Tampa Bay Lightning war in der National Hockey League schon oft nah dran, doch der große Wurf blieb der Mannschaft aus Florida meist verwehrt. In dieser Saison starten sie erneut als haushoher Favorit in die NHL-Playoffs, doch eine Garantie auf die Meisterschaft gibt es auch dieses Mal nicht.
Acht der letzten zehn Spiele hatten die Tampa Bay Lightning gewonnen, mehr als jede andere Mannschaft in der National Hockey League. Aber keiner dieser Siege brachte dem Verein aus Florida so viele Schlagzeilen ein wie die beiden Niederlagen im selben Zeitraum gegen Minnesota und St. Louis. Es ist in dieser Saison eben fast schon normal geworden, dass Tampa Bay gewinnt. Vom ersten Spieltag an hatte die Lightning in dieser Saison die nordamerikanische Eishockey-Profiliga NHL dominiert – so sehr, dass auf der Webseite der Liga bereits die Frage gestellt wurde, ob überhaupt jemand die Mannschaft schlagen kann. In einem einzigen Spiel sei das sicherlich möglich, wie auch die beiden Pleiten gegen Minnesota und St. Louis gezeigt haben. In einer Play-off-Serie, in der vier Siege zum Weiterkommen notwendig sind, erscheint das in der derzeitigen Situation allerdings kaum vorstellbar. Die Tampa Bay Lightning starten als haushoher Favorit in die diesjährigen NHL-Play-offs, die am 10. April beginnen. Bei den Buchmachern würde man derzeit für einen Einsatz von zehn Dollar noch nicht einmal 20 Dollar zurückbekommen, wenn der Verein am Ende tatsächlich Meister wird. Bei allen anderen Clubs sind es mindestens 85 Dollar. Und als ob es noch eines letzten Beweises bedurft hätte, dass der Titel in dieser Saison nur über die Lightning geht, bezwang das Team von Trainer Jon Cooper im März gleich zwei Mal den Titelverteidiger Washington Capitals, gegen den man im vergangenen Jahr im Finale der Eastern Conference noch auf dramatische Weise gescheitert war.
„Es fühlt sich anders an in dieser Saison"
Damals führte Tampa Bay in der Serie bereits mit 3:2, nur ein Erfolg fehlte zum Einzug ins Endspiel. Doch dann ging der Mannschaft die Luft aus. Die Capitals schlugen zurück und konnten den Spieß mit zwei Siegen in Folge noch umdrehen. Schon 2016 hatte Lightning im Conference-Finale nach sieben Spielen gegen die Pittsburgh Penguins knapp den Kürzeren gezogen (3:4), ein Jahr zuvor waren die Chicago Blackhawks im Stanley-Cup-Finale zu stark (2:4).
In diesem Jahr soll nun aber endlich die Zweite Meisterschaft nach 2004 her. Die Enttäuschungen der jüngeren Vergangenheit dienen dabei als zusätzliche Motivation. Kapitän Steven Stamkos äußerte sich gegenüber der „New York Times" jedenfalls zuversichtlich, dass es dieses Mal endlich klappen könnte mit dem Titel: „Es fühlt sich anders an in dieser Saison. Besonders wir erfahrenen Spieler haben noch den bitteren Geschmack der letztjährigen Enttäuschung im Mund. Ich habe keine Bedenken, dass wir dieses Jahr auch nur einmal den Fuß vom Gas nehmen."
Tatsächlich scheint Tampa Bay überhaupt nicht nachzulassen, sondern gab auch dann noch weiter Vollgas, als der Gewinn der President’s Trophy als punktbestes Team der regulären Saison und damit das Heimrecht in allen entscheidenden Play-off-Spielen längst in trockenen Tüchern war. Mit 59 Siegen aus den ersten 77 Spielen waren die Lightning bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe weiter auf der Jagd nach dem ewigen Rekord der Detroit Red Wings aus der Spielzeit 1995/96 von 62 Siegen in einer Saison. Und selbst der absolute Punkterekord der Montreal Canadiens von 1976/77, die damals 132 Zähler gesammelt hatten, war nach wie vor in Reichweite. „Sie sind zu gut, um nicht gut zu sein", meinte Trainer Rod Brind’Amour beinahe philosophisch, nachdem auch er mit seinen Carolina Hurricanes die Lightning nicht stoppen konnte. „Wir wissen, dass die eigentliche Saison erst noch kommt", sagt Tampas Angreifer Ryan Callahan. „Und deshalb konzentrieren wir uns darauf, uns weiterhin zu verbessern und damit sicherzustellen, dass wir in den Play-offs unser bestes Eishockey spielen."
Der Flügelstürmer ist Teil eines beeindruckenden Offensivensembles. Als erste Mannschaft seit 2005/06 versammelt Tampa Bay gleich drei Spieler – Nikita Kucherov, Steven Stamkos und Brayden Point – mit mindestens 90 Scorerpunkten in seinen Reihen. Insgesamt verfügt der beste Sturm der Liga sogar über fünf Spieler, die in der laufenden Saison schon mindestens 20 Mal getroffen haben – neben den drei bereits genannten Stürmern auch noch Tyler Johnson und Yanni Gourde. Topstar des Teams ist der Russe Kucherov, mit 121 Punkten der Topscorer der ganzen Liga – und das bei deutlich geringerer Eiszeit als sie andere Superstars wie Connor McDavid (Edmonton Oilers), Patrick Kane (Chicago Blackhawks) oder Sidney Crosby (Pittsburgh Penguins) haben. Zusammen mit Point und Johnson bildet Kucherov ein kongeniales Trio, das in der Lage ist, jede Abwehr in der Liga schwindelig zu spielen. Doch auch die anderen Sturmreihen tragen ihren Teil zum Erfolg bei – jede einzelne von ihnen hat insgesamt mehr Tore geschossen als Gegentore kassiert. Derart stimmig ist die Zusammensetzung des Teams, dass Tampa Bay zur Trade-Deadline als einziger Club komplett untätig blieb, weil es auch gar keinen Bedarf gegeben hätte, irgendetwas zu verändern. Der kurz vor Saisonstart aus familiären Gründen zurückgetretene Manager Steve Yzerman hatte ganze Arbeit geleistet und sein Nachfolger Julien BriseBois bislang hervorragend daran angeknüpft.
Tampa Bay stellt außerdem das beste Powerplay der Liga
Es wäre jedoch falsch, den NHL-Spitzenreiter bloß auf seine Offensive zu reduzieren. Auch die Abwehr zählt zu den besten in der National Hockey League, was allerdings angesichts des Angriffswirbels stets ein wenig untergeht. Nur vier Teams kassierten weniger Treffer als die Lightning. Prominentestes Gesicht in der Verteidigung ist der Schwede Victor Hedman, im vergangenen Jahr als bester Abwehrspieler der Liga ausgezeichnet, doch auch auf Ryan McDonagh ist Verlass – er besitzt mit +38 die beste Plus-Minus-Bilanz in der NHL. Im Tor glänzt zudem Andrei Vasilevskiy mit konstant guten Leistungen und ist in sämtlichen Torhüterstatistiken ganz vorn mit dabei. Der Russe gilt als heißer Anwärter auf die Vezina-Trophäe für den besten Schlussmann.
Tampa Bay stellt außerdem das beste Powerplay der Liga und belegt auch im Unterzahlspiel Rang zwei knapp hinter den Arizona Coyotes. Gute „Special Teams" waren in den Vorjahren stets das Manko der Lightning gewesen und auch mit ein Grund dafür, weshalb es nie zum ganz großen Wurf reichte. Umso größer ist die Hoffnung, dass es in dieser Saison endlich klappt.
Eine Garantie ist die ausgezeichnete Hauptrunde allerdings nicht, wie auch Stürmer Alex Killorn weiß: „Um ehrlich zu sein: Es ist großartig. Aber es bedeutet nicht viel." In den vergangenen zehn Jahren hat das beste Team der regulären Saison nur ein einziges Mal später auch den Stanley Cup geholt: Chicago schaffte es 2012/13. Mit den Vancouver Canucks 2011/12 erreichte eine weitere Mannschaft zumindest das Finale, doch ansonsten war für den Hauptrundenprimus fast immer vorzeitig Feierabend.
Auch in dieser Saison rechnen sich durchaus noch andere Mannschaften gute Chancen auf den Titel aus. Die kanadischen Fans drücken den Toronto Maple Leafs um Superstar John Tavares sowie den wiedererstarkten Calgary Flames die Daumen, die im vergangenen Jahr noch die Play-offs verpasst hatten, mittlerweile aber wieder zu den Spitzenteams in der Western Conference gehören. Mit Johnny Gaudreau, Sean Monahan und Elias Lindholm verfügen auch sie über eine nur schwer zu stoppende Angriffsformation, die sich hinter Tampas Top-Trio keineswegs verstecken muss. Die Boston Bruins haben ebenfalls einen erfolgreichen Umbruch hinter sich gebracht und sind wieder mittendrin im Kreis der Favoriten. Auch die San José Sharks zählen zu den Titelanwärtern, ebenso Washington, das die Trophäe sicher nicht kampflos herschenken wird. Mit Torhüter Philipp Grubauer hatte im vergangenen Jahr auch ein Deutscher mit Washington den Stanley Cup geholt, nachdem dieses Kunststück in den beiden Spielzeiten zuvor jeweils schon Tom Kühnhackl mit den Pittsburgh Penguins gelungen war. Ein viertes Jahr in Folge mit einem deutschen Stanley-Cup-Champion erscheint allerdings fraglich. Grubauer spielt jetzt in Colorado, das bei Redaktionsschluss noch um den Play-off-Einzug kämpfen musste; Kühnhackl ebenso wie Torwart Thomas Greiss für die New York Islanders, die wohl höchstens Außenseiterchancen haben. Bei den weiteren deutschen NHL-Spielern Korbinian Holzer (Anaheim), Dominik Kahun (Chicago) sowie Leon Draisaitl und Tobias Rieder (beide Edmonton) sah es dagegen so aus, als würde die Endrunde gänzlich ohne sie stattfinden. Von den Tampa Bay Lightning trennten diese Teams in dieser Saison Welten.