Der eine hat etwas Geld übrig, bekommt dafür aber kaum Zinsen. Der andere hat lohnende Ideen mit Öko-Mehrwert, aber braucht dafür Geld. Grünes Crowdinvesting soll beide glücklich machen und zudem der Umwelt helfen. Eine Win-win-win-Situation?
Was würden Sie denken, wenn Sie Folgendes zu lesen bekommen? „Leaserad macht Fahrräder businesstauglich. Mit unserem Jobrad können Arbeitgeber ihren Mitarbeitern Fahrräder ähnlich wie Geschäftswagen überlassen, damit die Umwelt schonen und auch noch Geld sparen." Hört sich doch gut an, oder? Das dachten sich auch ein paar Hundert Kleininvestoren und unterstützten die Firma mit insgesamt 320.000 Euro.
Und wie klingt das? „Wir bringen neue Züge ins Rollen. Täglich fährt Locomore mit fairen und günstigen Preisen morgens von Stuttgart über Frankfurt und Hannover nach Berlin und nachmittags zurück." Na? Eben. Es fanden sich sogar noch ein paar Hundert Unterstützer mehr als bei Leaserad, sie gaben der Firma fast eine Million Euro. Als Gegenwert dafür erhielten sie entweder günstige Vorab-Tickets oder das Versprechen auf Zinsen: drei, vier Prozent jährlich, fünf Jahre Laufzeit.
Am 14. Dezember 2016 rollte der erste Locomore-Zug zwischen Berlin und Stuttgart. Am 11. Mai 2017, kein halbes Jahr später, erschien auf der Webseite des kleinen Zugunternehmens eine Meldung. „Liebe Freunde und Fahrgäste des Locomore", stand da, „traurigen Herzens müssen wir berichten, dass wir heute beim Amtsgericht Charlottenburg einen Insolvenzantrag stellen mussten."
Auch Leaserad überraschte seine Investoren – allerdings mit einem lukrativen Rückkaufangebot für die gewährten Beteiligungen und Darlehen. Wer das Angebot annahm, konnte eine Rendite einstreichen, die laut Leaserad „deutlich dreistellig" war; das Brancheninformationsportal Crowdfunding.de schätzt sie auf 500 Prozent. Aus dem Start-up wurde Deutschlands Marktführer im Dienstradleasing, mehr als 10.000 Firmen zählen heute zu seinen Kunden – von Bosch über Rewe bis SAP.
Es ist gar nicht so leicht, sein Geld grün anzulegen – also auf eine ökonomisch sinnvolle Weise, die auch ökologisch nachhaltig ist. Man kann es natürlich auf dem Sparkonto einer grünen Bank deponieren: geringes Risiko, noch geringere Rendite. Oder man steckt es in grüne Aktienfonds. Hier sind die Renditechancen größer, aber man muss die Achterbahnfahrten der Börse aushalten – und erreicht womöglich keinen besonders hohen ökologischen Wirkungsgrad, da das investierte Geld in der Regel nicht bei den Firmen selbst, sondern beim Vorbesitzer der Aktien landet.
Kaum überraschend also, dass auch im grünen Bereich das Crowdinvesting, also die rendite-orientierte Schwarmfinanzierung durch Kleininvestoren, immer beliebter wird. Internetplattformen wie Bettervest, Leihdeinerumweltgeld oder Green Rocket bieten die Möglichkeit, sich schon mit kleinen Beträgen – je nach Anbieter ab 50 Euro – an Energieeffizienzhäusern, Windkraft- oder Fotovoltaik-Anlagen zu beteiligen – und locken mit attraktiven Zinsen von bis zu zwölf Prozent.
Risiko ist schwer einzuschätzen
Auch die ökologische Rendite ist ein Investitionsargument. „78 Projekte ermöglicht, 306.988,15 Tonnen CO2 bereits eingespart", verkündet die Crowd-investing-Plattform Bettervest auf ihrer Webseite. „Ermöglicht" wird ein Projekt, indem der Schwarm der Kleininvestoren die dafür benötigte Summe innerhalb einer vorgegebenen Zeit bereitstellt. Ist das Geld beisammen, fließt es an den Projekt-Initiator, und die Plattform erhält eine Vermittlungsprovision.
„Das Internet und soziale Netzwerke", schreibt das Branchenportal Crowdfunding.de, „geben viele neue Möglichkeiten, um Ideen zu entwickeln, schnell und kostengünstig mit vielen Menschen zu teilen und mit Crowdfunding auch direkt zu finanzieren." Das ist das Schöne an der Schwarmfinanzierung. Und das Schaurige. Darin liegen fast grenzenlose Chancen. Und fast grenzenlose Risiken, siehe Locomore. Crowdinvesting, das ist der Wagniskapitaleinsatz des kleinen Anlegers. „Beim Crowdinvesting ist es so, dass man als Außenstehender Rendite und Risiko nicht bewerten kann", sagt Niels Nauhauser, der bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg den Bereich Altersvorsorge, Banken und Kredite leitet. „Ein Investment kommt allenfalls in Frage, wenn man bereit ist, das eingesetzte Geld vollständig zu verlieren." Diese Risikobereitschaft legen immer mehr Menschen an den Tag. Noch immer ist es ein Nischenmarkt – allerdings einer, der exponenziell gewachsen ist. Im Jahr 2011 wurde laut Crowdfunding.de auf den deutschen Schwarmfinanzierungsplattformen ein niedriger einstelliger Millionenbetrag investiert, vergangenes Jahr dürften schon mehr als 275 Millionen Euro eingesammelt worden sein – Stand Mitte Januar 2019.
Zu den bedeutendsten Plattformen, die auf nachhaltige Projekte spezialisiert sind, zählen Wiwin (finanziertes Volumen 2018: 3,4 Millionen Euro), Leihdeinerumweltgeld (3,2 Millionen), Econeers (1,2 Millionen), Green Rocket Deutschland und Bettervest (je 0,5 Millionen).
Mit 6,6 Millionen Euro konnte sich GLS Crowd, 2017 gegründet, innerhalb eines Jahres zur umsatzstärksten grünen Crowdinvesting-Plattform aufschwingen. Ein Start-up, das eine Bio-Leinsamen-Pizza herstellt („100 Prozent mehr Protein, das Zehnfache an Ballaststoffen und nur ein Zehntel der Kohlenhydrate"), sammelte dort 1,7 Millionen Euro ein, bei 6,5 Prozent Verzinsung und einer Laufzeit von fünf Jahren.
Wetteinsatz für eine gute Sache
Über Bettervest, gegründet 2012 als erste Crowdinvesting-Plattform für Energieeffizienzprojekte, wurden bislang insgesamt rund elf Millionen Euro eingesammelt. Das Prinzip ist genial einfach: Privatpersonen leihen Firmen, Kommunen oder Vereinen Geld. Diese stecken es in Maßnahmen, die zu Energie-, CO2- und Kosteneinsparungen führen. An Letzteren wiederum werden die Geldgeber beteiligt. Alle, auch die Umwelt, profitieren von dem Geschäft.
„Wir orientieren uns bei der Auswahl von Projekten grundsätzlich an den UN-Zielen zur nachhaltigen Entwicklung, die 2015 in Paris definiert wurden", erklärt Sara Steidinger von Bettervest. „Unser primärer Fokus liegt auf dem Ziel, allen Menschen Zugang zu bezahlbarer, nachhaltiger und verlässlicher Energie zu ermöglichen." Unter den finanzierten Projekten finden sich Solaranlagen in Kenia, Uganda, Nigeria und Namibia. „In Schwellen- und Entwicklungsländern sind Bankkredite oft schwer zu bekommen oder schlichtweg zu teuer", sagt Steidinger. „Crowdinvesting bietet an dieser Stelle eine bezahlbare und unbürokratische Alternative."
Von den 78 finanzierten Bettervest-Projekten befinden sich aktuell 64 in der Rückzahlphase, laufen also noch mit offenem Ausgang – darunter die mietergerechte energetische Sanierung zweier Wohnanlagen in Sachsen (jährliche CO2-Einsparung: 5,5 Tonnen) und die Modernisierung der Heizungsanlage in einem Schulkomplex in Berlin-Spandau (minus 890 Tonnen CO2 pro Jahr). Vollständig zurückbezahlt, inklusive der versprochenen Zinsen, wurden neun Projekte. Bei sechs Projekten kam es zur Insolvenz. Neun zu sechs – macht eine Erfolgsquote von 60 Prozent. Kein Grund für Goldgräberstimmung. Aber auch kein Anlass für existenzielle Sorgen, wenn man die durchschnittliche Investitionssumme über alle 78 Projekte hinweg zugrunde legt: Sie liegt laut Bettervest bei etwa 600 Euro je Investor und Projekt, also weit unterhalb der gesetzlichen Crowdinvestment-Obergrenze für Privatpersonen von 10.000 Euro.
Dieses Limit wurde im Kleinanlegerschutzgesetz verankert, um die Bürger-Investoren vor sich selbst zu schützen. Denn in der Regel läuft die Schwarmfinanzierung über sogenannte Nachrangdarlehen. Bei denen gibt es zum einen – sofern sie über Internetplattformen angeboten werden und vom Projekt-anbieter maximal 2,5 Millionen Euro eingesammelt werden – keine Verpflichtung, einen Prospekt mit umfassenden Informationen vorzulegen; zweitens haben die Anleger keinerlei Mitbestimmungsrecht; drittens erhalten sie im Pleitefall eben erst „nachrangig", also nachdem alle anderen Gläubiger bedient wurden, was dann noch von der Insolvenzmasse übrig ist.
Als Altersvorsorge völlig ungeeignet
Oft bedeutet das: Totalverlust. Diesen kann man zudem nicht ohne weiteres steuerlich geltend machen. „Vom normalen Arbeitseinkommen kann man Verluste beim Crowdinvesting nicht abziehen", erklärt Max Deml vom Informationsdienst Öko-Invest. „Man kann sie, ähnlich wie bei Aktien, nur mit dem Kapitaleinkommen verrechnen – sofern da Gewinne anfallen." Deml sieht den Vorteil einer zielgenauen ökologischen Wirkung. Trotzdem mahnt er zur Vorsicht: „Crowdinvesting würde ich eigentlich kaum als Geldanlage bezeichnen." Eher könne man es als Sympathiebekundung sehen –
oder als wohlmeinenden Wetteinsatz auf eine unterstützenswerte Sache: „Es ist okay, wenn jemand sagt: Die Idee gefällt mir. Da riskiere ich jetzt mal 100 Euro – wenn die weg sind, ist es kein großes Malheur."
Firmen, die Geld über eine Schwarmfinanzierung einsammeln, seien in der Regel sehr eigenkapitalschwach. „Die haben meist keinerlei Sicherheiten. Sonst wären sie ja nicht auf Crowdinvesting angewiesen, sondern würden bei einer Bank viel billiger Geld bekommen." Allerdings, sagt Deml, könne es auch Fälle geben, in denen es für Firmen sinnvoll sei, „die Crowd-Schiene zu beanspruchen, selbst wenn sie es eigentlich nicht nötig hätten". Dann nämlich, wenn sie den publikumswirksamen Auftritt als Marketinginstrument nutzen oder den Schwarm der Unterstützer zugleich als potenzielle Kundschaft ins Visier nehmen. „Das kann ein erster Markttest sein, wenn ich ein neues Produkt entwickle. Wen spricht das an? Sind das zehn, 100 oder 1000 Leute, die sich – vielleicht sogar im Rahmen einer Produktvorbestellung – mit einem Crowd-Darlehen beteiligen."
Außerdem gilt das per Crowd-Kredit eingesammelte Geld wirtschaftlich als Eigenkapital, was bei der Vergabe von Bankdarlehen positiv ins Gewicht fällt. Dieser finanzielle Verstärkungseffekt, den man mit seinem Crowd-Kredit für ein klimafreundliches Projekt oder ein nachhaltiges Start-up erzielt, ist – im Erfolgsfall – zugleich der große ökologische Pluspunkt des Crowdinvesting. „Auf diese Weise können Sie oft eine Hebelwirkung von fünf zu eins erreichen", erklärt Max Deml. Heißt: „Wenn man 1.000 Euro in einen gut gemanagten Solarpark investiert, kann der damit weitere 4.000 Euro Kredit bei der Bank bekommen – und für insgesamt 5.000 Euro Solarmodule kaufen."
In ökologischer Hinsicht, das sieht auch Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale so, könne grünes Crowdinvesting unter Umständen wirkungsvoll sein. Wenn es aber um die Altersvorsorge geht, rät er aufgrund der hohen und intransparenten Risiken ab. Wer kein finanzielles Risiko eingehen möchte, aber auf eine besonders große ökologische Hebelwirkung Wert legt, für den hat Nauhauser eine ganz altmodische Empfehlung: sich in einer Umweltorganisation zu engagieren. „Dass Anleger mit ihren Investments den Planeten retten werden, glaube ich nicht", sagt Nauhauser. „Das wird nur durch politischen Willen und konsequente Maßnahmen geschehen."