Die einzigartigen Bilder der Fotokünstlerin Sylwia Makris (45) ziehen den Betrachter in ihren Bann. Im Interview spricht die Münchnerin mit polnischen Wurzeln über ihren Bildstil, die opulente Bildserie mit der Black Metal-Band Behemoth, die Zusammenarbeit mit Ausnahme-Model Melanie Gaydos, ihre Definition von Schönheit und ihre aktuellen Projekte.
Frau Makris, wie hat sich ihr Bildstil entwickelt?
Mein Stil war früher im Grunde derselbe wie heute. Aber die technische Qualität war damals noch eine ganz andere Welt.
Sie lichten Stars und Musiker ab. Wie kamen die Kontakte zustande?
Meist sehen Leute meine Arbeiten und melden sich dann bei mir. Ich bin sehr offen für interessante und ungewöhnliche Menschen und Projekte. Und wenn ich sage: „Machen wir!", bin ich in diesem Moment schon dabei und wäge nicht noch eine Woche das Für und Wider ab.
Kürzlich haben Sie eine kunstvolle Bildserie für das aktuelle Album der erfolgreichen Black Metal-Band Behemoth erstellt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Ich hatte bereits Kontakt zu Orion, dem Bassisten von Behemoth. Vor ein paar Jahren hatte ich Porträts von ihm gemacht. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich meine Bildserie „Old Masters" veröffentlicht, in der ich verschiedene außergewöhnliche Menschen zeige, deren besondere Geschichte erzählt wird. Zum Beispiel ein Junge, der 75 Kilo abgenommen hat, oder ein Mädchen, das ohne Beine geboren wurde, den Volltätowierten Rick Zombie, Albino-Model Shaun Ross, Schauspielerin Nora Tschirner …
Daraufhin meldete sich Nergal, der Sänger von Behemoth, bei mir und war interessiert an Fotos im Stil dieser Serie für das Booklet der nächsten CD. Wir haben uns schließlich in Berlin getroffen und die Details besprochen. Es war schnell klar was wir machen, und wie es wirken soll. Da ich es schade fand, dass daraus nur ein Booklet entstehen sollte, fragte ich ihn, ob er auch Lust hätte, die geplanten Bilder auszustellen. Und so kam es dann auch. Die erste Ausstellung war in Danzig, danach Berlin, Warschau, London, New York und Los Angeles. Es war eine sehr angenehme Zusammenarbeit mit der Band, da Nergal sehr schnell entscheidet und sich sofort an die Umsetzung macht. Er sucht Menschen, die zu ihm passen und lässt ihnen dann großen kreativen Freiraum.
Wo wurden die Bilder aufgenommen?
Ich arbeite sehr minimalistisch. Für meine Fotos brauche ich eigentlich nur einen schwarzen Hintergrund. Minimalistisch und ruhig und mit einem kleinen, gut eingespielten Team.
Nergal sagte mir das auch genauso zu, und ein paar Tage später meldete sich jemand von der Produktion bei mir: „Sylwia, wir haben ein Fotostudio mit 4.000 Quadratmetern, reicht dir das?" So sind die Bilder in einem riesigen Fernsehstudio in Polen entstanden, in dem locker 30 Sattelschlepper Platz finden würden.
Einige Fotos sind provokant, es werden biblische Szenen dargestellt – etwa mit Nergal am Kreuz oder Melanie Gaydos als Engel. Haben Sie auch negative Reaktionen erhalten?
Wir hatten uns anfangs Gedanken gemacht, wie die Bilder wohl in Polen ankommen. Deshalb konnte nicht jeder zu unserer Ausstellung kommen, man musste sich per E-Mail anmelden. Behemoth hat mit großen Widerständen der polnischen Regierung und dem konservativen religiösen Lager zu kämpfen. Es gab aber keine negativen Reaktionen. Ich denke, das liegt an der Ästhetik der Bilder. Sie verwirrte die Leute und sie wussten nicht, ob sie beleidigt sein sollen oder nicht. Die Einstellung ist eigentlich naiv – auf den klassischen Gemälden von Heiligen werden auch normale Menschen aus dem Volk gezeigt, keine echten Heiligen. Aber man stößt wohl doch auf immer mehr offene Köpfe. Wir haben niemanden beleidigt. Es heißt „Gott ist unser Vater" und theoretisch kann jeder Jesus sein. Ich sehe nichts Skandalöses darin.
Sie arbeiten häufig mit speziellen Model-Typen zusammen, etwa mit Melanie Gaydos. War es Ihre Idee, sie in das Projekt mit Behemoth einzubinden?
Ja, das war meine Idee. Ich habe früher schon oft mit Melanie zusammengearbeitet und sie Nergal vorgeschlagen. Ich fand es gut, eine Person zu haben, die als verbindender Geist oder Dämon die ganze Serie zusammenhält und bei der man nicht genau weiß, ob sie gut oder böse ist, die zwiespältig bleibt. Bei dem Foto „The Flying Of Holy Bartholomew" zum Beispiel weiß man nicht, ob Melanie dem Märtyrer beisteht oder ihm noch mehr Schmerz zufügt.
Neben außergewöhnlichen Models sind etwa auch immer mehr Curvy Models in Magazinen, auf dem Laufsteg und bei Instagram zu sehen. Denken Sie, dass sich das Schönheitsideal wandelt?
Ich denke, es kommt auf den Bereich an. Kunst und Laufsteg sind für mich zwei ganz unterschiedliche Welten. Models wie Melanie Gaydos sind für mich perfekt für Kunstprojekte.
Auf dem Laufsteg hingegen geht es um das Produkt, um Bekleidung. Und wie wir wissen präsentiert man diese am besten an dünnen Leuten mit bestimmter Körpergröße. Die Kollektionen werden in einer Größe gefertigt und alle Models müssen hineinpassen. Außergewöhnliche Typen nimmt man hier eher, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass runde Frauen Mode auf dem Laufsteg gut präsentieren können, es sei denn es ist Mode für runde Frauen. Menschen sollen sein, wie sie sind und man darf nicht ständig versuchen, andere ändern zu wollen. Menschen, die ein Problem mit ihrem Gewicht haben, hätten keins, wenn sie nicht ständig hören würden, dass sie zu dick sind. Toleranz ist wichtig. Es ist so viel Platz für verschiedene Typen in verschiedenen Projekten.
Was ist Schönheit für Sie persönlich?
Alle Menschen sind schön. Es ist wirklich schwer für mich, jemanden zu finden, den ich als wirklich hässlich bezeichnen könnte. Hässlichkeit definiere ich mehr über den Charakter als über das Äußere. Das Aussehen haben wir nicht selbst gewählt. Jeder hat das bekommen, was er hat, wir haben uns unsere Nasen oder Ohren nicht aus einem Katalog ausgesucht. Manche Menschen sind von innen hässlich und diese innere Hässlichkeit malt sich manchmal ins Gesicht.
Ich finde auch Narben oder andere Merkmale auf unserem Körper interessant, da sie uns einzigartig machen und unsere Geschichte zeigen.
Ich habe einmal einen Workshop in einer Schule für 14- bis 15-jährige Mädchen gegeben und den Schülerinnen gezeigt, wie so schöne Frauen in Zeitschriften am Computer entstehen. Diese Frauen existieren so in Wirklichkeit gar nicht. Ich versuchte zu zeigen: „Ihr braucht das alles nicht." Doch nach fünf Minuten wollten alle so aussehen wie die retuschierten Frauen.
Möchten Sie auf Ihren Fotos überhaupt schöne Menschen zeigen, oder eher die düstere Seite der abgebildeten Personen, um damit eine skurrile Atmosphäre zu schaffen?
Wenn ich ein Projekt starte, suche ich passende Menschen – interessante Menschen. Wer kann mit seinem Gesicht meine Geschichte erzählen? Die Arbeiten sind sozusagen auch ein Selbstporträt – ich erzähle meine Geschichten durch diese Menschen. Da brauche ich besondere Gesichter.
Als düster oder gruselig sehe ich meine Bilder nicht an. Es ist wirklich interessant, was andere Leute in ihnen sehen. Ich mag es auch, wenn ich unerkannt durch meine Ausstellung gehe und höre, wie die Besucher die Bilder interpretieren und bin total erstaunt, was sie alles darin sehen …
Ihre Fotos bestechen durch dieses starke Licht- und Schattenspiel. Wie erzeugen Sie dieses?
Das ganze Geheimnis bei meiner Arbeit ist, dass ich sehr minimalistisch arbeite. Die Betrachter denken oft, dass ich in einem Luxus-Studio mit unendlich komplexer Beleuchtung arbeite, aber eigentlich benutze ich meistens nur eine Lampe. Ich mag keine High-End-Studios und keine komplexen Aufbauten. Renaissance-Bilder sind meine große Inspiration, dieses Spiel zwischen Dunkelheit und Licht. Von hier habe ich diese Faszination für die einfache und nachvollziehbare Ausleuchtung. Die Menschen stehen bei mir dabei immer im Licht.
Ihre Fotos sind höchst professionell. Wie haben Sie das fotografische Know-how erlernt?
Ich habe mir das alles autodidaktisch erarbeitet. Die ersten drei Jahre hatte ich keine Ahnung, was „Blende" et cetera bedeutet. Ich habe einfach an den Kameraeinstellungen gedreht und geschaut, welchen Einfluss das auf das Ergebnis hat. War einmal eine gute Einstellung gefunden, habe ich oft über Monate nichts an Zeit, Blende und Helligkeit der Lampe geändert. So konnte ich mich auf das Wesentliche, das Einfangen der richtigen Emotion, konzentrieren. Auch bei Photoshop ging es zunächst darum, einfach zu experimentieren. Ich finde, das ist effektiver als ein Workshop, bei dem man zu viele technische Informationen bekommt, deren praktischen Nutzen man als Anfänger noch gar nicht versteht. Meine Methode war eher „trial and error".
Entstehen die meisten Bilder in Ihrem Studio in München?
Früher mehr. Heute setze ich eher größere Projekte um. Das neue Samurai-Projekt habe ich in Berlin fotografiert. Ich reise und mache vor Ort die Fotos. Das Fotografieren geht schnell, die Bildserie später vor dem Rechner zusammenzuschweißen nimmt dann unglaublich viel Zeit in Anspruch.
Wie lange dauert denn die Bearbeitung?
Das kann pro Bild ein paar Stunden, aber auch ein paar Tage dauern. Das liegt dann nicht nur an dem jeweiligen Bild, sondern auch an meiner jeweiligen Tagesform. Es gibt Zeiten, zu denen ich schnell arbeite und gerade in einem Flow bin, aber dann kommt manchmal etwas dazwischen – zum Beispiel muss ich mit meiner Tochter Hausaufgaben machen – und danach ist dieser Schwung plötzlich weg. Dann kann ich die richtige Farbe nicht finden oder bin unglücklich mit irgendetwas. Bei Menschen verändere ich nicht viel. Der Hintergrund nimmt meist viel mehr Zeit in Anspruch, ich baue die Hintergründe selbst in Photoshop. Vor allem bei der Arbeit an Bildserien ist das schwer, da sie alle im selben Stil bearbeitet werden müssen. Da lasse ich mir dann besonders viel Zeit mit der Farbfindung und mit Kompositionen.
Wie muss ein Bild sein, damit Sie zufrieden sind?
Ich bin fast nie zufrieden – ich könnte immer noch eine Farbe verändern oder eine Falte auf einem Stoff entfernen. Ich setze mir manchmal eine Zeitgrenze, wo ich mir sage „Jetzt sitzt du an diesem Bild noch zwei bis drei Stunden, und dann ist Schluss." Und dann versuche ich wirklich, mich daran zu halten. Wenn diese Zeit gekommen ist, kann ich aber nicht sagen, dass ich superglücklich damit bin. Manche wollen, dass ich ihnen meine fünf besten Bilder schicke – die habe ich gar nicht. Ich könnte an jedem noch etwas verbessern. Aber wenn ein Künstler sagt: „Meine Bilder sind so toll", dann ist das das Ende. Dann entwickelt man sich nicht mehr weiter …
Suchen Sie die Make-up-Artisten, die die Models schminken, selbst aus? Lassen Sie Ihnen freie Hand oder sagen Sie Ihnen genau, wie das Make-up sein soll?
Häufig ist meine große Tochter Magdalini dabei, die neben der Schule am Wochenende eine Ausbildung zur Make-up-Artistin gemacht hat. Wenn sie mal keine Zeit hat, suche ich mir jemanden. Am besten über Empfehlungen. Bei Bewerbungen kann jemand wunderbar retuschierte Photoshop-Bilder schicken, ohne dass man sieht, was jemand wirklich kann. Ich suche mir Menschen, die auch dieses Kunstgefühl haben, und die verstehen was ich haben möchte, wenn ich ihnen ein Bild zeige. Dann gebe ich nur die Richtung vor, ansonsten haben sie freie Hand.
Arbeiten Sie mit einem festen Team?
Ich arbeite immer mit meinem Lebenspartner Christian Martin Weiss zusammen. Wenn er fotografiert, assistiere ich ihm und umgekehrt. Meine Tochter macht ja meist das Make-up. Ich arbeite auch mit der Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater in München zusammen. Bei meinem Samurai-Projekt haben zwei Master-Studierende das Make-up gemacht. Die Leute von der Theaterakademie beherrschen die hohe Kunst der Maskenbildnerei, machen tolle Perücken und können auch Special Effects und vieles mehr umsetzen. Diese Zusammenarbeit wird sich auch weiterentwickeln. Ich brauche ja nur selten reine Beauty-Make-ups für Fashion-Bilder, für meine Kunstprojekte benötige ich Künstler, die auch mal Gegenstände bauen können.
Welche Shootings waren Ihre Highlights?
Jedes Projekt ist anders, ganz besonders war für mich aber mein letztes Projekt über Samurai. Es war eine besondere Ehre, mit originalen historischen Rüstungen aus der Sammlung von Herrn Peter Janssen, Samurai Museum Berlin-Dahlem, arbeiten zu dürfen. Aus dem Material dieses Projektes haben wir den wunderschönen Bildband „Samurai – Armour & Art" gestaltet, der gerade auf den Markt gekommen ist.
Haben Sie Lieblingsfotos von sich?
Mein aktuelles Lieblingswerk ist der Altar aus der Serie „Thou art Darkness" mit Behemoth. Es ist ein tatsächlicher Altar aus vier Einzelbildern mit zwei beweglichen Seitenflügeln. Das offene Format beträgt 270 mal 270 Zentimeter.
Gibt es ein Wunschmodel oder einen bestimmten Musiker oder Schauspieler, den Sie gerne einmal fotografieren möchten?
Christopher Walken! Er hat ein sehr interessantes Gesicht. Hoffentlich klappt das mal irgendwann.
Karl Lagerfeld war auch ein sehr interessanter Mensch. Den hätte ich auch gern mal kennenlernen wollen.
Welche Projekte stehen bei Ihnen an?
Vom 26. April bis 7. Juni findet die erste Ausstellung des Samurai-Projektes in der Galerie ART Supermarkt in Potsdam Golm statt. Die Bilder sind auf Leinwänden in zwei Metern Größe produziert. Hier habe ich eine Methode entwickelt, die Leinwände weiter zu bearbeiten. Durch mehrere Schichten verschiedener Lacke entstehen besondere Effekte, die die Bilder wie alte Malereien wirken lassen. Diese Effekte lassen sich durch Reproduktion nicht wiedergeben, da die Oberfläche der Bilder viele winzige Risse, Unregelmäßigkeiten im Lack, Unebenheiten aufweist, die ein Foto nur in einem nahen Ausschnitt wiedergeben kann.
Gleichzeitig läuft meine „Tarot"-Serie weiter. Die ersten zwölf Motive sind in der Galerie „Underdog" in London zu sehen. Die Serie ist aber längst nicht abgeschlossen. Es werden nach und nach weitere Motive entstehen. Solange, bis ich ein komplettes Tarotset zusammenhabe.
Weitere Infos: www.instagram.com/sylwiamakris oder www.sylwiamakris.com