meteoriten – vom Mars insbesondere – sind von immenser Bedeutung für die Forschung. Der Nakhla-Meteorit wurde als Fall (Feuerkugel) beobachtet und schlug am 28. Juni 1911 in Ägypten nahe dem gleichnamigen Ort ein. Insgesamt wurden ungefähr 40 Meteorite dieses auf zehn Kilogramm geschätzten Falls gesammelt. Der Nakhla-Fall ist gewissermaßen der „Prototyp" einer Klasse von Meteoriten, die vom Mars stammen und die Klasse der „Nakhlite" bilden. Sie entstanden, als auf dem Mars ein Asteroid eingeschlagen war und Teile der herausgeschleuderten Steine die Fluchtgeschwindigkeit des Mars erreichten und auf Bahnen gelangten, die sich mit der Erdbahn kreuzten. Durch Untersuchungen im Jahre 1999 wurde erkannt, dass der Meteorit einen erhöhten Anteil des Kohlenstoff-Isotops 13C enthält und deshalb vom Mars stammen muss – der Wert passte nicht mit Messungen von anderen Meteoriten oder irdischem Material zusammen. Geochemische Untersuchungen zeigten, dass das Meteoritengestein auf dem Mars in Kontakt mit Wasser gewesen sein muss.
Solche Funde und Proben sind natürlich von herausragender Bedeutung für die Forschung, denn bis heute gibt es noch keine Proben vom Mars, die mit Raumsonden zur Erde gebracht wurden (das ist für Mitte des nächsten Jahrzehnts geplant). Und diese Proben zeigen auch noch Spuren einer Beeinflussung von Wasser: Das ist genau das große Thema der Forschung, das seit den „Viking"-Missionen (1974 bis 1981) den Mars wissenschaftlich so interessant macht. Sehr viel spricht dafür, dass der Mars der einzige Planet im Sonnensystem ist, auf dem Leben in der Frühzeit des Sonnensystems möglich gewesen sein könnte (man muss hier sehr oft den Konjunktiv bemühen) und vielleicht sogar heute noch denkbar wäre. Allerdings würde es sich bei diesen denkbaren Lebensformen allenfalls um sehr primitive Organismen handeln –
Einzeller, Blaualgen – wie sie am Anfang des Lebens auf der Erde standen.
Sind Meteoriten neben Kometen die potenziellen Überbringer der Bausteine des Lebens?
Das ist eine sehr schwierig zu beantwortende Frage. Es ist nicht klar, wie das Leben auf der Erde entstanden ist und woher die Bausteine dazu stammen: Nach heutigem Wissensstand gibt es Leben auf der Erde seit mindestens 3,7 Milliarden Jahren, vielleicht sogar schon etwas länger. Die Beantwortung dieser Frage ist der Nobelpreis aller Nobelpreise. Im Grunde genommen gibt es drei Möglichkeiten, auf welcher Grundlage das Leben auf der Erde entstanden ist:
Erstens könnten alle wichtigen „Zutaten" auf der Erde vorhanden gewesen sein (Kohlenwasserstoffe, Mineralstoffe, Energie). Für die beiden letztgenannten Voraussetzungen war das auf der Erde sicher (immer) der Fall. Für die Kohlenwasserstoffe ist das nicht so ganz klar. Aber auch wenn man berücksichtigt, dass Kohlenstoff ein eher leichtes, flüchtiges chemisches Element ist und deshalb bei der Entstehung des Sonnensystems eigentlich eher in der protoplanetaren Scheibe nach außen „getrieben" wurde (und auf der Erde nicht unbedingt „etwas zu suchen gehabt hätte"), dürfte es auch in der sehr rasch entstandenen Erde (10 bis 50 Millionen Jahre) das ganze „Zubehör" für die Entstehung der Erde eingegangen sein und möglicherweise aus dem Innern der jungen Erde durch vulkanische Prozesse freigesetzt worden sein.
Zweitens kommen Kometen als Körper des Sonnensystems in Frage, die die erforderlichen Stoffe für die Entstehung des Lebens auf die Erde gebracht haben. Kometen haben einen signifikanten Anteil an Kohlenstoff und Kohlenwasserstoff-Verbindungen, unter anderem sogar Aminosäuren, die als Bausteine des Lebens gelten. Die junge Erde wurde von zahlreichen Kometen „beschossen", insofern ist es gut denkbar, dass Kometen die Bausteine des Lebens zur Erde gebracht haben. Wir haben aber keine kometaren Proben (Meteoriten) auf der Erde, oder auch Erkenntnisse der Untersuchung von Kometen mit Raumsonden, um den Beweis endgültig führen zu können.
Drittens wäre das für Kometen geschilderte Szenario auch für Asteroiden denkbar, insbesondere für Asteroiden vom äußeren Rand des Asteroidengürtels, dort, wo die Asteroiden zum einen höhere Wasser(eis)anteile haben und zum anderen auch Kohlenstoffe und Kohlenwasserstoff-Verbindungen mit sich führen.
Was können Wissenschaftler von Meteoriten lernen?
Meteoriten lehren uns viele Details der ganz frühen Geschichte des Sonnensystems. Das Besondere, das Schöne an Meteoriten ist: Sie kommen oder kamen zu uns, ohne ein mit vielen Hundert Millionen Euro entwickeltes Raumschiff zu einem Planeten, dem Mond, oder zu den Asteroiden entwickeln zu müssen. Aber: Die Wissenschaftler brauchen beides, da beißt die Maus keinen Faden ab.