Der FC Ingolstadt wollte sich einst in der Bundesliga etablieren. Nun droht der Absturz in Liga drei. Ein Abstieg hätte dramatische Folgen.
Wie gut, dass Ingolstadt eine Autometropole ist. Seit 70 Jahren baut Audi am Standort Automobile. Das Herz des Audi-Konzerns schlägt in dieser bayerischen Großstadt an der Donau. Wo Autos gebaut werden, müssen sie auch gewaschen werden. Das ist vor allem für Thomas Oral eine wichtige Erkenntnis. Die Spieler des FSV Frankfurt ließ er bei seinem ersten Training 2015 durch eine Waschanlage laufen, damit sie sich von allem Schlechten reinwaschen konnten. Und sie retteten sich tatsächlich vor dem Zweitliga-Abstieg.
Wasser ist übrigens nicht nur für Autowaschanlagen wichtig, sondern auch für die Feuerwehr. Und die hat bei den „Schanzern" einen Großeinsatz. „Es ist klar, dass wir jetzt eine Feuerwehrtruppe geholt haben, die nicht mehr da sein wird in der neuen Saison", sagte der Vorstandsvorsitzende Peter Jackwerth der „Süddeutschen Zeitung" über das neue Trainerteam Thomas Oral und Michael Henke, das der jüngst vom externen Berater zum sportlichen Verantwortlichen aufgestiegene Thomas Linke zurückholte. Auch Linkes Vertrag endet im Sommer. Stefan Leitl, Alexander Nouri, dann Jens Keller. Der FCI, gestartet als Aufstiegskandidat Nummer drei hinter dem Hamburger SV und dem 1. FC Köln, war zwischenzeitlich sogar Tabellenletzter. Zwar gab es bei Orals Premiere endlich wieder einen Sieg, doch die Zeichen stehen noch immer auf Abstieg, denn auch der SV Sandhausen punktet kräftig und der FC Magdeburg siegte beim HSV. „Wir waren schon im Leichenschauhaus, jetzt sind wir wieder auf der Intensivstation. Mal schauen, ob wir‘s noch auf die Normalstation schaffen", sagte Vorstandsboss Peter Jackwerth dem „Donaukurier" kürzlich. Derzeit ist der 61-Jährige oft in seiner Heimat. Die Krise macht‘s nötig. Denn Jackwerth, Vorstandsvorsitzender des Vereins und so etwas wie „Mr. FC Ingolstadt", hat schon Ende der 90er-Jahre sein Herz für die Insel Mallorca entdeckt. Zuerst besaß er ein Haus in Santa Ponça, seit 2007 ist der Unternehmer in Palmas Nobelvorort Son Vida ansässig. Hoch oben über dem Castillo-Hotel, mit einem herrlichen Panoramablick über ganz Palma. „Insgesamt verbringe ich im Jahr wohl so etwa vier Monate auf Mallorca", schätzt er. Wann er wo ist, das hängt auch vom Spielplan und Tabellenplatz ab. Im Moment ist quasi Dauerpräsenz erforderlich.
Chef Jackwerth bangt um sein Lebenswerk
Es geht um nichts weniger als um sein Lebenswerk. 1979 feierte der ESV Ingolstadt seinen vorerst größten Erfolg der Clubgeschichte. Am 30. Juni wurde die Mannschaft aus Oberbayern Deutscher Amateurmeister. Nach einem 4:1-Sieg im Heimspiel gegen Hertha Zehlendorf reichte den Ingolstädtern in Berlin sogar ein 0:1. Horst Pohl und Norbert Hartmann hießen zwei der elf Helden von damals. Der Verein spielte anschließend sogar zwei Jahre in der 2. Bundesliga, bis er mit dem Abstieg aus der Bayernliga 1986 in unterklassigen Ligen versank. Fast 36 Jahre später dann ein neuer Triumph: Der Nachfolgeverein FC Ingolstadt 04, der 2004 durch die Ausgliederung und Fusion der Fußballabteilungen des ESV und MTV Ingolstadt entstanden war, stieg in die höchste deutsche Spielklasse, die Bundesliga, auf. Der Abstieg zwei Jahr später galt als Betriebsunfall. Doch schon damals standen die Zeichen auf Umbruch.
Erfolgscoach Ralph Hasenhüttl wechselte für eine Rekordablöse zu RB Leipzig. Der lange Österreicher galt mit Co-Trainer Michael Henke, Geschäftsführer Harald Gärtner und Sportdirektor Thomas Linke als Erfolgsgarant. Als Hasenhüttl ging, trennte sich der FCI auch von Linke. „Ein Fehler", sagen viele bis heute. Nun ist er wieder an Bord. So wie damals, als er 2011 mit Trainer Oral und Co. Henke den Klassenerhalt in der Zweiten Liga schaffte. Oral, Linke und Henke sollen als Feuerwehrtruppe das Chaos verhindern. Die Zeit wird knapp. In finanzieller Hinsicht kämen die Folgen eines Abstiegs einem Erdrutsch gleich. Der Gesamt-Etat des FC Ingolstadt beträgt in dieser Saison knapp 40 Millionen Euro.
Der Profi-Etat dürfte im Bereich von 18 Millionen liegen. Summen, die in der Dritten Liga deutlich sinken würden. Rund 18 Millionen Euro erhält der FC Ingolstadt derzeit allein aus Fernsehrechten und befindet sich damit in der Spitzengruppe der Zweitligisten. Bei der Verteilung zählen unter anderem die letzten fünf Spielzeiten. Dabei zählt die letzte Saison mit dem Faktor 5, die vorletzte mit dem Faktor 4 bis hin zum Faktor 1. Dabei profitiert der FC Ingolstadt nach wie vor von seinen zwei Jahren in der Bundesliga. Durch die schwache Platzierung in der aktuellen Spielzeit würden die TV-Gelder im Falle des Klassenerhalts auf knapp 14 Millionen Euro zurückgehen. „Der ursprüngliche Plan war, die bisherige Summe noch zwei Jahre halten zu können", sagt Finanzvorstand Franz Spitzauer gegenüber der „Augsburger Allgemeinen". Den Vorwurf der Großmannssucht weisen die „Schanzer" zurück.
Abstieg als Betriebsunfall
Gegen einen Bundesliga-Aufstieg hätte man sich nicht gewehrt, er sei aber nicht im Plan gewesen. Aus finanzieller Erwägung sei ein Mittelfeldplatz in der Zweiten Liga avisiert gewesen. Den hätten auch alle Experten für realistisch gehalten. Doch in Ingolstadt ist nichts mehr wie es war. Der 27. März zählt zu den schwärzesten Tagen der Vereinsgeschichte. „Der heutige Tag ist eine Zäsur –
aber es wird weitergehen, und wir müssen nun mit dem bestehenden Personal noch enger zusammenrücken, um die 2. Bundesliga zu halten", kommentiert Vorstandschef Peter Jackwerth den Abschied Gärtners, der als Geschäftsführer „in den zwölf Jahren Unglaubliches geleistet und sich immer zu einhundert Prozent für den Klub eingebracht" habe.
Gärtner selbst beschreibt die Trennung als Ergebnis einer „Entwicklung der vergangenen Monate", in
denen sich in Bezug auf die sportliche und strategische Ausrichtung des FCI unterschiedliche Ansichten zwischen ihm und dem Aufsichtsrat ergeben hätten. „Sicher hätte ich mir einen anderen Abschied nach einer intensiven und aus meiner Sicht auch erfolgreichen Tätigkeit seit März 2007 in Ingolstadt gewünscht", erklärt Gärtner in einem Statement auf der FCI-Webseite. Der ehemalige Düsseldorfer Zweitligaprofi war die Konstante in Ingolstadt. Zeitweise übte er das Amt des Geschäftsführers mit dem des Sportdirektors in Personalunion aus. Am Ende lag er nicht immer richtig. Unmittelbar nach Gärtner wurde dann auch Jens Keller nach nur zwölf Spielen entlassen. Nicht jeder Außenstehende kam da noch mit. „Wir wollten die Mannschaft aufwecken", erklärt Jackwerth, „es lag nicht an Jens Keller, er ist ein guter Trainer, aber mit ihm hätten wir es auch nicht mehr geschafft." Schaffen soll das Wunder nun Ex-Berater und Nun-Wieder-Sportdirektor Linke. „Wir glauben, dass wir mit der neuen Konstellation bessere Chancen haben", sagte Linke über Oral und dessen Assistenten Michael Henke, der einst jahrelang unter Ottmar Hitzfeld, aber auch beim FC Ingolstadt arbeitete. „Der Verein kann nichts mehr machen", sagte Kapitän Aogo Cohen: „Wir Spieler haben die Schuld."
Ein radikaler Umbruch
Hoffnung gibt die Tatsache, dass der Kader auf den ersten Blick als zu stark für einen Abstiegskampf erscheint. Allerdings werden Leitwölfe verzweifelt gesucht. Und so bleibt Vereinschef Jackwerth die bange Frage, ob er im Frühsommer nicht vor den Trümmern seiner Arbeit steht. „Das ist schon noch mein Baby", sagte er kürzlich der „Süddeutschen Zeitung". „Aber es ist erwachsener geworden. Und mit erwachsenen Kindern geht man anders um." Das hört sich irgendwie nach Loslassen an. „Die Frage wird sein, wie wir künftig auftreten. Wenn wir es schaffen in der neuen Saison, egal in welcher Liga, einen vernünftigen Auftritt hinzubekommen, dann kann man über diese Saison hinwegschauen. Sollten wir das nicht hinkriegen, dann kriegt das natürlich schon einen Touch vom Chaos-Club." Immerhin eine Konstante gibt es noch beim ehemaligen Bundesligisten. „Schanzi bleibt", sagt Jackwerth, „egal in welcher Liga". Schanzi ist das Ingolstädter Maskottchen – und darf das auch in Zukunft sein. Wenigstens das ist schon mal sicher. •