Aus einer abgelebten Vereinskneipe wurde eine kiezige Foodbar am unauffälligen Ende der Flughafenstraße: Im „B.Horn", dem jüngeren Bruder des „A.Horn", treffen kurz vor der Hasenheide gutes Essen und gute Drinks unkompliziert aufeinander.
Wer das „B.Horn" durch den Übereck-Eingang betritt, steht vor einem Stück freigelegter Mauer und vor einer Entscheidung: rechts lang, der Nase nach in Richtung Essen? Oder lieber links herum an die Bar zu den Drinks? Uns wurde die Qual der Wahl erspart. Die Inhaber Alexandra Vlachopoulou und Ludwig Horn empfangen uns im rechten Teil des Gastraums, der parallel zur Flughafenstraße verläuft. Oder besser gesagt: deren Ausläufern, bevor sie zum Columbiadamm wird. Dort, an der Flughafenstraßen-Seite, ist hinter dem Tresen das Revier von Küchenchef Jacob Schunck, der nichts anderes im Sinn hat, als den Gästen den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Wohlgeruch, Pfannengeklapper und spontanem Appetitausbruch klarzumachen.
Kurzum: Es duftet uns ungemein lecker an, als wir am großen Tisch in der Ecke miteinander sprechen und erst einmal ein Wasser und hausgemachte Limonaden zu uns nehmen. Zu welchem Gericht gehört dieser aromatische Käse, mit dem an der Kochstation gebrutzelt wird? Die Konzentration lässt bei so einem großen Geruchskino nur zwei Meter entfernt gelegentlich nach. Nun ist es nicht so, als ob wir nichts zu naschen und zu knacken hätten. Ein Schälchen hausgemachtes „Honig-Senf-Müsli", wie es Jacob Schunck nennt, steht vor uns. Ich nenne die Tagesmischung „Curry-Crossies". Sie besteht bei unserem Besuch aus Cornflakes, Sonnenblumenkernen und Mandeln, die mit Senf, Koriander, Muskatnuss und Salz gewürzt und geröstet wurden. Köstlich! Sie eignen sich ebenfalls auf der Fontanestraßen-Seite, bei Barchefin Isabelle Fouquet, als ausdrucksvoller Knabberkram zu Cocktails, Wein und Bier.
Für welche Seite auch immer man sich im „B.Horn" entscheidet: Die Drinks können zum Essen oder das Essen zu den Drinks bestellt werden. Wer nur Lust auf Festes oder Flüssiges hat, bleibt bei dem einen oder dem anderen. Ruhig mehrere Teller bestellen und teilen: Die Portionen sind mit Absicht eher mittel- als riesengroß. Die Preise ebenso – ein Teller liegt im Schnitt zwischen 6,50 und 15 Euro. Für einen hungrigen Esser reicht ein „Scheiterhaufen" aus Barbecue-Ribs etwa sehr wohl aus. Aber auch mit mehreren lässt sich das mürbe, mit süß-saurer Sauce gereichte Rippchenfleisch vom Knochen nagen, ohne dass jemand darben muss. Food-Sharing, Food-Drink-Pairing, Foodbar – so einige der neudeutschen Gastrotrend-Schlagworte treffen auf das „B.Horn" zu. Nur an eines hatten die Inhaber nicht gedacht: „Jemand hat uns in seinem Blog als Gastropub bezeichnet", erzählt Alex Vlachopoulou. „Wir haben uns dann gefragt: ‚Oh, das sind wir?‘"
Alex Vlachopoulou und Ludwig Horn stolperten keineswegs unbeleckt in das Abenteuer „B.Horn" hinein. Sie betreiben seit beinahe neun Jahren das „A.Horn" am Carl-Herz-Ufer/Ecke Baerwaldstraße. „Wir wohnten immer um die Ecke", sagt Alex Vlachopoulou. „Das war schon beim ‚A.Horn‘ so. Wir mussten beide Male aus unseren Wohnungen heraus", sagt Ludwig Horn. Dass sie die Läden fanden, hatte aber sehr wohl damit zu tun, dass sie ihren Kiez kennen. „Wir müssen schon in der Gegend leben und ein Gefühl dafür haben, was da funktionieren könnte." Im „B.Horn" machen sie seit der Eröffnung im Juli 2018 nun „all das, was wir im ‚A.Horn‘ nicht machen, aber immer schon mal machen wollten", sagt Horn. Die Karte ist querbeet international, das Essen zum Teilen gedacht. So tummeln sich neben den Rippchen auch ein Rote-Bete-Carpaccio oder ein gebackener Portobello mit Süßkartoffelstampf und Muskatcreme auf der Karte. Der ausgewachsene Riesenchampignon landet mit seiner halb stückigen Haube bald darauf auch auf einem unserer Teller. „Alex ist Griechin, Isabelle kommt aus Frankreich, und wir reisen gern. Von den Reisen bringt jeder seine Lieblingsgerichte mit, und Jacob gibt ihnen dann einen eigenen Twist." Außerdem sind alle miteinander befreundet und um drei Ecken teils auch verwandt; der Ton ist familiär und freundschaftlich statt arbeitgebermäßig.
„The Dude" als Film-Hommage
Jacob Schunck gestaltet seine Küche sehr produktbezogen mit wenigen Kernzutaten und: „Man kann die Teller immer noch mit etwas anderem kombinieren." Sei es etwa mit einem Blumenkohl mit Nussbutter-Creme und Mandelsemmelbröseln für den Grünhunger oder mit einem Teller Preiselbeer-Serviettenknödeln als klassischere Beilage. Oder mit einem besonders gut korrespondierenden Drink: Isabelle Fouquet bringt einen „Hermann", einen mit Andamanenpfeffer infusionierten Whiskey-Drink mit Kirschlikör, Zitrone und Maraschino-Kirsche herüber. „Probiert mal." Passt extrem gut. Rauch, ordentlich Alkohol, ein bisschen Bitternoten. Aus Frankreich stammt auch der Aligot, ein Frühkartoffelstampf mit Bergkäse, geröstetem Salbei und Zwiebeln. Bei so viel exzessiver Deftigkeit ordern wir gern gleich die Bratwurst dazu. Spätestens als unsere Portion zubereitet wird, wissen wir, woher der Käse weht. Die Begleiterin drückt ihr Wohlbefinden über den Kartoffeltopf poetisch aus: „Das Essen sagt: ‚Mami hat dich lieb.‘ Da ist alles warm und kuschelig."
Selbst ich werde an unerwarteter Stelle kuschelig. Wir bekommen Oktopus mit Drillingen, und eigentlich sind wir uns einig: „Ein Gericht für den Fotografen." Der ist als Sarde von Hause aus jedem Meeresgetier auf dem Teller zugetan. Auch Alex Vlachopoulous als Griechin hat an dieser Stelle einen hohen Anspruch: „Es muss für mich immer ein besonders guter Oktopus sein." Ich probiere einen Anstandshappen. Und bin verblüfft ob der Fluffigkeit und Weichheit der mit Knoblauchöl gegrillten Krakenbeine. So mag selbst ich Oktopus. „Der ist ganz wunderbar", urteilt der italienische Feinschmecker-Fotograf. Ihm gefällt besonders die rauchige Paprikanote. Vor uns landet außerdem eine wie zum Auslöffeln aufgeschnittene warme Blutwurst mit Zwiebel-Rotwein-Chutney. Sie ist eher mild, aber mit der Säure vom Chutney eine kleine, nahrhafte Köstlichkeit, mit der der Küchenchef der Berliner Küche die Ehre erweist.
„Wir bieten gutes Essen an, das nebenbei auch vegetarisch, vegan oder mit Fleisch sein kann", fasst Ludwig Horn das Küchenkonzept zusammen. Alles kann, nichts muss. So wie es der Umgebung, irgendwo zwischen neuem Nord-Neuköllner Hipsterhausen und altem, roughem Dunkel-Kiez mit schwieriger sozialer Mischung entspricht. Ein Glück, dass Alexandra Vlachopoulou und Ludwig Horn der Gentrifizierung selbst einen Schritt voraus waren. Sie konnten das große, alte und arg angejahrte Vereinslokal mieten, bevor die Gewerbemieten noch im hinterletzten Winkel von Nord-Neukölln durch die Decken gingen. Spekulativer Leerstand, gerade auch mit Gastro-Immobilien, ist dort inzwischen keine Seltenheit mehr.
Isabelle Fouquet macht uns derweil auf die Cocktails aufmerksam. „Die drei Musketiere" entfleucht es mir angesichts von kleinen, zinnsoldatenartig nebeneinander aufgereihten dreischichtigen Kaffee-Schnäpperken. Wodka-Kaffeelikör, Espresso und Vanillesirup vereinen sich zu einem „kalten Caffé Corretto", wie der Fotograf es ausdrückt. In jedem Fall sind die drei ein koffeinhaltiger Auftakt zum „Dessertgewitter". Denn gleichzeitig reicht Jacob Schunck ein Birnenkompott unter Espresso-Kakaoschaum und Maiskrokant aus der Küche. Das ist ein Birnen-Schoko-De-Luxe-Pudding mit Popcorn – sehr dunkel, sehr intensiv, fruchtig und herb.
So richtig kriegerisch wird’s dagegen auf dem zweiten Teller. Darauf lagert Macadamia-Salzkaramell-Parfait auf kandierter Orange und eingekochtem Sirup. „Das ist eine Waffe. Damit kannst du Kriege gewinnen", ist der Fotograf überzeugt. Wie bitte? „Damit stellst du jeden ruhig, der dir was will, so gut ist das." Ah ja. Wir haben jedenfalls mit diesen eisgekühlten Schnittchen unsere kulinarischen Schlachten erfolgreich geschlagen und beendet. Darauf noch einen „Agnostic Sour" und einen neuzeitlichen „White Russian", der jetzt „The Dude" heißt und mich mit drei Kaffeebohnen-Augen auffordernd anfunkelt. Beim nächsten Besuch geht’s dann zur Abwechslung gleich links herum zu Isabelle Fouquet an die Bar und zum ausgiebigen Weitertrinken.