„Die Welt neu denken": Nichts Geringeres hatten die Bauhaus-Künstler vor. Sie schufen vor 100 Jahren Architektur, Kunst, Gebrauchsgegenstände, stellten Fragen, die von Weimar und Dessau aus in die Welt ausstrahlten. Bis heute – zu erkunden per Himmelsleiter im neuen Bauhaus-Museum Weimar.
Kaum treten die Besucher Weimars aus dem Bahnhof, fällt der Blick auf eine Stele. „Das Bauhaus kommt aus Weimar" verkündet sie schwarz auf weiß. Darunter eine Kinderwiege in den Farben Gelb, Rot und Blau, sie besteht aus Dreiecken, Quadraten und Kreisen.
Das passt, wurde doch in Weimar das Bauhaus geboren. Der 20-jährige Peter Keler zimmerte 1922 diese Wiege und orientierte sich an dem von Wassily Kandinsky entwickelten Farbkanon. Die Wiege war Bauhaus-Stil pur. Sie zierte schon die erste Bauhaus-Ausstellung 1923 und wurde bald zu einer Bauhaus-Ikone.
Peter Keler schenkte sie 1967 den Kunstsammlungen zu Weimar als Grundstock für die im Aufbau befindliche Bauhaus-Abteilung. Seither ist sie Weimars größter Schatz – und zum 100. Bauhaus-Geburtstag überall präsent: Auf Plakaten und Prospekten, auf dem Stadtplan und dem reichhaltigen Veranstaltungskalender.
„In dieser Wiege habe ich als Baby gelegen, in unserer Berliner Wohnung am Rüdesheimer Platz Nr. 3", erzählt Jan Keler, Peter Kelers Sohn, bei einem Treffen in Weimar. Zwei leicht vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos, die der Vater 1942 machte, zeigen den einjährigen Jan in dieser Wiege, „aus der ich fröhlich die damals wenig erfreuliche Welt anlächle", schmunzelt der heute Erwachsene. „Damals hatte mein Vater die Wiege mal weiß gestrichen", fügt er hinzu. Sie habe 1943 sogar eine Bombennacht, bei der die Berliner Wohnung in Brand geriet, unbeschädigt überstanden.
Später wurde die Wiege restauriert und erhielt die Originalfarben zurück.. Genau so steht sie nun als eines der Top-Exponate im neuen Bauhaus-Museum Weimar, das am 6. April eröffnet wurde. Gekostet hat es statt der geplanten 22,6 Millionen Euro rund 27 Millionen. Doch erstmals kann jetzt Weimar seine 13.000 Stücke umfassende, weltweit älteste Bauhaus-Sammlung angemessen präsentieren.
Der weiße, schnörkellose Kubus, geplant von der Berliner Architektin Heike Hanada, strahlt den Besuchern entgegen. Die ins Mauerwerk eingelassenen Leuchtbänder machen das Bauwerk auch nachts lebendig. Im Eingang schillert den Besucherinnen und Besuchern die „Sonnenuhr für Raumechos" von Tomás Saraceno entgegen.
Drinnen ist das Museum in fünf Ebenen unterteilt, die in zweigeschossigen offenen Räumen ineinander übergehen. Erd- und Untergeschoss sind für alle frei zugänglich. Eine fünfzigstufige relativ schmale Treppe, die sogenannte Himmelsleiter, verbindet die Stadtseite mit der Parkseite, wo sich das Terrassencafé befindet. Einen Fahrstuhl gibt es natürlich auch.
Weimar, kulturell geprägt von Goethe und Schiller, von Johann Sebastian Bach und Franz Liszt sowie durch die Anna-Amalia-Bibliothek und das Deutsche Nationaltheater (in dem 1919 die Weimarer Reichsverfassung beschlossen wurde), ist ein Brennglas der deutschen Geschichte. Der Standort des neuen Museums gleich neben dem im Hitler-Reich errichteten Gauforum – nun Sitz der Stadtverwaltung – und unweit vom KZ Buchenwald, war lange Zeit umstritten. Doch die Stadt hat sich entschieden, ihre Geschichte offensiv anzugehen, sich zu den dunklen Flecken ihrer Vergangenheit bekennen. Auch Großfotos von ehemaligen KZ-Insassen begleiten die Weimarer und ihre Gäste vom Bahnhof bis zum Bauhaus-Museum.
Zu den Glücksfällen für Weimar – auch wenn die erzkonservative Bevölkerung das anders sah – gehörte die Bauhausgründung am 12. April 1919 durch Walter Gropius (* 18. Mai 1883 in Berlin; † 5. Juli 1969 in Boston, Massachusetts). Nicht in der politisch turbulenten Reichshauptstadt, sondern im beschaulichen Weimar wollte er seine Ideen verwirklichen. Sein berühmtes Manifest lautet: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau". Der Bau der Zukunft sollte „alles in einer Gestalt sein: Architektur und Plastik und Malerei".
Für diese neue staatliche Bauhaus-Schule konnte Gropius die bedeutendsten Künstler als Lehrer gewinnen, so Lyonel Feininger, Johannes Itten, Gerhard Marcks, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky, Georg Muche und László Moholy-Nagy. Sehr unterschiedliche Charaktere gingen ans Werk, es wurde gestritten und experimentiert. Nach dem Motto „Die Welt neu denken" sollten neue Bauten und Utensilien für den neuen Menschen geschaffen werden. Diese Vorgabe erfasste auch Malerei, Musik, Tanz und Theater sowie das Design von Möbeln, Geschirr und Textilien.
In der rund 1.000 Exponate umfassenden Dauerausstellung wird das deutlich erkennbar – in Lyonel Feiningers „Kirche von Gelmeroda XI" ebenso wie in der Tischlampe von Wilhelm Wagenfeld, den Sesseln von Marcel Breuer und Mies van der Rohe oder Keramiken von Theodor Bogler. Obwohl das Bauhaus nur 14 Jahre lang wirkte – ab 1925 dann von Dessau aus – entwickelte es sich, auch dank der Medienarbeit durch Walter Gropius, zur einflussreichsten Architektur- und Designschule in Deutschland und Europa hinaus. Die damalige Frage „Wie wollen wir zusammen leben?" ist nach wie vor höchst aktuell.
Die Dauerausstellung verteilt sich auf drei Geschosse. Im ersten Obergeschoss steht Peter Kelers Wiege in einem Glaskasten, was Jan Keler nicht recht gefällt. Der Versuchung, daran zu wackeln, wollten die Ausstellungsgestalter sicherlich vorbeugen. „Kippen könnte die Wiege jedoch nicht, das verhindert das lange schwere Rundholz in Bodennähe", weiß Jan Keler. Nahebei ist auch eine Installation von Textauszügen aus dem erwähnten Gropius-Manifest zu sehen. „Der neue Alltag" als weiteres Thema präsentiert funktionale, nach dem Baukastenprinzip gestaltete Küchenmöbel. Ein Foto zeigt die neue Frau als Automechanikerin.
„Volks- Statt Luxusbedarf"
Das zweite Obergeschoss widmet sich der Bühne als Kreativitätszentrum. Dort gefallen die Marionetten von Julia Feininger für das Stück „Tausend und eine Nacht" sowie die Figürchen von Kurt Schmidt zur Geschichte „Der kleine Bucklige". Zudem läuft auf einer Leinwand, leider farblich schwach, Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett", der Hit beim Eröffnungsfestival des Bauhaus-Jahres im Januar in Berlin.
Und im dritten Stock lauten die Fragen „Scheitern?" und „Was bleibt"? Dabei geht es um das nachhaltige Wirken der drei Bauhausdirektoren Walter Gropius, Hannes Meyer und Mies van der Rohe. Von Hannes Meyer, der „Volksbedarf statt Luxusbedarf" forderte, hat man nur seinen Text „Die neue Welt" inszeniert.
Anders agierte Walter Gropius. Vor dem politisch bedingten Umzug des Bauhauses 1925 nach Dessau ließ er die Bauhausalben mit den Fotos der designten Stücke in Weimar. Nach vielen Jahren wurden sie zufällig unter Gerümpel auf einem Dachboden entdeckt. Ins Bauhaus-Museum sind sie nicht umgezogen.
„Die brennendste Frage des Tages überhaupt" stellte Walter Gropius in seiner Rede zur Beteiligung des Bauhauses an der Bau-Ausstellung in Stuttgart 1924: „Wie werden wir wohnen, wie werden wir siedeln, welche Formen des Gemeinwesens wollen wir erstreben?" Diese Fragen beherrschen auch ganz aktuell die Diskussionen in der Bundesrepublik Deutschland. Das Bauhaus kommt nicht nur aus Weimar; es lebt wieder in Weimar – und nicht nur dort.
Doch das ist noch nicht alles. Passend zum Start des Bauhaus-Museums wurde auch das Neue Museum Weimar, ein Prunkbau von 1869, nach umfänglicher Sanierung wieder eröffnet. Beide Museen bilden den Kern des künftigen „Quartiers Weimarer Moderne".
Die Dauerausstellung im Neuen Museum widmet sich der Moderne um 1900 und den Vordenkern des Bauhauses: Friedrich Nietzsche, dem Museumsdirektor Harry Graf Kessler und insbesondere dem Alleskönner Henry van de Velde, der die Kunstschulbauten schuf, in denen sein Nachfolger Walter Gropius sein staatliches Bauhaus starten konnte. Sie bilden die jetzige Bauhaus-Universität und gehören zum Unesco-Weltkulturerbe. Die Studenten haben Bauhaus-Spaziergänge entwickelt und zeigen den Gästen das wiederhergestellte Direktorenzimmer von Walter Gropius sowie die ehemalige Kunstgewerbeschule mit den rekonstruierten Malereien von Oskar Schlemmer im Treppenhaus.
Wegweisend war auch das Haus am Horn, das nach Rückbau und nachgefertigter Möblierung am 18. Mai, dem Geburtstag von Walter Gropius, wieder besucht werden kann.
Die Kuratorin Anke Blümm zeigt den Grundriss dieses Musterhauses, geplant von Georg Muche zur ersten Bauhaus-Ausstellung 1923. Das kantige Haus erntete damals Spott und Hohn, gehört nun aber als einziges Bauwerk aus der Weimarer Bauhaus-Zeit genauso zum Unesco-Welterbe wie Goethes Wohnhaus.
Grund zum Feiern – und das tut Weimar ausführlich: Im April und Mai werden rund 300 Veranstaltungen angeboten, darunter neue Stadtrundgänge „Das Bauhaus und die Weimarer Moderne".
Der Clou für Sportliche ist jedoch der „100 Jahre Bauhaus"-Marathon" am 28. April durch Weimar und das Weimarer Land, bei dem die Teilnehmer in sogenannten Kulturauszeiten auch die Höhepunkte aus 100 Jahren Bauhaus kennenlernen.