Die Leipziger Studentin und Bloggerin Rebecca Jung wurde mit einer seltenen Stoffwechselerkrankung geboren. Sie lebt heute mit einer Spenderleber und engagiert sich für den Verein Kinderhilfe Organtransplantation (KiO).
Frau Jung, bei der Recherche auf der KiO-Website bin ich auf Ihren Blog gestoßen. Wie kamen Sie mit der KiO in Kontakt, sind Sie vielleicht unterstützt worden von der Hilfsorganisation?
Ich habe bereits mehrfach an Veranstaltungen von Kinderhilfe Organtransplantation teilgenommen. Das Mädchen im türkisen Pulli auf dem Flyer? Das bin ich, beim Seminarwochenende in Teistungen. Ich war außerdem bei einer Freizeit in Hirschbach dabei und habe einen Vortrag über meine Geschichte bei einer Mitgliederversammlung des Vereins Sportler für Organspende gehalten.
Beim Start meines Blogs habe ich mich wieder an KiO gewandt, mit der Bitte, den Blog in den Newsletter aufzunehmen, sodass Betroffene auf ihn aufmerksam gemacht werden.
Sie bloggen über Ihr Leben mit der angeborenen Stoffwechselkrankheit Glycogenose. Ab welchem Lebensalter begann sich die Erkrankung zu äußern?
Meine Krankheit hat sich bereits kurz nach der Geburt deutlich gemacht. Meine Haut wurde grau, und ich wurde ganz schlaff. Nach einer Leberbiopsie bestätigte sich der Verdacht auf eine Glycogenose Typ 1a.
Was machte die Erkrankung mit Ihrem Körper?
Je älter ich wurde, desto größer wurde meine Leber. Irgendwann konnte man nicht mehr übersehen, dass ich mich anders als gesunde Kinder entwickelte. Ich war viel zu klein und zu dünn für mein Alter. Mit 13 sah ich aus wie eine schwangere Elfjährige.
Wie lief die Therapie vor der Transplantation?
Meine Eltern mussten mich in ganz regelmäßigen Abständen füttern, und als ich älter wurde bekam ich eine Nahrungssonde für die Nacht. Bis zur Transplantation musste ich strikt nach einem für mich entwickelten Ernährungsplan stündlich bestimmte Mengen Nahrung zu mir nehmen und musste gleichzeitig auf viele Lebensmittel verzichten.
Wann hatten Sie die erste Transplantation?
Die erste Transplantation war am 9. Dezember 2009. Dieses Jahr kann ich also meinen zehnten Re-Geburtstag feiern, juhu!
Waren alle Ärzte für eine OP oder gab es Gegenstimmen?
Die Ärzte, bei denen ich vor der Operation in Behandlung war, unterstützten die Idee einer Transplantation nicht. Bereits kurz nach der Diagnose hatten meine Eltern gefragt, ob eine Transplantation als eine sinnvolle Therapie in Betracht käme. Doch ihnen wurde gesagt, dass eine Diät die beste Therapiemöglichkeit sei. Als schließlich niemand mehr leugnen konnte, dass es der einzige mögliche Weg war, gab auch mein damaliger Arzt sein okay und wir wechselten in die Kieler Uniklinik.
Wann und warum wurde die zweite Leber nötig?
Die zweite Transplantation war drei Jahre später am 27. November 2012. Bereits wenige Wochen nach der ersten Transplantation, noch während des Post-OP-Krankenhausaufenthaltes, hatte ich meine erste Abstoßung. Auch nachdem ich wieder nach Hause durfte, hatte ich immer wieder Komplikationen. Nach zwei Jahren versagte meine Leberfunktion schließlich mehr und mehr. Ich wurde gelb und hatte sehr viel Wasser im Bauch, ganz zu schweigen von dem Juckreiz am ganzen Körper durch das Bilirubin. Meine Leber schaffte es einfach nicht, ihre Aufgaben zu erfüllen. Wieso, weiß niemand so genau. Vielleicht lag es daran, dass mein Körper durch die Krankheit so viel nachzuholen hatte oder daran, dass mein Vater, der mir einen Teil seiner Leber gespendet hat, Träger der Krankheit war.
Mussten Sie lange auf ein geeignetes Organ warten?
Das Telefon hat für mich nie geklingelt. Später habe ich erfahren, dass es zwar wenige Angebote gab, allerdings hatten meine Ärzte Zweifel daran, ob sie wirklich geeignet für mich gewesen wären. Glücklicherweise habe ich eine große, liebevolle Familie. Nach und nach ließen sich immer mehr Verwandte testen und jedes Mal war es ein herber Rückschlag, wenn es doch kein „Match" war. Doch dann haben wir mit meinem Onkel endlich einen passenden Spender gefunden. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich sonst noch für die Suche gehabt hätte.
Sie bekamen also beide Male eine Lebendspende. (Anm. d. Red.: Bei Leberspenden genügt eine Teilentnahme, sodass auch lebende Spender infrage kommen) Welche Probleme hat die neue Transplantation gelöst, welche sind hinzugekommen?
Das Problem, das als Kind in meinen Augen am größten war, war nach der Transplantation ausgelöscht. Ich durfte endlich essen, was ich wollte und wann ich es wollte. Und am besten war, dass ich überhaupt nichts essen musste, wenn mir nicht danach war. Das hatte auch sehr positive Auswirkungen auf meine Psyche und ich bin manchmal selbst erstaunt, wie unwirklich sich mein Leben vor der Transplantation heute anfühlt. Was sich für mich inzwischen als größte Hürde herausstellt, ist zum einen das hohe Infektionsrisiko. Jemand in meinem Freundeskreis niest einmal, und schon liege ich mit Fieber im Bett. Das ist unglaublich anstrengend und man muss ständig auf der Hut sein. Trotzdem komme ich keinen Winter um mindestens einen Infekt drum rum. Die Termine in den Transplantationskliniken sind inzwischen für mich auch zu Stolpersteinen geworden. Glycogenose ist so selten, dass sich kein Arzt wirklich dran traut, um ja nichts falsch zu machen, aber in der Transplantationsmedizin und besonders der Nachsorge setzen unterschiedliche Kliniken unterschiedliche Schwerpunkte. Manchmal ist es sehr schwierig, sich davon nicht verunsichern zu lassen und zu erkennen, welcher Weg für einen persönlich der Richtige ist.
Wie hat sich Ihr Leben allgemein verändert seit der Transplantation?
Die Transplantation hat mir ein freies Leben geschenkt. Ich war in der Lage, mein Elternhaus zu verlassen, um auf ein Musikinternat zu gehen und habe dort Freundschaften fürs Leben geschlossen. Ich habe ein gutes Abi geschrieben, bin allein um den halben Globus gereist und befinde mich jetzt in meinem letzten Studienjahr. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ich das mit meiner Krankheit geschafft hätte. Seit der Transplantation habe ich gelernt, auf meinen Körper zu hören und wie ich ihn unterstützen kann, um möglichst gesund zu bleiben. Heute weiß ich, dass nichts im Leben selbstverständlich ist und bin dankbar für die Chancen, die ich bekommen habe.
Kriegt man als Transplantierter´ein anderes Verhältnis zum Leben, zum Tod?
Unbedingt. Die Erinnerung an das Warten auf das lebensrettende Organ vergisst man niemals wieder. Jedes Jucken, jedes Anzeichen, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte, löst bei mir Panik aus. Könnte es etwas Ernstes sein? Muss ich vielleicht noch einmal transplantiert werden? Muss ich wieder auf die Liste? Was ist, wenn ich kein Organ bekommen kann, bevor es zu spät ist?
Gerade wegen dieser, meist schlummernden, aber immer präsenten Angst, bekommt man ein anderes Gespür für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.
Meine Familie, meine Freunde und mein Partner bedeuten mir alles.
Zu wissen, dass es Menschen gibt, auf die ich vertrauen kann, wenn ich sie brauche ist für mich das Wichtigste auf der Welt, danach erst kommt alles andere.
Würden Sie selbst auch Organe spenden?
Mein Organspenderausweis steckt in meinem Portemonnaie, ausgefüllt und unterschrieben. Aber wichtiger noch, meine Angehörigen wissen, dass ich meine Organe spenden möchte. Sollte mein Organspenderausweis bei meinem Tod aus irgendeinem Grund nicht auffindbar sein, gibt es keinen Zweifel daran, was ich gewollt hätte.
Wie könnte man die Spendebereitschaft der Deutschen erhöhen? Finden Sie zum Beispiel den Vorschlag der Widerspruchslösung gut (Anm. d. Red.: Ohne ein Nein wird man bei Hirntod automatisch Organspender)?
Ich denke, dass es dringend einen Wandel im Denken über die Organspende geben sollte. Allerdings weiß ich nicht, ob die Widerspruchlösung der richtige Weg dazu ist, insbesondere, wenn sie nur von einem Politiker in den Raum geworfen wird, der sie selbst nicht aktiv vorantreiben will. Meiner Meinung nach braucht es Informationen. Geschichten von Betroffenen, sowohl Empfänger als auch Spenderfamilien. Die Leute müssen mit eigenen Augen sehen, dass Organspende eine gute Sache ist, weil sie Leben rettet.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus nach dem Studium?
Wenn ich das wüsste. Zurzeit hänge ich, was das angeht, noch etwas in der Luft, liebäugle allerdings noch mit einem Masterstudium, einigen Auslandsprojekten oder einer Zukunft bei KiO.
Ich schätze, ich sollte mir da langsam wirklich mal Gedanken machen.
Zum Blog von Rebecca Jung: lebenmit3lebern.com