Dr. Nicolai Worm gilt als einer der führenden Ernährungswissenschaftler Deutschlands. Im Interview spricht er über die Diagnostik und
Risiken einer Fettleber, Kohlenhydrate und Superfoods.
Herr Dr. Worm, wie sind Sie dazu gekommen, sich eingehend mit der Leber zu beschäftigen?
Die Leber ist das wesentliche Stoffwechselorgan. Wenn man sich mit dem Einfluss der Ernährung auf unsere Stoffwechselgesundheit beschäftigt, steht die Leber automatisch im Fokus. Eine verfettete Leber kann ihre Stoffwechselaufgaben nicht mehr korrekt erfüllen und ist folglich die Ursache von gravierenden Stoffwechselstörungen. Nachdem in den letzten Jahrzehnten ein immer höherer Anteil an nicht alkoholischer Fettleber (NAFLD) in der Bevölkerung festgestellt wurde und gleichzeitig der Anteil an metabolischem Syndrom und Typ-2-Diabetes kontinuierlich anstieg, lag es nah, dieses Thema aus Ernährungssicht zu erforschen.
Von einer Fettleber können auch Menschen betroffen sein, die gar kein Übergewicht haben. Warum?
Durch eine ungünstige genetische Anlage und durch schlechten Lebensstil kann die Funktionsfähigkeit unserer Fettzellen gestört sein. Wenn bei unserer chronisch überkalorischen Ernährung unsere Fettzellen unter der Haut nicht mehr adäquat Fett speichern, werden alternative Speicherplätze für die überschüssigen Kalorien herangezogen. Das ist die Bauchhöhle und dort allen voran die Leber.
Wie diagnostiziert man eine Fettleber?
Die genauesten Methoden sind eine Leberbiopsie oder ein MRT. Ersteres ist sehr unangenehm und Zweiteres sehr teuer. Ich empfehle in meinem „Leberfasten"-Konzept zunächst per Ultraschall eine grobe Diagnose durchzuführen und zusätzlich einen Fettleber-Wahrscheinlichkeitsrechner einzusetzen. Das ist der sogenannte Fettleber-Index (Fatty Liver Index), der von italienischen Leberexperten entwickelt wurde, der weltweit anerkannt ist und kostenfrei auf unserer Website www.leberfasten.de verwendet werden kann.
Welche Beschwerden können auftreten?
Das trügerische ist, dass die NAFLD keine spezifischen Symptome macht. Man muss auf Risikofaktoren achten.
Welche Folgen kann eine Fettleber haben?
Die altbekannte Folge ist eine entzündete Fettleber (NASH), die in eine Leberzirrhose übergehen kann und aus der dann auch Leberkrebs entstehen kann. Neuerdings ist allerdings erkannt worden, dass die NAFLD direkt in den gestörten Zuckerstoffwechsel und Typ-2-Diabetes führt und dass die mit NAFLD einhergehenden Fettstoffwechselstörungen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen massiv erhöhen.
Wie sieht die Behandlung aus?
Es sind bis heute weltweit keine Medikamente gegen NAFLD zugelassen. Es gibt nur die Lebensstil-Intervention. Das heißt den Lebensstil ändern: regelmäßig anstrengende Muskelaktivität, weniger essen und das Richtige essen.
Sie empfehlen auch das sogenannte Leberfasten. Wie funktioniert das genau?
Das „Leberfasten" ist eine gezielte Ernährungstherapie unter ärztlicher Betreuung. Man beginnt in den ersten zwei Wochen mit einer speziellen Formula-Diät und führt in den anschließenden Wochen Schritt für Schritt eine mediterran ausgerichtete, kohlenhydratreduzierte Ernährung ein (mediterranes Low-Carb). Vor allem die zucker- und stärkereichen, raffinierten Kohlenhydratquellen gilt es zu meiden und dafür den Konsum von Gemüse, Salaten, Pilzen, Beeren, Früchten, Nüssen zu steigern – das ganze angereichert mit Fisch, Geflügel, Fleisch und Olivenöl. Als Dauerernährung empfehlen wir das „Flexi-Carb"-Konzept, das in Abhängigkeit der körperlichen Aktivität ein Mehr an Brot und Backwaren, Reis, Kartoffeln und Nudeln erlaubt.
Was kann man bei Heißhungerattacken tun?
Den Magen clever füllen – mit proteinreichen Nahrungsmitteln in Kombination mit wasserreichen, voluminösen, schweren Nahrungsmitteln, die den Magen füllen und dehnen, aber wenig Kalorien liefern.
Welche Fette sind gut für Leber und andere Organe, welche schlecht? Und wie viel Fett darf man essen?
Als Basisfett ist natives Olivenöl optimal. Auch das Milchfett ist sehr wertvoll. Und für die Fettleber präventiv und therapeutisch besonders wichtig sind die langkettigen, tierischen Omega-3-Fettsäuren, die vor allem in fettem Fisch vorkommen. Wer keinen Fisch mag, sollte dringend auf Fischöl-Präparate zurückgreifen. Mein Favorit ist ein Gemisch aus nativem Olivenöl und gereinigtem Fischöl – angereichert mit Zitronensaft –, das man wie ein „normales" Lebensmittel täglich zum Bereiten von Gemüse und Salaten einsetzen kann.
Kohlenhydrate wurden einige Zeit verteufelt. Vor Kurzem hieß es dann wieder, man solle keinesfalls auf die lebenswichtigen Kohlenhydrate verzichten. Welche Meinung haben Sie?
Wer traditionell lebt und körperlich arbeitet und in seiner Freizeit körperlich aktiv ist, wird keine Probleme mit den traditionellen, kohlenhydratreichen Lebensmitteln wie Brot und Backwaren, Kartoffeln, Reis und Nudeln haben. Doch wer „modern" lebt und den ganzen Tag vor dem Bildschirm und im Auto oder Zug oder Flugzeug sitzt und alles nur noch per Fernbedienung erledigt, kann mit den vielen Kohlenhydraten nicht mehr zurechtkommen. Kohlenhydrate sind ja Treibstoff für arbeitende Muskeln. Aber ohne Muskelarbeit wird dieser Treibstoff nicht verbraucht – und dennoch tanken die Menschen täglich mehrfach diesen Treibstoff nach. Das kann nicht gut gehen! Es entstehen Kohlenhydratstoffwechselstörungen, und die Fettleber folgt auf den Fuß.
Ihr Flexi-Carb-Konzept besagt, dass man Ernährung individuell anpassen muss. Wie funktioniert das?
„Flexi-Carb" bedeutet einfach: Basis der gesunden Ernährung ist eine kohlenhydratreduzierte, stark mediterran ausgerichtete Ernährung, bei der man sich das „Mehr" an Pasta, Pizza, Pane und Patate erst durch entsprechend anstrengende Muskelaktivität „verdienen" muss.
Gibt es die optimale Ernährung?
Nein – jeder Mensch ist anders. Individuelle Empfehlungen müssen an körperliche Voraussetzungen und Muskelaktivität angepasst werden. Aber als Basis für alle kann man die „moderne" mediterrane Ernährung mit weniger Stärke und Zucker nehmen.
Was ist von sogenannten Superfoods zu halten, die als Wundermittel angepriesen werden?
Der Verbraucher wird mit Halbwahrheiten getäuscht. Alle „Superfoods" bieten nichts anderes als, das was herkömmliche Nahrungsmittel ebenfalls enthalten.
Es gibt sehr viele ernährungswissenschaftliche Studien, einige widersprechen sich, und viele Wissenschaftler haben andere Meinungen zum selben Thema. Wie kann man hier noch den Durchblick behalten und die „Wahrheit" finden?
Die Ernährungswissenschaft ist ein methodisch sehr schwieriges Gebiet. Eindeutige Fakten zu schaffen, ist fast unmöglich. Die „Wahrheit" gibt es nicht, nur Annäherungswerte. Das eröffnet die Chance, mit „Thesen" viel Aufsehen zu erregen und Geld zu verdienen. Für Laien ist es praktisch unmöglich, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Womit sind Sie aktuell beschäftigt?
Der Einfluss unseres modernen Lebensstils – zu wenig Muskelaktivität, zu wenig guter Schlaf, zu wenig Sonne – auf unseren Stoffwechsel und damit auf die Folgen der Ernährung.
www.nicolai-worm.de