Maximilian Gotzler, ehemaliger Leistungssportler, hat sein Leben mit Biohacking optimiert. Im Interview spricht er über seinen Weg und verschiedene Methoden.
Herr Gotzler, was genau ist Biohacking?
Biohacking setzt sich zusammen aus „Bio" für Biologie und „Hacking", eine Art der systematischen Entschlüsselung. Es geht also um ein besseres Verstehen unserer eigenen Biologie. Biohacking ist dabei kein Trend oder ein Dogma, sondern eine Art Werkzeugkiste. Genau wie ein Schamane versucht, die Chakrenflüsse zu untersuchen, versucht ein Biohacker zu verstehen, wie die biologischen Systeme miteinander funktionieren. Zum Beispiel, wie sich Ernährung und Bewegung auf den Schlaf auswirken. Mit Messungen, Daten und Studienergebnissen macht er diese Zusammenhänge verifizierbar. Ich versuche, die Werkzeuge dann zu bündeln und sie den Leuten zur Verfügung zu stellen, damit sie diese in ihre eigenen Hände nehmen und etwas verändern können.
Wie kamen Sie zu Biohacking?
Ursprünglich komme ich aus dem Basketball. Für ein Stipendium war ich vier Jahre in den USA und habe dort auf höchstem Leistungsniveau gespielt. Wir hatten damals einen Trainer, der uns sehr vermessen hat. Jede Woche habe ich in unserem Umkleideraum eine Tabelle bekommen mit meinen Zahlen und den Veränderungen zur Vorwoche. Darauf basierend konnte ich meine Leistungen und mein Training ideal anpassen, um dann zum wichtigsten Zeitpunkt, zu den Play-offs, topfit zu sein. Ich fand das Konzept sehr spannend. Als ich zurück nach Deutschland kam, hatte ich die Idee mitgenommen und ein Diagnostik-Start-up zur Analyse von Blutwerten gegründet. Wir haben Leuten geholfen, ihre Blutwerte über eine Webseite zu interpretieren und gleichzeitig versendbare diagnostische Tests angeboten. Die Ergebnisse haben wir mit ein paar Ratschlägen versehen, zum Beispiel „Trink ein Glas Wasser nach dem Aufstehen" oder „Gehe 30 Minuten in die Sonne".
Nach und nach habe ich darum mein heutiges Konzept Flowgrade gebaut. Mittlerweile konzentriere ich mich mehr auf das Inhaltliche. Ich habe eine Podcast-Serie angefangen, betreibe einen Blog und habe das Buch geschrieben. Jetzt basiert unser Geschäftsmodell viel mehr auf Life-Coaching: den Leuten beibringen, wie sie ihr Leben gesund gestalten können.
Wie haben Sie denn gelernt, die eigene Biologie zu hacken?
Ich habe eigentlich Psychologie und Ökonomie studiert, also weder Medizin noch Biologie. Was ich allerdings gelernt habe, ist, dass sowieso alles zusammenhängt. Als Biohacker kommt man nicht drum herum, sich auch mit Physik, Neurochemie und sogar Lichtbiologie auseinanderzusetzen.
Ich habe einfach begonnen, Selbstexperimente zu machen, also zum Beispiel zu messen, wie sich mein Testosteronspiegel mit meinem Schlafverhalten oder meinen Ernährungsgewohnheiten bewegt. Das war höchst spannend!
Wie kann man Biohacking wissenschaftlich erklären?
Es kommt darauf an, was man verändern will. Die Ziele beim Biohacking sind sehr individuell. Dazu habe ich einmal eine Umfrage unter meinen über 20.000 Lesern gemacht. 70 Prozent in etwa wollen abnehmen, 25 Prozent mehr Energie haben und motivierter sein. Interessanterweise gibt ein ebenfalls großer Anteil an, dass die Ansprüche an sich selbst sehr hoch sind und dass sie besser damit umgehen wollen. Das ist aber auch das Besondere an Biohacking: Es gibt Ihnen ein Werkzeug an die Hand, verschiedene Methoden und Techniken zu finden, um ein Problem zu bearbeiten. Wenn ich zum Beispiel Stress bewältigen will, würde eine gewisse Atemtechnik helfen. Wenn ich abnehmen möchte, ist Ernährung meistens der erste Schritt. Danach aber schon wieder Stress und auch Schlaf ist ein ganz wichtiges Thema.
Was versteht man unter dem Flow-Zustand?
Der Flow beschreibt nach dem Glücksforscher und Namensgeber Mihály Csíkszentmihályi das Glücksgefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung und kompletten Aufgehens in einer Tätigkeit. Ich kenne den Zustand aus meinen Tagen als Basketballer. Die Basketballer nennen diesen Zustand „in the zone". Jeder Bereich von Performern hat einen anderen Namen für diesen Zustand, in dem man sich komplett im Moment verlieren kann, vergisst, was andere über einen denken und einfach mit dem Energiefluss mitfließt.
Ich glaube, jeder kennt diesen Zustand. Manch einer vielleicht beim Wandern, der andere beim Basketball spielen und der dritte beim Schreiben. Mein Ziel ist ein Leben mit möglichst vielen Momenten im Flow-Zustand, in denen man sich verlieren kann und möglichst präsent ist. Einfach einer Aktivität nachgehen und nicht an morgen oder gestern denken. Das ist für mich ein erfülltes Leben.
Welche Biohacks gibt es?
Bevor sich eine Person nach Biohacks umschaut, sollte sie erst mal definieren, was sie denn eigentlich erreichen will. Ich glaube, wenn dir bewusst wird, was du für dich selbst willst, dann hast du später eine viel größere Motivation, die richtigen Werkzeuge zu finden.
Die Anzahl an verschiedenen Biohacks ist dabei unbegrenzt, und ständig kommen neue hinzu. Ein Biohack ist ein Eingriff in deine Lebensweise oder in dein Umfeld, der sich auf deine biologischen Prozesse auswirkt. Das kann eine Atemtechnik sein, eine Ernährungsweise, eine wärmende Rotlichtlampe, eine kalte Dusche am Morgen oder ein Kaffee mit Butter und Kokosöl.
Wie optimiert man denn zum Beispiel seinen Schlaf?
Auch hier gilt, erst einmal zu definieren, was genau ich optimieren will. Will ich mich erholter fühlen, schneller regenerieren, tiefer schlafen oder alles zusammen? Schlaf ist ein stark rhythmischer Vorgang. Das bedeutet, je mehr sich jemand an die natürlichen Zeitgeber wie Lichtverhältnisse, Temperatur und Ernährung hält, desto einfacher wird es sein, eine passende Schlafrhythmik zu entwickeln.
Danach gibt es unzählige Dinge, die man optimieren kann, vom Material seiner Matratzen über Beleuchtung, Luftqualität, Trainingsprogramm, Nährstoffe und die Reduzierung von elektromagnetischen Feldern im Schlafzimmer. Speziell hierzu haben wir mit Flowgrade ein Schlaf-Upgrade-Programm entworfen, um unseren Kunden diese Dinge Schritt für Schritt beizubringen.
Kann dies auch bei Menschen mit Schlafstörungen funktionieren?
Das kommt auf die Schlafstörung an. Bei Verdacht auf ein medizinisches Problem empfehle ich immer erst, zu einem Arzt zu gehen. Ich habe einige Schlafmediziner und Chronobiologen in meinem Netzwerk, an die ich Leute vermittle, die erst einmal herausfinden müssen, wo genau das Problem liegt. In sehr vielen Fällen liegt es dann an zu viel Stress.
Welche Möglichkeiten gibt es, sich im Wachzustand zu regenerieren?
Eine der effektivsten Methoden, um einen erfolgreichen Tag zu beginnen, ist eine Morgenroutine zu etablieren. Diese kann kurz sein, wie zum Beispiel ein Glas Wasser mit Zitronensaft und Salz trinken, um die Nebenniere und den Stoffwechsel zu aktivieren.
Ich persönlich gehe immer kurz auf meine Terrasse und mache ein paar Liegestütze, bevor ich meine Kaffeebohnen für meine erste Tasse Kaffee mahle.
Was kann man gegen Stress und Reizüberflutung machen? Gibt es da bestimmte Übungen?
Eine effektive Technik bei einem Anflug von Stress ist, tief zu atmen und dabei den Atem zu verlangsamen. Atme dabei ein bisschen länger aus als ein, das aktiviert den Parasympathikus. Das ist besonders effektiv, wenn du dabei aufstehst und tief bis in den unteren Rücken einatmest.
Kann man Produktivität erlernen? Wie?
Es gibt zwei Seiten von Produktivität, die objektive und die subjektive. Mein Ziel ist, diese beiden soweit wie möglich zusammenzubringen. Der erste Schritt zu einer hohen von außen wahrgenommenen und selbst empfundenen Produktivität ist Priorisierung. Was ist wichtig? Was ist nicht wichtig? Hier machen die meisten Leute – auch ich – schon immense Fortschritte.
Inwiefern kann Biohacking – wie Sie schreiben – zu einer längeren Lebenszeit beitragen?
Das beste Beispiel ist hier schlafen. Der Schlaf ist mit das wichtigste Element für ein gesundes Selbst. Die Vermutung liegt nahe, dass jemand, der tief und fest und rhythmisch schläft, ein langes und gesundes Leben erwarten darf.
Zu Biohacks gehört etwa auch die Nutzung von Licht als Therapie. Wie funktioniert die Anwendung?
Wir Menschen sind rhythmische Wesen. Über die Evolution haben sich unsere biologischen Prozesse stark an das verfügbare Sonnenlicht gekoppelt. Denn über Tausende Jahre ist eines immer passiert: Die Sonne ist jeden Tag auf- und untergegangen. Wir werden wach, wenn die Sonne aufgeht, sind voller Energie am Vormittag und späteren Nachmittag und werden müde, wenn das Tageslicht und die Temperatur wieder abnehmen.
Hier gilt, die natürlichen Lichtverhältnisse wieder aufzunehmen und die vielen künstlichen Lichtquellen, wie auch Smartphones und Tablets, zu reduzieren. Ein effektiver Biohack hier ist das Tragen einer Blueblocker-Brille, also einer Brille, die blaue Lichtfrequenzen herausfiltert. Das erlaubt unserem Körper, das Schlafhormon Melatonin zu produzieren und auf natürliche Weise müde zu werden.
Warum ist etwa auch intermittierendes Fasten ein Biohack?
Obwohl das Konzept des Heilfastens schon sehr lange bekannt ist, sind die positiven Auswirkungen auf unseren Körper erst in den letzten Jahren genauer untersucht und wissenschaftlich belegt worden. Mittlerweile häufen sich Studien, die zeigen: Regelmäßiges Fasten unterstützt den Stoffwechsel, fördert das Immunsystem und erhöht die Zellerneuerung. Mittlerweile gibt es zahlreiche verschiedene Methoden des intermittierenden Fastens. Dabei ist das Grundkonzept nach wie vor sehr einfach. Es gibt im Grunde zwei Regeln. Erstens: Wähle ein Zeitfenster für die Fastenperiode zwischen 16 und 24 Stunden. Zweitens: Faste in diesem Zeitfenster. Ich persönlich habe mir eine Routine geschaffen, in der ich zweimal pro Woche faste, dienstags und donnerstags. Das gibt meinem Körper genug Zeit, um Zellerneuerung zu betreiben.
In welchen Bereichen haben Sie sich persönlich optimiert?
Ich sage immer, ich bin selbst mein bester Kunde und muss mich täglich an meine eigenen Vorsätze erinnern. Ich glaube, darum verstehe ich auch meine Kunden so gut, denn ich kenne die Probleme von Reizüberflutung, fehlender Disziplin oder auch depressiven Phasen nur zu gut. Ich brauche immer wieder mal einen Tag, um mich wieder in Balance zu bringen, ich glaube das brauchen wir alle.
Mein Ziel ist ein Leben mit möglichst vielen Momenten im Flow-Zustand, in denen man sich verlieren kann und möglichst präsent ist. Einfach einer Aktivität nachgehen und nicht an morgen oder gestern denken. Das ist für mich ein erfülltes Leben.