Kann man die Volljährigkeit eines jungen Erwachsenen ohne Röntgenuntersuchung ermitteln? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn möchte bei angeblich minderjährigen Flüchtlingen das tatsächliche Lebensalter genauer abschätzen. Das soll mit einem mobilen Ultraschall-Handscanner möglich sein.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat dafür ein millionenschweres Projekt in Auftrag gegeben, das seit Anfang 2019 federführend von der Universität des Saarlandes und dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT aus St. Ingbert in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern wissenschaftlich umgesetzt und evaluiert wird. Dieses Verbundprojekt mit Titel KLEVUS (Klinische Evaluation eines neuen Verfahrens der Volljährigkeitsbestimmung mittels Ultraschall) soll innerhalb von zwei Jahren aufzeigen, ob sich mittels Ultraschall tatsächlich die Volljährigkeit anhand knochenaltersspezifischer Entwicklungen von jungen Männern und Frauen belastbar einschätzen lässt. Während das IBMT die entsprechende Hard- und Software entwickelt, kümmert sich die Universität des Saarlandes um die klinische Evaluation.
Folgeprojekt
Grundlegend neu ist dieses Forschungsvorhaben allerdings nicht, denn es basiert auf den Erfahrungen und Evaluierungsergebnissen des ähnlich gelagerten Projekts PRIMSA, das bis 2018 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde. Bei diesem gerade abgeschlossenen deutsch-österreichischen Forschungsprojekt, an dem das Fraunhofer IBMT als Technologiepartner maßgeblich beteiligt war, ging es aber vielmehr darum, die Volljährigkeit ausschließlich junger Frauen per Ultraschall-Handscanner festzustellen. Hintergrund war darin, den Beweis der Minderjährigkeit junger Mädchen zu erbringen, um sie besser vor Zwangsprostitution und sexueller Ausbeutung zu schützen. Ein Problem, das den Behörden insbesondere aus Osteuropa bekannt ist.
Grundsätzlich ist es so, dass sich bei jungen Frauen um das 18. Lebensjahr herum die Wachstumsfuge der Hand, die sogenannte Epiphysenfuge, schließt. Mittels Ultraschall kann diese Verknöcherung gemessen werden. Bei jungen Männern schließt sich diese Fuge aufgrund von Unterschieden in Körperwachstum und Pubertätsentwicklung später. Anhand der Ultraschallmessung kann eine junge Frau als bereits ausgewachsen, oder noch nicht ausgewachsen eingestuft werden oder es ergeben sich Zweifel, die eine weitere Untersuchung nötig machen. In solchen Fällen müsste mithilfe einer richterlichen Anordnung geröntgt werden. Diese klassische Methode gilt in Fachkreisen wegen der Röntgenstrahlung allerdings als belastend und als ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Daher sind diese Röntgenuntersuchungen ohne Einwilligung eines Patienten oder ohne Vorliegen eines richterlichen Beschlusses nicht ohne Weiteres möglich. Die Ultraschallmessung hingegen ist für den Körper unschädlich.
Valides Verfahren
Während der insgesamt vierjährigen Laufzeit von PRIMSA sind neben der Entwicklung des Handscanners Messdaten von rund 140 etwa 18-jährigen jungen Frauen in das Forschungsvorhaben eingeflossen. Nach bisheriger Auswertung erscheint selbst bei dieser geringen Zahl der Messdaten das Verfahren valide, sagt IBMT-Gruppenleiter und Softwarespezialist Dr. Holger Hewener. Er hatte mit seinem Team einen ersten Demonstrator des Handscanners entwickelt, der bereits auf der Medizintechnik-Fachmesse MEDICA Ende 2017 in Düsseldorf der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Aus dem Demonstrator entstand ein Prototyp, der einfach anwendbar ist und in Sekundenschnelle messbare Ergebnisse liefert. Das Handgelenk wird in das Gerät gelegt und wie von einer Manschette umschlossen. Die integrierten Ultraschallköpfe liefern Messdaten, die per Funkschnittstelle an ein mobiles Endgerät wie Handy, Smartphone oder Tablet weitergeleitet und dort in eine einfach verständliche Grafik umgewandelt werden. „Das System funktioniert, vereinfacht ausgedrückt, wie eine Ampel mit den Farben rot, grün und gelb analog zu den drei Klassifizierungen", so Dr. Hewener. Das erlaube ein schnelles Ergebnis und gebe den Anwendern, die lediglich eine Geräteeinweisung benötigen, ein zusätzliches, einfach anzuwendendes Instrument zur Volljährigkeitseinschätzung an die Hand. Ein marktreifes System gebe es aber derzeit nicht. Das sei auch nicht die Aufgabe des Fraunhofer IBMTs, das in erster Linie angewandte Forschung und Entwicklung betreibe. Mit Partnern aus der Industrie wird jedoch eine Weiterentwicklung zur Marktreife angestrebt.
Größere Datenbasis
Im neuen Projekt KLEVUS geht es nun darum, die Datenbasis deutlich auszuweiten und vor allem Messbefunde junger Männer in die Studie miteinfließen zu lassen. An dem neuen Forschungsprojekt nehmen weitere fünf Studienzentren teil, die in einem ersten Schritt mit einem einsatzfähigen Testgerät ausgestattet werden müssen. Je größer die Datenbasis, desto belastbarer die Resultate für die Praxis, hoffen die Forscher und Wissenschaftler. Nach zwei Jahren sollen die Ergebnisse der klinischen Evaluation vorliegen. Die Ethik-Kommission der Saarländischen Ärztekammer hatte grünes Licht für die Erprobung des Sonografie-Verfahrens im PRIMSA-Projekt gegeben. Eine Erweiterung auf das KLEVUS-Projekt wird vorbereitet.
Auf jeden Fall ist das Interesse der Politik groß, ein relativ einfach anzuwendendes Verfahren zu entwickeln, um das Lebensalter angeblich Minderjähriger kostengünstig und schnell hinsichtlich einer möglichen Volljährigkeit belastbar einschätzen zu können. Dabei sollte der Fokus aber nicht nur auf diesen einen Aspekt gelegt werden, denn die Handscanner-Ultraschallmessungen könnten auch die Tür zu anderen Anwendungsgebieten öffnen. Dazu zählen zum Beispiel Altersbestimmungen im Sport, das große Gebiet der Osteoporose oder, über den Gesundheitsbereich hinausgehend, der Einsatz bei Materialprüfungen oder im Consumer-Elektronik-Bereich – technische Innovationen, die neue Möglichkeiten erst erschließen.