Chris Blank war Rapper, Video-Producer und Fotograf. Jetzt hat der gebürtige Saarländer seinen kompletten Besitz verkauft und seine Wohnung gekündigt, um mit 200 Euro in der Tasche eine Weltreise zu starten – das größte Abenteuer seines Lebens. Am 1. Januar ging’s los, auf unbestimmte Zeit und ohne festen Wohnsitz.
Chris, wie bist Du auf die Idee gekommen, Deine Zelte in Deutschland abzubrechen?
Ich habe von Ende 2015 bis Anfang 2018 eine chinesische Firma im Marketing betreut. Dabei lernte ich zwei Fotografen kennen, die damals eine ähnliche Reise-Idee hatten wie ich. Diese Begegnung hat sich in meinem Kopf eingebrannt. Ich wollte zwar immer schon reisen, hatte aber nie Geld dafür. Bei meiner Tätigkeit als Foto- und Videograf habe ich mir genügend Skills angeeignet, um genau diesen Mut, auf den es ankommt, zu fassen. Ich sagte mir: ‚Hey, du brauchst eigentlich gar kein Geld. Du hast das Talent. Versuch es doch einfach international.‘ Einen Tag später habe ich dann meine Wohnung gekündigt, mein Gewerbe abgemeldet und begonnen, mein gesamtes Hab und Gut zu verkaufen. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf diese deutsche Mentalität, bei der man bis zur Rente arbeitet, um sich dann irgendwann mal eine Reise leisten zu können. Denn genau das hier, was ich jetzt mache, werde ich, wenn ich Anfang 70 bin, nicht mehr schaffen. Die Vorstellung, immer in Saarbrücken zu sitzen und nur ab und an mal einen Freund zu besuchen, gefiel mir außerdem nicht.
Da ich von jeher ein Faible für Asien, die Kultur und die Menschen hatte, dachte ich mir ‚Brich hier am besten alles ab und mach dich auf den Weg.‘ Eine Rolle dabei spielt sicherlich auch, dass ich keine Lust mehr hatte auf das typische deutsche Rumgehetze. Jeder gegen jeden, anstatt jeder miteinander. Das, was aktuell in Deutschland passiert, auch in Sachen Flüchtlingshetze, ist nichts, wovon ich ein Teil sein will.
Also die Reise als Chance zum Kulturaustausch und zur Selbstverwirklichung?
Ja. Ganz nach dem Motto: Lerne andere Leute kennen, die genauso ticken wie du. Verabschiede dich von diesem ganzen Kapitalismus und dem geregelten Arbeitsalltag. Und mach einfach das, was dich die ganze Zeit schon erfüllt hat. Ich war beispielsweise einen Monat lang in Vietnam unterwegs, davor in Portugal. Ich bin mit 200 Euro los. Vielleicht auch deshalb, um meinen Freunden und Bekannten zu beweisen, dass es keinen Grund gibt, sowas nicht zu tun. Man muss sich einfach selbst aus der Komfortzone Deutschland raustrauen. Obwohl Deutschland eigentlich ein wundervolles Land ist, denn hier ist ja alles relativ sicher.
Und dann ging’s los …
Ja. Ich bin mit einem Billigflug für fünf Euro nach Portugal, hab da jemanden kennengelernt, der mir mit meiner Drohne ermöglicht hat, Immobilien-Fotografie zu machen. In den ersten drei Wochen habe ich mir also das Geld verdient, um das Ticket nach Asien zu bezahlen.
Wie kam’s eigentlich dazu, dass Portugal die erste Station war?
Ich war dort schon im letzten Jahr und finde das Land klasse. Außerdem war das Wetter zu der Zeit in Portugal viel besser als in Deutschland. Ein Bekannter stellte mir eine Wohnung zur Verfügung. Ich hatte so keine Kosten und konnte deutlich günstiger leben als irgendwo anders, alles in allem für gerade mal vier Euro am Tag. Irgendwann bin ich dann rüber nach Vietnam.
Warum gerade Vietnam?
Europa machte mich nicht wirklich glücklich, denn ich hatte dort schon vieles gesehen. Ich war hier während meiner beruflichen Tätigkeit sehr viel unterwegs. Kurz: Europa war mir nicht anders genug, denn alles in allem ist man hier gut abgesichert. Es gibt eine funktionierende Infrastruktur und so weiter. Ich wollte einfach andere Menschen sehen, anderes Klima und eine andere Kultur kennenlernen. Genau das mache ich jetzt.
Wie war denn Dein Tagesablauf? Der sah ja wohl anders aus als beim typischen Pauschaltouristen?
Also in Portugal habe ich drei- oder viermal gearbeitet und dafür gutes Geld gekriegt. Ansonsten war ich viel unterwegs, hab viel fotografiert und Freunde besucht. Eigentlich ähnlich wie in Deutschland auch, denn schon dort hatte ich ja keinen Acht-Stunden-Arbeitstag. Aktuell, also in Asien, arbeite ich mehr als in meinem kompletten Leben zuvor – acht bis zehn Stunden am Tag. Das umfasst dann Tätigkeiten wie Fotografieren und Videodrehen, aber auch Website-Pflege und die Produktion des Contents für Instagram oder Youtube.
Hast Du denn überall Netz?
Du wirst lachen. Es gibt, glaube ich, in keinem Land dieser Welt so eine schlechte Netzabdeckung wie in Deutschland. Selbst in einem 300-Seelen-Örtchen in Thailand habe ich über 4G.
Wie hat denn eigentlich Deine Familie auf Deine Reisepläne reagiert?
Durchweg positiv. Gut, meine Uroma ist ein wenig altmodisch. Die hat sich schon Sorgen gemacht. Vor allem, was ich essen werde (lacht). Aber meine Mutter und mein Vater finden das echt gut.
Gab’s eigentlich für Dich sowas wie einen „Zusammenprall der Kulturen"?
Also davor hatte ich wirklich Angst. Und ja, in Hanoi sieht es schon anders aus. Da sind zum Beispiel Urwaldbäume mitten in der Stadt, es ist laut, und die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Aber durch diese weltweite Vernetzung kennt man das ja alles. Und wenn du nicht völlig durch den Wind bist, weißt du auch, worauf du dich einstellen musst. Der Kulturschock blieb also aus. Dazu muss ich sagen, dass ich in Vietnam noch versucht hatte, dieses Backpacker-Touristen-Ding durchzuziehen, war nirgendwo wirklich lange und bin von Ort zu Ort gehetzt. Dennoch habe ich nur das halbe Land geschafft. In drei Monaten werde ich mir noch mal den Süden ansehen. In Thailand merkte ich dann relativ schnell, dass es wichtig ist, mal einen Gang zurückzuschalten und nicht immer auf der Suche nach Content für meinen Blog zu sein. Denn was nutzt es, alles am Ende des Tages zusammenzuschneiden, ohne mal wirklich innezuhalten. Ich hörte auch damit auf, mir alles anzuschauen, was mir irgendjemand mal empfohlen hat. Manchmal liege ich einfach nur in der Hängematte und schaue Youtube-Videos.
Hast du also gelernt loszulassen?
Ja, voll. Ich mache mir selber gar keinen Druck mehr. In Thailand habe ich zum Beispiel auch wenig Bilder gemacht. Klar, ich habe die Kamera immer dabei, aber ich gehe nicht gezielt auf die Suche nach Motiven. Das hat auch damit zu tun, dass Thailand ziemlich touristisch ist. Und wenn ich mir einen tollen Wasserfall anschauen möchte, kostet das meist Geld. Das habe ich halt nicht. Da bleibe ich lieber in der näheren Umgebung, unterhalte mich mit den Einheimischen und anderen Backpackern oder unterhalte mich auch mal mit gar keinem.
Was waren, würdest Du sagen, bisher Deine wichtigsten Eindrücke?
Meine beste Erfahrung machte ich gerade letztens, als ich sechs Tage lang am Strand gewohnt habe. Dieser lag Richtung der Kambodschanischen Grenze. Es war geiles Wetter und abseits der Tourismus-Hochburgen. Eigentlich wollten ich und eine russische Backpackerin nur eine Nacht bleiben, daraus wurden dann vier. Dort kamen wir dann in Kontakt mit den echten Einheimischen. Da wird es mit dem klassischen Kulturaustausch schon schwierig, denn es spricht niemand Englisch. Der krasse Gegensatz dazu bildet die Insel Koh Chang, auf der ich mich jetzt gerade befinde. Hier ist es fast wie auf Mallorca. Da habe ich persönlich lieber meine Ruhe. Aber ganz so voll wie sonst ist es Gott sei Dank im Moment nicht, da es gerade eine Unwetterwarnung gab, also wie der Ballermann im Januar sozusagen. Diesen klassischen kulturellen Austausch kriegst Du halt eigentlich nur, wenn du das klassische Couchsurfing machst. Aber das ist mittlerweile so populär, dass die meisten Leute immer ausgebucht sind. In Vietnam hatte ich damit echt positive Erfahrungen gemacht. Dort wurde ich von einem Arzt zum Essen eigeladen. Er erzählte mir, wie das mit dem vietnamesischen Gesundheitswesen ist und dass er gerne mal nach Deutschland käme, um sich einfach zu verbessern. Und obwohl hier alles zugegebenermaßen sehr minimalistisch ist, sind die Leute wirklich glücklich. Das konnte ich auch beobachten, als ich drei Wochen lang mit dem Roller unterwegs war. Da musste ich mich mit Händen und Füßen durchfragen und lernte das Land auf diese Weise ganz anders kennen als Backpacker. Man kann sagen, ich fühlte mich als Teil des Ganzen. Ich lernte zum Beispiel auch, dass im Norden von Vietnam Mädchen von ihren Familien gezwungen werden, irgendwelchen Kitsch an die Touristen zu verkaufen und deshalb nicht in die Schule gehen können. Dadurch wird diesen Mädchen also die Chance auf eine sichere Zukunft genommen. Solche Erkenntnisse sind für mich wesentlich.
Wo willst Du denn noch überall hin?
Also nächste Woche geht’s nach Kambodscha, dann nach Laos. Danach habe ich vor, mich Richtung Malaysia, Indonesien, die Philippinen und Bali auf den Weg zu machen. Überwintern will ich in Australien. Das ist jetzt erst mal der grobe Plan. Dass der auf keinen Fall aufgeht, ist mir klar. Ich plane sowieso nichts mehr, aber ich habe meiner Oma versprochen, dass ich mit ihr Silvester in Sidney feiern werde. Vielleicht verliebe ich mich in Laos aber auch in eine Einheimische oder ich will nach Deutschland zurück, und es kommt alles ganz anders.
Wo siehst Du dich in fünf Jahren?
Ich glaube, ich konnte diese Frage noch nie weniger beantworten als jetzt. Würdest du mich fragen, wo ich mich in fünf Tagen oder in fünf Monaten sehe, wäre das genauso schwierig. Ich weiß es nicht. Ich weiß es absolut gar nicht. Fakt ist: Ich war in Deutschland unglücklich. Ich will jetzt herausfinden, wo mein Platz in der Welt ist. Und das meine ich jetzt nicht klischeehaft von wegen „sich selbst finden" und so. Kapitalismus ist einfach nicht mein Ding. Vielleicht mache ich später was im sozialen Bereich, zum Beispiel einen Rap-Workshop, engagiere mich in der Flüchtlingshilfe oder im Streetworking. Ein Nine-to-Five-Job wird es aber wohl nie werden. Lieber weniger Geld verdienen, aber glücklich damit sein.