Die IHK hat zum Jahresbeginn die Diskussion um den Saarbrücker Autobahntunnel (Stadtautobahn) neu entfacht. Inzwischen hat die Kammer die Idee weiterentwickelt und zum Thema im Kommunalwahlkampf gemacht. Hauptgeschäftsführer Heino Klingen über die Leitinvestitionen und die Attraktivität der Landeshauptstadt.
Herr Klingen, die Wiederbelebung der Idee „Stadtmitte am Fluss" und Autobahntunnel hat ein eher zwiespältiges Echo gefunden. Warum halten Sie ein solches Großprojekt für erforderlich?
Ich würde heute nicht mehr von „Stadtmitte am Fluss" sprechen, sondern von „Leben am Fluss". Der Begriff „Stadtmitte am Fluss" ist durch die Tunnellösung „verbrannt". Das mag man bedauern, hat aber auch Vorteile. Denn es gibt gute Alternativen zum Tunnel. Ein Ansatz ist, dass man die Autobahn, so wie sie jetzt ist, einhaust oder umhaust, sozusagen einen Tisch draufstellt und an der Seite mit modernen Lösungen für Lärm- und Wasserschutz sorgt. Das wäre eine deutlich günstigere Lösung als die Tunnelvariante. Die Idee ist zwar nicht ganz neu, aber mir geht es jetzt darum, die Diskussion – sozusagen technologieoffen – neu ins Rollen zu bringen. Weniger Lärm, neue Flächen, mehr Attraktivität – darum geht es. Also die durch die Autobahn separierten Stadtteile Alt-Saarbrücken und St. Johann räumlich so zusammenzuführen, dass im Herzen der Landeshauptstadt ein neues Wohlfühlklima entsteht.
Warum glauben Sie, dass die schon mehrfach totgesagte Idee jetzt eine Chance hat?
Wir haben inzwischen ganz andere Bedingungen als noch vor einigen Jahren. Da ist etwa der Fachkräftemangel, der sich noch weiter verschärfen wird. Denn bis 2030 verliert das Saarland rund 150.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter, unter anderem weil die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten zehn Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Schon deshalb brauchen wir eine attraktive Landeshauptstadt mit Magnetfunktion für junge Arbeitskräfte. Ein ganz neuer und wichtiger Faktor ist zudem das Helmholtz-Institut. Professor Backes (Anm. d. Red.: Gründungsdirektor CISPA/Helmholtz) hat ja eine kontroverse Diskussion darüber angestoßen, was im Einzelnen zu tun ist, damit sich das Helmholtz-Zentrum zum führenden Cybersicherheitsinstitut in der Welt entwickeln kann und der Funke auf die Wirtschaft überspringt, etwa beim Thema autonomes Fahren. Dies vorausgesetzt, ist damit zu rechnen, dass es dann zu zahlreichen Spin-offs kommt, die ihrerseits auf engagierte Mitarbeiter angewiesen sind. Anlocken und im Land halten – das kann nur klappen, wenn das Umfeld stimmt und die Landeshauptstadt ein ansprechendes Ambiente bietet.
Eines der Hauptargumente gegen das Projekt waren und sind die beträchtlichen Kosten.
Hier haben sich die Rahmenbedingungen deutlich verbessert. Im Bund sprudeln dank guter Konjunktur seit Jahren die Steuereinnahmen, im Saarland ist der Landeshaushalt ausgeglichen und selbst in Saarbrücken ist ein solcher Ausgleich in greifbarer Nähe. Vor allem aber fließen ab 2020 über den neuen Länderfinanzausgleich Jahr für Jahr rund 500 Millionen Euro ins Land. All das lässt das Kostenargument in einem ganz anderen Licht erscheinen. An der Finanzierung muss das Projekt deshalb nicht mehr scheitern. Erst recht nicht, wenn die „teure" Tunnellösung durch eine andere lärmreduzierende und platzschaffende Umhausung der Autobahn ersetzt wird.
Mit den Erfahrungen anderer Großprojekte warnen viele auch vor den Dimensionen und jahrelangen unabsehbaren Belastungen eines solchen Unterfangens.
Städtebauliche Großprojekte brauchen Zeit. Und natürlich ist so ein Bauvorhaben immer auch mit Verkehrsbehinderungen verbunden. Aber wie das Beispiel der gerade erfolgreich sanierten Wilhelm-Heinrich-Brücke zeigt, können auch große Vorhaben minimalinvasiv ausgeführt werden. Ein professionelles Baustellenmanagement hätte sicherzustellen, dass diese Erfahrungen genutzt werden und die Innenstadt während der gesamten Bauphase gut erreichbar bleibt, um Kaufkraftabflüsse auf ein Minimum zu reduzieren.
Kritiker befürchten, bei der Dimension eines solchen Projektes würde sich wieder alles auf Saarbrücken konzentrieren, der Rest des Landes bliebe außen vor. Eine unberechtigte Befürchtung?
Das ist ein alter Vorwurf, der schon in der Vergangenheit falsch war. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man sich im Land umschaut. Denn hier ist viel passiert in den letzten Jahren. In Neunkirchen das neue Bliesufer, in Saarlouis das Projekt „Ravelin V" an der Vaubanstraße oder die städtebauliche Wiederbelebung des barocken Erbes in Blieskastel – alles Vorzeigeprojekte außerhalb Saarbrückens. Im Übrigen sollte es in einem Land überschaubarer Größe mit knapp einer Million Einwohner und einer einzigen Großstadt selbstverständlich sein, dass diese besondere Aufmerksamkeit erfährt und eine Sonderrolle innehat. Hier gilt es, den Vorteil der Kleinheit zu nutzen: Was in Saarbrücken glänzt, strahlt ins ganze Land hinein. Umgekehrt zeigen Erfahrungen in anderen Regionen, dass sie ohne attraktive Großstadt besonders unter Bevölkerungsschwund und Verödung leiden.
Für die Finanzierung würde auch der Bund gebraucht. Dort steht das Projekt nicht einmal auf der Prioritätenliste.
Es ist richtig, dass das Projekt nicht im Bundesverkehrswegeplan steht. Wir haben jedoch mit Peter Altmaier, Heiko Maas und Annegret Kramp-Karrenbauer politische Schwergewichte in Berlin. Auch das gehört zu den veränderten Rahmenbedingungen. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wen es ihnen nicht gelänge, Verkehrsminister Scheuer von dem Projekt zu überzeugen und die nötige Kofinanzierung durch den Bund sicherzustellen.
Mit der Messe scheint ein anderes, lang diskutiertes Großprojekt Konturen anzunehmen. Geht das aus Sicht der Wirtschaft in die richtige Richtung?
Für uns ist die Messe die zweite wichtige Leitinvestition in der Landeshauptstadt. Diesbezüglich gibt es mittlerweile Zusagen vom Bund. Es geht dabei insgesamt um ein Volumen von 100 Millionen Euro. Jetzt kommt es darauf an, die beste Lösung für die „neue Messe" zu finden. Hier sehe ich im Prinzip zwei Möglichkeiten. Eine erste Option wäre, dass man die bestehende Congresshalle mit einem Erweiterungsbau in den Bürgerpark hinein „verlängerte". Oder dass man alternativ dazu vor der Congresshalle ein neues Gebäude hinstellt. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Um die beste Lösung herauszufinden, sollte man die Entscheidung objektivieren und einen städtebaulichen Realisierungswettbewerb ausloben.