Aus französischer mach verfeinerte deutsche Küche zum Teilen: Das neue „Pots" im Ritz-Carlton zeigt unter der Regie von Patron Dieter Müller und Küchenchef Frederik Grieb, wie unkompliziert aufgetischt wird.
Dieter Müller kam – und es wurde deutsch im Ritz-Carlton. Wo früher im „Desbrosses" französische Brasserie-Küche serviert wurde, geben sich nun Königsberger Klopse, Müritz-Lamm und Badisches Schäufele ein Stelldichein. Mit dem gestalterischen Update des Grandhotels in Richtung Neo Art déco wurde auch das Restaurant neu und als „Pots" moderner und heller. Eine ausdrücklich deutsch akzentuierte Küche unter dem klangvollen Namen von Patron Dieter Müller zu installieren, darf als kluger Schachzug des Ritz-Carlton gelten. Ein solches Angebot für Geschäftsreisende und Touristen gab es am Potsdamer Platz bislang nicht.
Die im „Pots" seit Januar aufgetischte deutsche Küche wäre nicht eine Müller’sche, wenn der Patron sie nicht gemeinsam mit Küchenchef Frederik Grieb vor Ort eigenständig, aber für viele kompatibel und keineswegs überkandidelt entwickeln würde. Es kann, darf und soll geteilt werden – was sich beim „Flammkuchen DM" mit Sauerrahm und Speck vom Apfelschwein oder beim Winterkürbis mit Buchweizen und leicht geräuchertem Ziegenquark auf der Vorspeisenstrecke sowieso anbietet. Ein „Mariniertes vom Rind", wie sich das mit Saiblingskaviar und Radieschen gedeckelte und von einer frischen, spritzigen Thunfisch-Limonen-Creme begleitete Tatar nennt, möchte ich eigentlich gar nicht so gern teilen. Auch die grün-rosafarbene Komposition von abgeflämmter Lachsforelle auf einer Gurken-Vinaigrette mit Meerrettich-Creme, gepickeltem Kohlrabi und Senfsaat würde ich wegen ihrer Leichtigkeit und Frische glatt allein aufessen wollen. Das lasse ich aber lieber bleiben.
Denn, wie nicht anders zu erwarten, wenn Mathias Brandweiner als Restaurantleiter und Sommelier dabei ist, wird uns umfänglich vom Guten serviert und in die Gläser eingeschenkt. Zum Beispiel zum „frühlingshaften Start", den uns Brandweiner verspricht, ein „knochentrockener Riesling Extra Brut". Ein Sekt, Demeter-zertifiziert vom Weingut Eymann aus der Pfalz. „Der Fokus im ‚Pots‘ liegt auf leichten, feinen, filigranen Weinen, die gut zum deutschen Essen passen. Aber mit ein paar reingeschmuggelten Österreichern." Das sagt der Österreicher lachend. 200 deutsche und 150 internationale Weine stehen auf der Karte des „Pots" und im Keller des Ritz-Carlton. Brandweiner hat ebenso wie Frederik Grieb so richtig Lust, mit dem Team Schwung, Frische und Spaß in die womöglich etwas Ehrfurcht gebietenden Gemäuer des Ritz-Carlton hineinzubringen. Keine Berührungsängste mit der Bayrischen Garnele und dem Königsberger Klops! Ja, doch. In der Nähe von München nachhaltig gezüchtete Salzwasser-Garnelen toppen die fluffigen ostpreußischen Fleischklopse mit Kapernsauce.
Das Lila Senfei bringt Farbe ins Spiel
Nicht ohne Grund heißt es auf der Website: „Klassiker der deutschen Küche neu interpretiert". So ein Klassiker ist das „Lila Senfei", das Müller in den 1970ern erfand. Die gefällige Farbe erhält das Ei auf Kartoffelstampf-Unterlage durch einen mit vergorenem Traubenmost gesäuerten Senfschaum. „Eine Schönheit!", meint die Begleiterin, bevor sie dem Gericht durch Anstechen einen etwas orangefarbeneren Anstrich verpasst. Das Senfei ist eine schöne Sache für die Freunde des sanften Genusses in mundiger Textur. Die Begleiterin liebt aber vor allem den in Varianten durchgespielten Winterkürbis. Als Chip, Creme und in etwas gegarter Form macht er sich unterm Ziegenquark locker. Kürbiskernpesto und kupferfarbene Kürbiskerne dazu; mehr braucht es nicht, um das Gaumenkino zum Laufen zu bringen. Kupferfarben? Ja, so wie die dekorativ im Entrée und Restaurant verteilten Töpfe wurden die Kerne gefärbt.
Die „Pots" sind angeblich nicht Namensgeber des Restaurants, der Potsdamer Platz in Kurzform soll’s stattdessen gewesen sein. So herum oder anders herum – wir haben Spaß am optischen Gimmick.
Noch viel mehr Spaß habe ich am „Geheimgericht". In einem Glas landet ein „Curry-Cappuccino" vor uns. „Heiß trinken!", lautet die Anweisung. Ein schaumiges, leichtes, mit selbst gemischtem Curry auf den Punkt gebrachtes Süppchen. Dieter Müller war seinerzeit, Anfang der 90er-Jahre, auf „Welttour" und lernte in Bangkok die scharfen Thaisuppen kennen. Doch das Ergebnis befriedigte ihn nicht. „Zu unausgewogen" seien die Suppen, befand er. Er entwickelte eine eigene, feine Variante, die besser für den europäischen Gaumen sei, berichtet Küchenchef Frederik Grieb. Zitronengras in Stücken, Ingwer, Schalotten, Lauch, Brühe, Kokosmilch, Sahne, Currypulver und Kaffirlimetten-Blätter sind die Grundbestandteile vom „Cappuccino". „Anschließend passieren wir alles durch ein gröberes Sieb", verrät er.
Grieb reiste und kochte zwei Jahre lang mit Müller an Bord der MS Europa. Er weiß aus dem Effeff, wie Müller‘sche Gerichte funktionieren. „Der Clou an der Suppe ist, dass wir grüne Äpfel, Ananas, Petersilie und Banane hinzufügen." Hallo Fruchtigkeit aus dem Untergrund! Ich frage mich, wie ich es anstellen könnte, jeden Tag mindestens so ein Glas Curry-Cappuccino, lieber noch gleich eine ganze Schüssel, voll zu erhalten. „Sie steht nicht auf der Karte, aber wir haben die Suppe immer da", sagt Grieb. Es schauten immer wieder Gäste ins „Pots" herein, die Dieter-Müller-Gerichte der Drei-Sterne-Liga aus seiner Zeit im Schlosshotel Lerbach oder von der MS Europa her kennen. Mir kann geholfen werden – selbst wenn saisonbedingt immer wieder neue Gerichte auf der Karte Einzug halten.
Wahlweise würde ich den „Fischeintopf DM", der „Dies und das aus der Nordsee" in sich vereint, jederzeit gern wieder nehmen – eine gute Empfehlung vom Gourmet-Kollegen. Das Müller‘sche Motto „Es soll heiß sein, es soll lecker sein und gut schmecken" wird nicht zuletzt von den vielen bunten gusseisernen Töpfen und Kasserollen, die in kleiner oder größerer Ausführung zum Servieren auf die Tische kommen, erfüllt. Die duftig-intensive Suppe bleibt darin lange heiß, egal wie flott wir nachschöpfen.
Der Geheimtipp steht nicht auf der Karte, ist aber immer vorrätig
Eine nicht minder begeisterungswürdige Kreation brachte Küchenchef Frederik Grieb auf die Karte. Der „Verbrannte Kohl" ist mein schlicht-raffinierter Gemüse-Held. Ein im Ganzen über einer Gasflamme abgebrannter Spitzkohl „verkapselt" beim anschließenden Garen das Aroma in sich. Ein paar abgepellte schwarze Blätter später, in Viertel geschnitten und mit „Berliner Miso-Espuma", gerösteten Haselnüssen und Petersilienöl angerichtet ist der Genuss auf den Punkt gebracht. Die aus dem Kohl herausgekitzelte gemüsige Süße, Nüsse und das volle, aber verfeinerte Umami des tatsächlich in Berlin hergestellten Miso von „Mimi Ferments" lassen für mich keinen kulinarischen Wunsch offen.
Das geht natürlich nicht. Längst hat Mathias Brandweiner uns einen 2010er, geschlagene acht Jahre im Holzfass gereiften, Grünen Veltliner zum Fleisch eingeschenkt. Hallo, da ist er ja, der subversive Österreicher! Der „Nicolaihof" sei das erste biodynamisch arbeitende Weingut im Nachbarland überhaupt gewesen, verrät uns der Sommelier. Die nach hinten auslaufende feine Säure passt sich bestens an das „Zweierlei vom Kalb" an. Eine durchgeschmorte Backe und ein medium gebratenes Filet lassen gemeinsam mit Vanille-Karotten die Geschmacksknospen tanzen. Das Müritz-Lamm mit Schalotten, Püree und Chips aus Topinambur erfreut ebenso. „Die kleinen Paprika darin sind wahrscheinlich als einziges Produkt nicht aus Deutschland."
Wer sich durch den kulinarischen Müller-Grieb-Kosmos hindurchessen will, sollte das mit mehreren Personen tun und die Gerichte teilen. Sie sind mit zwölf Euro bei den Vorspeisen, 19 Euro bei den Hauptgerichten und neun Euro bei den Desserts sehr fair kalkuliert. Die Alternative: ein Überraschungsmenü mit Vorspeise, Hauptgang, zwei Beilagen und Dessert „nach Wahl des Küchenchefs" für 49 Euro pro Nase.
Während morgens das „Pots" mit seinen 150 Plätzen fürs Hotelfrühstück komplett bespielt wird, ist das Abendgeschäft schwerpunktmäßig auf den hinteren Bereich in der Nähe der offenen Küche begrenzt. Die halbrunden Kuschel-Nischen etwa haben eine wirklich schöne, intime Atmosphäre für zwei bis fünf Personen. Der Eingang zum „Pots" befindet sich nun hinten links hinter der Lounge. Der wöchentlich wechselnde zwei- oder dreigängige Lunch für 22 oder 26 Euro inklusive Wasser und Kaffee ist im „Pots" ein attraktives Angebot für die Mittagszeit, wenn’s nicht nur lecker sein soll, sondern auch schnell gehen muss.
Der in Gestalt von Bällchen, Drops und Körnern gereichte Milchreis mit Zwetschgenkompott, Mandelsplitter-Crackern und karamellisiertem Rum-Eis bekommt von der Begleiterin zum Abschluss unserer Genuss-Orgie die Note „Ganz fein!". Mein Liebling ist eine dekonstruierte „Schwarzwälder Kirsch". Eine Stange aus Schokolade und Nougat wird von Kokosnuss-Sahne, Tonka-Eis, Malz-Boden und Kupfer-Schokopops begleitet. Und die Kirschen? Finden sich eingelegt und als Gel-Tupfen ein. „Ganz fancy!", sage ich. Ob fein oder fancy: Im neuen „Pots" gibt’s schön verfeinerte deutsche Küche, Bodenständigkeit und Spaß am gemeinschaftlichen Genuss. Gemeinsam mit dem Namen Dieter Müller und den Ideen seiner jungen Garde sollten das gleich mehrere gute Gründe für einen oder wiederholte Besuche sein.