„The Magic", wie Ayrton Senna wegen seiner Steuerkünste bei Regen getauft wurde, gilt noch immer als der schnellste und beste Rennfahrer der Formel-1-Geschichte. Seine Karriere fand vor 25 Jahren bei einem tödlichen Crash auf der Piste von Imola ein abruptes Ende.
Das Formel-1-Rennwochenende um den 1. Mai 1994 beim Großen Preis von San Marino im italienischen Imola stand unter keinem guten Stern. Schon beim freien Training am 29. April hatte der Brasilianer Rubens Barrichello einen Horror-Crash in seinem Jordan-Hart produziert, war aber wie durch ein Wunder mit leichten Blessuren davongekommen. Einen Tag später beim zweiten Qualifikationstraining waren die Schutzengel offenbar machtlos, als der österreichische Jungspund Roland Ratzenberger infolge eines gebrochenen Frontflügels seines Simtek-Boliden ungebremst mit Tempo 300 in die Betonbegrenzungsmauer einschlug und sich dabei einen tödlichen Schädelbasisbruch zuzog.
Das Qualifying wurde dennoch fortgesetzt. Der dreimalige brasilianische Weltmeister Ayrton Senna – trotz seiner bescheidenen Körpergröße von 1,71 Meter der unbestrittene Gigant unter seinesgleichen – sicherte sich dabei mit seinem Williams FW 16 mit der Nummer 2 die
65. Pole-Position seiner Karriere vor einem Newcomer namens Michael Schumacher im Benetton-Ford. Im Fahrerlager allerdings ging die Angst um, weil man sich angesichts der zu Saisonbeginn eingeführten Regeländerungen, vor allem des Verbots sämtlicher elektronischer Fahrhilfen, Gedanken über das daraus resultierende erhöhte Sicherheitsrisiko machte.
Der frühere Champion Niki Lauda hatte seinen mit 34 Lenzen ebenso erfahrenen wie mit 41 Siegen erfolgreichen Nachfolger Senna, der längst zu einem Mythos der Szene aufgestiegen war, erfolgreich dazu überreden können, als einflussreichste Paradefigur der Formel 1 die Verhandlungen mit den Rennsport-Verantwortlichen aufzunehmen. Noch am Morgen des Imola-Grand-Prix vom 1. Mai 1994 hatte Senna seinem österreichischen Freund und Ferrari-Kollegen Gerhard Berger mitgeteilt: „Gerhard, wir sollten uns nächste Woche treffen, wir müssen uns Vorschläge für mehr Sicherheit überlegen. Ich habe da ein paar Ideen."
Ein Teil der Radaufhängung durchbohrte Helm
Die beiden Unfälle der Vortage hatten den sonst so abgebrühten Senna, der von den meisten Experten bis heute noch immer als der schnellste und beste Fahrer der Formel-1-Geschichte angesehen wird, ziemlich mitgenommen. Nach der Inspektion von Ratzenbergers Unfallstelle war ihm der Schock so sehr in die Glieder gefahren, dass ihm der Formel-1-Arzt Sid Watkins dringend zu einem Startverzicht geraten hatte. Senna soll darauf geantwortet haben: „Ich kann nicht aufhören, Sid. Ich kann es einfach nicht." Senna stand in Imola gewaltig unter Druck. Denn in den ersten beiden Rennen, die der Kerpener Michael Schumacher gewonnen hatte, war er in seinem vor Saisonbeginn haushoch favorisierten Williams wegen Ausfällen ohne Punkte geblieben.
Der von Ehrgeiz und Siegeswillen geradezu besessene Brasilianer, der im Cockpit seine private Schüchternheit und Liebenswürdigkeit komplett ablegen konnte und gnadenlos wie in Trance seine Gegner hochaggressiv und rücksichtlos zu bekämpfen pflegte, musste einfach das Imola-Rennen angehen. Diese Fokussierung auf den Erfolg verlieh ihm in der Öffentlichkeit ein viel bewundertes und gleichzeitig im Kollegenkreis gefürchtetes Charisma. An diesem Rennwochenende aber blieb er entgegen seiner sonstigen Gepflogenheiten bei der Startaufstellung regungslos im Cockpit sitzen. Sein ewiges Vertrauen auf göttliche Unterstützung, die den tiefgläubigen Christen im Laufe seiner zehnjährigen Formel-1-Karriere viele waghalsige Manöver inklusive von ihm ganz bewusst provozierter Unfälle hatte eingehen lassen, schien zumindest leicht erschüttert. Der Auftakt des Rennens mit einem Crash direkt nach dem Startschuss führte zu einer Erhöhung der Anspannung im Fahrerfeld. Das viel zu langsame Safety-Car in Gestalt eines gewöhnlichen Opel Vectras, der fünf Runden lang vor dem Feld herumtuckerte, sorgte dafür, dass Druck und Temperatur der Rennreifen in den Keller gingen. Das dürfte nicht gerade zur Beruhigung der Nerven der Fahrer beigetragen haben. Nach dem fliegenden Neustart in der sechsten Runde legte der an der Spitze fahrende Senna dennoch die drittschnellste Zeit des Rennens hin. Auffällig war, dass der aus aerodynamischen Gründen extrem tief gelegte Williams in der Tamburello-Kurve, wo es auf der Piste einige heftige Bodenwellen gab, funkensprühend aufgesessen hatte.
Genau an dieser Stelle sollte sich in der siebten Runde das für Senna tödliche Drama ereignen. Um 14.17 Uhr schoss der Williams in der langgezogenen Tamburello-Kurve mit Tempo 321 geradeaus und krachte trotz Vollbremsung mit 214 Kilometern pro Stunde in spitzem Winkel gegen eine Betonbegrenzungsmauer. Die Wucht des Aufschlags beförderte den in seine Einzelteile zerlegten Boliden zurück auf den Streckenrand. Dabei durchschlug ein Teil der Vorderradaufhängung Sennas kanariengelben Helm und bohrte sich in seinen Schädel. Alles vor den Augen eines auf eine halbe Milliarde Menschen geschätzten Fernsehpublikums.
Unfall nicht restlos aufgeklärt
Es vergingen einige Minuten, bis die Rettungskräfte bei Senna angekommen waren. In dieser Zeitspanne war auf dem Bildschirm zu sehen, dass sich der gelbe Helm einmal kurz nach links bewegt hatte, ein letztes Lebenszeichen. Die Sanitäter bargen den Körper aus dem Wrack und leiteten erste Notmaßnahmen ein – nur unzureichend durch gespannte Tücher vor den Blicken der TV-Zuschauer verborgen. Das veranlasste Formel-1-Boss Bernie Ecclestone wenig später zu folgendem Kommentar „als hätte man Jesus live ans Kreuz genagelt". Schließlich wurde Senna mit einem Rettungshubschrauber in die Maggiore-Klinik von Bologna transportiert, wo die Ärzte 18.40 Uhr als offiziellen Todeszeitpunkt bekanntgaben.
Die Formel 1 hatte endgültig ihre Unschuld verloren. Es ist zwar nicht korrekt, dass es sich bei Imola 1994, wie häufig behauptet wird, um das „schwärzeste Wochenende der Formel-1-Geschichte" gehandelt hat. Vergleichbares hatte es schon einmal, 34 Jahre zuvor, beim Großen Preis von Belgien im Juni 1960 in Spa mit zwei tödlich verunglückten Fahrern gegeben. Allerdings waren damals noch keine TV-Kameras mit Livebildern vor Ort gewesen.
Die Ursache des Unfalls konnte bis heute nicht restlos geklärt werden. Die Thesen reichen von einer gebrochenen Lenksäule bis hin zu möglichen Kon-struktionsfehlern bei Williams. Als Folge des Dramas von Imola wurden die Sicherheitsmaßnahmen der Formel 1 so grundlegend verbessert, dass es außer dem Tod des Franzosen Jules Bianchi infolge eines Unfalls beim Großen Preis von Japan in Suzuka im Oktober 2014 keinerlei Todesopfer mehr gab.
In Brasilien, wo Ayrton Senna da Silva am 21. März 1960 in São Paulo als Sohn einer reichen Großgrundbesitzer-Familie geboren worden war, wurde für den Nationalhelden, eine Art Pelé des Motorsports, dreitägige Staatstrauer angeordnet. Der Trauerzug wurde von drei Millionen Menschen begleitet. Zu Lebzeiten hätte Senna, der gerüchteweise mit seinen Steuerkünsten 350 Millionen Dollar eingefahren hatte, eine solche Anteilnahme der Öffentlichkeit sicherlich nicht zu schätzen gewusst. Er hielt sich stets von der Glamour-Welt der Formel 1 fern und verbrachte stattdessen jede freie Minute in seinem geschützen Anwesen in Angra dos Reis. Von seinem Privatleben gab er so gut wie nichts preis. Er war ein Jahr mit Liliane Vasconselos verheiratet, ließ sich jedoch schon 1982 wieder scheiden. Wie es sich für einen Sohn aus gutem Haus gehörte, galt er als gebildet, belesen, musikalisch, kunstliebend und sozial engagiert zugunsten benachteiligter Kinder seines Landes.
Politik-Pläne für Zeit nach Karriere
Ähnlich wie Michael Schumacher begann Senna seine Motorsport-Karriere im Alter von 13 Jahren mit Kart-Rennen. Über die Formel 3 kam er 1983 als Testfahrer für Williams, Brabham, McLaren und Toleman zur Formel 1. Dort unterschrieb er 1984 seinen ersten Vertrag als Top-Fahrer beim Underdog-Rennstall Toleman und sorgte beim Regenrennen von Monaco im Juni 1984 gleich für einen Paukenschlag. Seinen technisch deutlich unterlegenen Boliden lenkte er dabei vom Hinterfeld bis auf den zweiten Platz und begründete damit seinen Ruf als absoluter Regenkönig oder „The Magic", wie ihn Lotus-Teamchef Peter Warr taufen sollte. Den ersten Sieg fuhr er im April 1985 beim Großen Preis von Portugal in einem Lotus ein. 1988, 1990 und 1991 wurde er jeweils im McLaren-Cockpit Formel-1-Weltmeister. Mit seinem Dauerrivalen Alain Prost lieferte er sich legendäre und von beiden Seiten häufig bis an die Grenzen des Erlaubten geführte Streckengefechte.
Eines seiner spektakulärsten Rennen gelang ihm im März 1991 beim Großen Preis von Brasilien in Interlagos. Noch nie hatte er in seiner Heimat gewonnen, der Wettergott hatte ihm Regen beschert, doch gegen Ende des Rennens spielte sein Getriebe verrückt. Die letzten sieben Runde konnte er nicht mehr schalten, sondern nur noch im sechsten Gang fahren. Dank beispielloser Highspeed-Artistik gelang ihm dennoch der Sieg, wobei er sich so sehr körperlich überanstrengen musste, dass er nach Überschreiten der Ziellinie bewusstlos aus dem Cockpit geborgen werden musste. Nach Angaben seines Freundes Gerhard Berger wollte Senna irgendwann seine Karriere bei Ferrari beenden und dann in die Politik wechseln. Er hätte seinem Land sicherlich viel Gutes tun können.