Zusammen gewannen sie mit Manchester United die Champions League. Nun wollen Paul Scholes, Nicky Butt, Ryan Giggs, Phil Neville, David Beckham und Gary Neville (von links) mit einem Amateurverein hoch hinaus.
Alan Hansen gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten des britischen Fußballs. In den 70er- und 80er-Jahren gewann der Schotte als spielstarker Verteidiger Titel um Titel mit dem FC Liverpool, ehe er ins Medienfach wechselte und als langjähriger Experte der BBC profunde Analysen des Fußballgeschehens vornahm. Aber auch Experten können sich irren. Spätestens seit 1995 weiß das auch Alan Hansen. Damals prägte er den legendären Satz „You can’t win anything with kids" – mit Kindern kann man nichts gewinnen.
Der Satz galt Manchester Uniteds damaligem Trainer Alex Ferguson, der sich mit vielen jungen Spielern umgab, um den Neuaufbau des Teams einzuleiten. Ferguson vertraute dabei auf den Kern der Mannschaft, die 1992 den prestigeträchtigen englischen Nachwuchspokal gewonnen hatte. Zu dieser später „Class of 92" getauften Gruppe gehören David Beckham, Ryan Giggs, Paul Scholes, Nicky Butt sowie Gary Neville. Zuweilen wird auch Nevilles zwei Jahre jüngerer Bruder Phil zu dieser Clique gezählt. Der war zwar nicht Teil des siegreichen United-Nachwuchses von 1992, legte aber auch eine blitzsaubere Karriere bei den ‚Red Devils‘ hin und gilt dadurch als ein weiteres Gesicht für die hervorragende Jugendarbeit des englischen Rekordmeisters.
Das gemeinsame Band bringt David Beckham im Dokumentarfilm „Class of 92" auf den Punkt: „Wir spielten tollen Fußball, hatten Spaß und liebten Manchester United." Gabe Turner, Regisseur des 2013 erschienenen Streifens, setzt das damalige Wirken der hochtalentierten Kicker in einen größeren Kontext: „Diese Jungs waren Teil einer massiven, aber lautlosen Revolution." Denn nicht nur für Turner war die „Class of 92" die fußballerische Entsprechung eines modernen Zeitgeistes, den Medien seinerzeit als „Cool Britannia" zusammenfassten. Dazu gehörte die Musik von Bands wie Oasis und Blur, die liberale Politik unter Tony Blair und eben der – vor allem ökonomische – Aufschwung des Fußballs in England. Mit der „Class of 92" eroberte Manchester United die Premier League, während die Premier League die Welt eroberte. 1996 gewannen Beckham und Co. ihre erste gemeinsame englische Meisterschaft und straften Hansen Lügen. Etliche Titel kamen hinzu, gekrönt vom Gewinn der Champions League 1999 in einem hochdramatischen Finale gegen Bayern München.
1996 gewannen sie die englische Meisterschaft
Im Laufe der Zeit trennten sich die Wege. Zumindest teilweise. Denn während Giggs, Scholes und Gary Neville als Profis nie für ein anderes Team als Manchester United spielten, zog es vor allem Beckham in die weite Welt. Er war vielleicht nicht der beste Fußballer der „Class of 92", aber allemal der schillerndste. Er spielte bei Real Madrid, beim AC Mailand, bei Paris Saint-Germain und half als Aushängeschild von Los Angeles Galaxy, Fußball in den USA ebenso beliebt wie profitabel zu machen. Nun erntet er die Früchte dieser Arbeit, denn im kommenden Jahr wird mit Inter Miami ein Team in der US-Profiliga MLS an den Start gehen, das einer Investorengruppe um David Beckham gehört. Aber auch die einstigen Mitspieler blieben dem Fußball verbunden. Gary Neville hat sich nach einem missratenen Intermezzo als Coach des FC Valencia einen Namen als meinungsstarker TV-Experte gemacht, Nicky Butt leitet die Nachwuchsakademie von Manchester United, Ryan Giggs ist Trainer der walisischen Nationalmannschaft, während Phil Neville die englische Frauenauswahl coacht. Nur den schon immer etwas zurückhaltenden Paul Scholes zog es nicht allzu sehr ins Rampenlicht. Er war zuletzt als Trainer beim Viertligisten Oldham Athletic im Umland von Manchester aktiv, verlor aber nach sieben Spielen die Lust und warf hin, weil ihm der Vereinsbesitzer in sportliche Belange reinreden wollte.
Der gemeinsame Draht ging trotz der vielseitigen Beschäftigungen nicht verloren. Ganz im Gegenteil. Denn seit Kurzem ist die „Class of 92" wieder vereint. Allerdings nicht als Spieler, sondern als Vereinsbesitzer, nachdem als letztes Mitglied des legendären Sextetts auch David Beckham Anteile an Salford City erworben hat. Zehn Prozent des Clubs aus Manchesters Nachbarstadt gehören „Becks" seit vergangenem Januar. Er tat es damit seinen einstigen Mitspielern gleich, die bereits im Herbst 2014 jeweils zehn Prozent des damaligen Achtligisten übernahmen. Die restlichen 40 Prozent besitzt der Unternehmer Peter Lim aus Singapur, in dessen Besitz sich übrigens auch der FC Valencia befindet. Mit einem gemeinsamen Statement wurde Beckham von seinen Kumpels begrüßt: „Von Anfang an wollten wir David auf dieser unglaublichen Reise dabeihaben, aber die Umstände erlaubten es noch nicht. Jetzt ist die Zeit gekommen."
Ryan Giggs kam vor ein paar Jahren auf die Idee, bei Salford City einzusteigen. Von dessen Elternhaus bis zum Stadion an der Moor Lane sind es nur knapp drei Kilometer. Giggs’ Bruder Rhodri war zudem als Spielertrainer bei den „Ammies" aktiv. Zu jener Zeit dümpelte der Club in den Tiefen des englischen Amateurfußballs herum und spielte selten vor mehr als 150 Zuschauern. Das klingt natürlich nach urwüchsiger Fußballromantik, doch Giggs wollte mehr für den Ort, in dem er noch immer lebt, und er wollte auch nach seiner Karriere etwas mit den Männern machen, mit denen er so lange zusammenspielte. Also überredete Giggs seine ehemaligen Mitspieler, bei Salford City einzusteigen. Auch für sie ist Salford etwas Besonderes. Denn in diesem tristen Industriestädtchen, nicht weit entfernt von Uniteds legendärem Stadion Old Trafford, befand sich einst das Trainingszentrum des Clubs. Nicht nur beim weltgewandten Beckham („Dort bin ich groß geworden, in vielerlei Hinsicht.") kommen deswegen sentimentale Erinnerungen hoch.
„Dort bin ich groß geworden, in vielerlei Hinsicht"
Vor allem Gary Neville war leicht für das Projekt zu begeistern. Ohnehin mit einem überdurchschnittlichen Sendungsbewusstsein ausgestattet, übernahm er so etwas wie die verbale Führungsrolle unter den gleichberechtigten Investoren. Seine Motivation legte er vor zwei Jahren im Fußballmagazin „11 Freunde" offen: „Bei uns in England sind die großen Vereine zu Trophäen für Milliardäre verkommen. Es geht überhaupt nicht mehr um die Menschen, um eine lokale Gemeinschaft." Von der Liga hat sich der langjährige Premier-League-Star längst entfremdet: „Manchester City gegen Liverpool: Modernes Stadion, guter Fußball. Aber ich genieße Salford City mehr. Das ist das Spiel in seiner reinsten Form. Wir sind lieber hier als in der Premier League." Salbungsvolle Worte, doch ganz so idealistisch geht es in der Realität dann doch nicht zu. Vor allem die Änderung von Wappen und Vereinsfarben vergrätzte langjährige Fans des Vereins. Auch das 2017 eingeführte Vollprofitum, damals noch als Sechstligist, fand nicht nur Freunde. Das Ziel ist klar: In die Championship, die zweithöchste englische Spielklasse, soll es Salford City mittelfristig schaffen. Zu diesem Zweck wurde auch das Stadion ausgebaut, 5.000 Zuschauer fasst es mittlerweile und wurde nach den Arbeiten von keinem Geringeren als Sir Alex Ferguson feierlich wiedereröffnet.
Nach zuletzt drei Aufstiegen in vier Jahren ist Salford City momentan in der fünftklassigen National League am Start und gut dabei im Rennen um den nächsten Aufstieg. Eigentlich keine Überraschung, denn spätestens seit dem vergangenem Sommer ist klar, wie ernst die „Class of 92" ihr Projekt nimmt. Da ließ Salford City seine finanziellen Muskeln spielen und verpflichtete Adam Rooney. Rooney war zuvor durchaus erfolgreich für den FC Aberdeen in der schottischen Premier League und im Europapokal aktiv, konnte aber den finanziellen Verlockungen aus Salford nicht widerstehen. Rund 230.000 Euro soll er nun für seine Dienste jährlich verdienen. Reichlich unverhältnismäßig für einen Spieler in der Fünften Liga. Entsprechend argwöhnisch betrachten Konkurrenten das Treiben am Stadtrand von Manchester. Sie fürchten um den Platz, den ihnen das bestens alimentierte Salford City streitig macht. Doch die „Class of 92" schert sich wenig um solche Diskussionen. Sie wollen ihr Ding durchziehen und ihre Ziele erreichen. Das taten sie schon einmal, auch wenn Alan Hansen ihnen das nicht zutrauen wollte.