„Keine Vermögenssteuer durch die Hintertür!" contra „Die polnische Grenze ist nicht München-Bogenhausen": Wie erhebt man eine gerechte Grundsteuer? Die Interessen sind unterschiedlich. Klar ist nur: Bundesfinanzminister Olaf Scholz muss bis zum Jahresende eine Reform durchsetzen.
Stellen Sie sich vor, ein nagelneuer Porsche mit 580 PS kostet genauso viel Kfz-Steuer wie ein alter VW-Käfer mit 38 PS. Unvorstellbar? So ungefähr beurteilten die Verfassungsrichter in Karlsruhe vor genau einem Jahr die veranlagte Grundsteuer in Deutschland. Fazit: Die Erhebung sei nicht mehr zeitgemäß und ungerecht. Folgerichtig erging ein Auftrag der Verfassungsrichter an die Politik: Bis zum 1. Januar 2020 müssen die „Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer" neu geschrieben werden.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) war da gerade mal drei Wochen im Amt. „Ich habe ein Erbe angetreten, das vor mir niemand haben wollten, aber ich muss es jetzt annehmen", beschreibt der Hanseat immer mal wieder die leidvolle Aufgabe. Seine Kritik zielt in erster Linie auf seinen Vorgänger Wolfgang Schäuble, den König der schwarzen Null: Der hätte sich der Reform der Grundsteuer schon im Vorfeld annehmen können, ja aus staatspolitischer Räson müssen. Seit Langem war klar, dass diese juristisch auf neue Füße gestellt werden muss. Schäuble wusste, warum er es nicht tat. „Mit dem Thema kann man nur schwer punkten", ist auch dem haushaltspolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Eckhardt Rehberg klar. Steuergesetze passen nun mal nicht auf einen Bierdeckel – und die Berechnung der Grundsteuer schon gleich gar nicht.
Schäuble hat sich um die Aufgabe gedrückt
Zu berücksichtigen sind teils einander entgegengesetzte Interessenlagen. Da wären die der Länder und Kommunen – letztere bestreiten ihren Lebensunterhalt auch über die Grundsteuer. Dann sind da die Mieter und Vermieter. Die Wohnungs-, Eigenheim- und Fabrikbesitzer oder Landwirte mit großen oder kleinen Gütern. Es gibt große Grundstücke mit kleinen Häusern und umgekehrt. Mit Autobahnanschluss oder ohne. Ist in der Nähe ein Bahnhof oder gar Flughafen? Natürlich spielt auch die Lage – Nord und Süd, Ost und West – noch eine Rolle. All diese Interessenlagen und Einzelkriterien müssen unter einen Hut gebracht werden.
Der Hintergrund: Ein Haus am Münchener Stachus mit acht Wohneinheiten hat einen anderen Wert als eines im mecklenburg-vorpommerischen Güstrow. Wie soll der Wert nun berechnet werden – Mieteinnahmen mal Bodenrichtwert geteilt durch die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten vor Ort? Und ist der steuerliche Wert einer Lagerhalle direkt am Frankfurter Flughafen vergleichbar mit ihrem Pendant in Gelsenkirchen neben dem stillgelegten Bergwerk? Wohl kaum. Wie berechnet man gerecht die Besteuerung von Grund und Boden und den Gebäuden, in denen wir arbeiten und leben? Immerhin rund 35 Millionen solcher Einheiten sind bundesweit betroffen.
Die Grundsteuer ist eine der wichtigsten Einnahmen der Kommunen und umfasst fast 15 Milliarden Euro im Jahr. Kommt bis Ende dieses Jahres keine Neuregelung zustande, fehlt das Geld den Kämmerern in Stadt und Land ab Januar. Der Bundesregierung würde damit im kommenden Frühjahr ein deutschlandweiter Aufstand der Bürgermeister ins Haus stehen. Und auch nicht unwichtig ist: Der bürokratische Aufwand zur Neuberechnung muss im Verhältnis zum Ergebnis stehen. Dass 35 Millionen Gebäude und Grundstücke nicht in vier Wochen neu berechnet werden können, ist jedem klar. Vor allem die Immobilienwirtschaft befürchtet bei der Neuordnung der Grundsteuer ein wahres Bürokratiemonster. Parallel haben Millionen von Mietern Angst, dass mit dieser Neuordnung die Mieten vor allem in den Ballungsräumen noch weiter steigen. Und die Wohneigentümer haben die politisch Agierenden im Verdacht, durch die Hintertür „Grundsteuer" gleich mal eine Vermögenssteuer mit einzuführen.
Aktuell stehen einander zwei Berechnungswege gegenüber: Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat das „wertabhängige Modell" (WAM) in der Pipeline. Grundstücksort, Bodenrichtwert und Mieten sind die Berechnungsgrundlage. Nach dem Scholz-Plan müssen die Richtwerte für Gebäude und Grundstücke nicht einzeln erhoben werden, sondern sie orientieren sich an Mikrozensus- und Katasterdaten und den ortsüblichen Vergleichsmieten. Die könnten im Internet überprüft werden, so der Finanzminister. Der Vorteil seines Modells: Es wäre ein Update der bestehenden Bewertung und kein Systemwechsel. Bundesweit könnten sich nicht nur die Beamten der Finanzämter freuen, auch die Vermieter würden die Neuberechnung ohne größeren Aufwand hinbekommen.
Ist Grund gleich Grund?
Daran hat nun vor allem die CSU ihre Zweifel. „Viel zu kompliziert und bürokratisch!" polterte umgehend der bayerische Finanzminister Albert Füracker (CSU). Die CSU und Teile der CDU haben sich auf das „wertunabhängige Modell" (WUM) eingeschossen. Der Clou: Beim WUM soll nur die Fläche, auf der das Gebäude steht, zugrunde gelegt werden. Besitzer von Mietpalästen der gehobenen Klasse kommen mit diesem Modell natürlich viel besser weg. Nicht nur Linke, Grüne und SPD machen da nicht mit, auch Besitzer von nicht so teurem Wohneigentum würden diese Gleichbehandlung als zutiefst ungerecht empfinden. „Ein Haus an der polnischen Grenze darf nicht genauso besteuert werden wie ein Haus in München-Bogenhausen", bringt es Thüringens Finanzministerin Heike Taubert (SPD) auf den Punkt. Sie kann verstehen, dass ausgerechnet Bayern für das wertunabhängige Modell plädiert, bundesweit stehen die teuersten Anwesen schließlich im Freistaat. „Aber das Verfassungsgericht hat uns ganz klar den Auftrag erteilt, dass in der Grundsteuer auch der Wert der Immobilien berücksichtigt werden muss. Das ist ja schon die Systematik der Steuern, nur dann sind sie auch gerecht", beschreibt Taubert die Position der SPD-Länder. Eine Lösung könnte die von der Union geforderte Öffnungsklausel sein (siehe Interview). Sie soll es den Ländern ermöglichen, eigene Regeln zu erlassen, etwa indem man einen der Faktoren, die in die Berechnung der Grundsteuer eingehen, in die Obhut der Länder legt. Damit könnte auch die SPD leben, aber nur, wenn zukünftig auch der Immobilienwert in der Grundsteuer berücksichtigt wird.