Fontane war 40 Jahre lang Journalist, davon zehn als Redakteur der stockkonservativen preußischen „Kreuzzeitung". Dort bestand seine Tätigkeit, wie damals üblich, oft aus geschicktem Abschreiben. Ohne diese oft recht stupide Tätigkeit wären seine großartigen Romane nicht möglich gewesen.
Als Theodor Fontane 1878 endlich seinen ersten Roman „Vor dem Sturm" veröffentlichen konnte, war er 58 Jahre alt. Obwohl er seit seiner Jugend literarisch aktiv war, Balladen gedichtet hat und im Berliner Literatenclub „Tunnel" jahrzehntelang Mitglied war, gelang ihm der Durchbruch erst im Alter. Bis dahin hatte er mit seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" sowie den Kriegsbüchern über die drei Kriege Preußens in dieser Zeit viele Tausend Seiten historische oder politische Reportagen verfasst. Aber von all dem konnte Fontane, der heute wohl der meistgelesene deutsche Autor seiner Zeit ist, schlicht nicht leben. Vor allem als junger Mensch hatte er oft finanzielle Schwierigkeiten. Den damaligen Gebräuchen zufolge konnte er nicht heiraten, bis er die erste Festanstellung bekam.
Fontane lebte fast vier Jahrzehnte von seinen Einnahmen als Journalist. Geplant hatte er das nicht. Eigentlich war ihm die Laufbahn des Apothekers in die Wiege gelegt: Sein Vater war Apotheker, und auch Theodor machte eine Ausbildung zum Apotheker, aber nach dem Bankrott des Vaters wurde nichts draus. 1850, mit 30, war die finanzielle Lage Fontanes wirklich kritisch. Er bewarb sich in seiner Verzweiflung auf teilweise völlig abseitige Jobs, bis sich über Beziehungen eine Tätigkeit für die Pressestelle der preußischen Regierung auftat. Etwa ein Jahrzehnt lebte Fontane davon, als „Presseagent" die britische Zeitungslandschaft zu beobachten und sie zu beeinflussen. Vor allem sollte er helfen, das ungünstige Image Preußens während des russisch-osmanischen Krimkriegs 1853–1856 aufzupolieren. Im Grunde war es politische Propaganda, oder in heutigen Worten „PR" (Public Relations), für den preußischen Staat.
Immer wieder bewarb er sich ohne Erfolg
Diesen Job verlor Fontane offensichtlich durch einen professionellen Fehler, als er eine vertrauliche Information veröffentlichte. Da war ihm das Angebot als Redakteur der stockkonservativen „Kreuzzeitung" hochwillkommen, das er 1860 bis 1870 ein ganzes Jahrzehnt lang ausübte. Das Jahresgehalt von 900, später 1.000 Talern war vergleichsweise gut. Es sicherte ihm die finanzielle Unabhängigkeit, die er nutzte, um alle die Projekte zu realisieren, die ihm wirklich wichtig waren.
Die Tätigkeit als Redakteur war nicht besonders angesehen, was damit zu tun hatte, dass sie aus dem Zusammenschreiben von auf- und eingesammelten Informationen bestand. Vor allem die Tätigkeit der „Korrespondenz", die Fontane jahrelang ausübte, bestand darin, Nachrichten von anderen Zeitungen, die schneller gewesen waren oder bessere Quellen hatten, zu kopieren oder aus dem Englischen zu übersetzen. Er entwickelte eine eigene journalistische Form, die Fontane selbst als „unechte Korrespondenz" bezeichnete. Sie bestand schlicht darin, dass man so tat, als sei man vor Ort gewesen, es aber nicht war. Was heute den Geruch von „Fake News" hat und journalistische No-go-Area ist, war damals gang und gäbe. Fontane selbst rechtfertigt die unechten gegenüber den echten Korrespondenzen lakonisch: „Der Unterschied zwischen beiden, wenn man Sprache, Land und Leute kennt, ist nicht groß." Es sei so, wie mit den Anekdoten vom Alten Fritz: Die unechten seien „genauso gut wie die echten, und mitunter noch ein bißchen besser." Ob man 15 Kilometer oder 150 Meilen entfernt vom Geschehen sei, mache keinen Unterschied, wichtiger sei das Schreibtalent.
Im Jahr 2019 stößt uns das Vorgehen des Spiegel-Autors Claas Relotius bitter auf – zu Fontanes Zeit war das völlig in Ordnung. „Was uns heute als Missbrauch erscheint, war damals, Jahrzehnte bevor geistiges Eigentum durch ein Urheberrechtsgesetz geschützt wurde, eine verbreitete Gewohnheit und überdies keinesfalls eine Spezialität deutscher Zeitungsschreiber" erklärt die Germanistin Heide Streiter-Buscher, die zwei dicke Bände mit Fontanes „Unechten Korrespondenzen" editiert hat. Mangels Digitalisierung bestand das Kopieren und Einfügen von Sätzen und Texten damals buchstäblich im Ausschneiden mit Schere und dem Einkleben mit Kleister, eine handwerkliche Fertigkeit, die Fontane bis ins Alter gepflegt hat.
Was Fontane dagegen geschmerzt haben muss, war, dass er ein Jahrzehnt für eine staatliche Propagandazeitung schrieb, die zudem das Blatt der Klasse der Großgrundbesitzer Ostelbiens war, deren Standesdünkel er eigentlich schwer erträglich fand. Die „Kreuzzeitung" glorifizierte einen preußischen Militarismus, für den das Gleiche gilt, und vertrat nicht zuletzt eine von ihm als scheinheilig durchschaute Staatsreligiosität, deren übelster Auswuchs ein offener Antisemitismus war. Nicht zuletzt wurde die Zeitung manchmal vom russischen Zaren unterstützt, man stelle sich Ähnliches heute vor. Die „Kreuzzeitung" war eine „Mischung aus reaktionärer Frömmigkeit und denunziatorischem Schmuddeljournalismus", schreibt Fontane-Biograf Iwan-Michelangelo D’Aprile. Als Leser hat Fontane die „Kreuzzeitung" nicht interessiert; er schrieb an seine Frau, man müsse sich „schämen, sie in Gegenwart anderer zu lesen". Wie viel peinlicher muss es ihm gewesen sein, zehn Jahre für das Blatt zu arbeiten. So waren diese „Korrespondenzen" des „englischen Artikels" wie die Rubrik im damaligen Sprachgebrauch hieß, natürlich nicht mit „Fontane „gekennzeichnet sondern schlicht mit „p*".
Fontane hat in mehreren Jahren London die britische Presselandschaft kennen- und schätzen gelernt. Während den britischen Zeitungen vom Kontinent der Vorwurf der Prinzipienlosigkeit entgegengebracht wurde, war Fontane begeistert vom modernen Ansatz der „Times", die schon damals auf das Publikum hin orientiert war, die die öffentliche Meinung beobachtete und die nicht das Volkserzieherische über das Interessante und Lebensnahe stellte wie die Staats- und Parteizeitungen Preußens.
Der Journalist als Romancier
So schwer erträglich die Tätigkeit für ihn war – er schrieb nachträglich von „Tortur" und der „Brutalität, die darin liegt, unsere Freiheit und unsere geistigen Kräfte auszunutzen" – so unverzichtbar war der Job für ihn als Brotberuf. Als er 1870 kündigt, sagte er seiner Frau erst nichts davon und musste sie dann in mehreren Briefen beruhigen. Es folgten dann immerhin zwei Jahrzehnte erfüllender Theaterrezensionen bei der liberaleren „Vossischen Zeitung", und nicht zuletzt alle Romane, die er wohl nicht geschrieben hätte, hätte er nicht gekündigt.
Fontanes ideologische Haltung entzieht sich, wie die jedes großen Autors, eindeutiger Schubladen. In seiner Jugend war er auf den Berliner Barrikaden als Freiheitskämpfer, als Autor der Wanderungen war er an einem klar „vaterländischen Projekt" beteiligt, sagt Germanistin Jana Kittelmann. Und am Ende seines Lebens ist eine der sympathischsten Figuren in seinen Romanen, der Pastor Lorenzen im „Stechlin", ein Sozialdemokrat. Er entzieht sich der Einordnung.
Dennoch hatte das „Freiheitsopfer" von dem er später sprach, durchaus seinen Sinn. Nicht nur, dass er dank dessen finanziell überlebte und somit die großartigen Romane überhaupt erst möglich gemacht hatte, die bis heute gelesen werden. Mehr noch: erst die jahrzehntelange Tätigkeit als Journalist half ihm, die literarischen Techniken der unterschiedlichen Perspektiven und des sozialen Realismus zu entwickeln, die seine Texte auszeichnen und bis heute so lebendig machen. „Der Romancier Fontane ist ohne den politischen Redakteur Fontane nicht denkbar" schreibt Heide Streiter-Buscher. Biograf D’Aprile ergänzt: „Auch als Romanautor blieb Fontane Journalist, und sein Realismus ist der Realismus des Journalisten."