Drei Saisonrennen, drei Mercedes-Doppelsiege: Als neuer WM-Spitzenreiter greift Lewis Hamilton wieder nach den Sternen. Ferrari-Rivale Sebastian Vettel blieb auch in China nur die Rolle des Hinterherfahrers. An diesem Sonntag, 28. April, startet die Formel 1 in Baku.
Der China-Grand-Prix war ein ganz Besonderer. Er war der 1000. WM-Lauf in der Formel-1-Geschichte. Und der 75. Sieg von Mercedes-Star Lewis Hamilton. Es war auch gleichzeitig sein sechster Triumph in Shanghai. Damit ist der Brite souveräner Rekord-Sieger im Roten Reich. Mit seinem zweiten Saisonsieg knöpfte der fünfmalige Weltmeister Teamkollege Valtteri Bottas die WM-Führung ab. Der Finne und der Brite bescherten Mercedes den dritten Doppelsieg im dritten Rennen der Saison. 27 Jahre ist es her, dass Williams durch Nigel Mansell und Riccardo Patrese die ersten drei Saisonrennen mit einem Doppelerfolg beendete. Mit drei Doppelsiegen beim China-GP (2014, 2015 und 2019) ist Mercedes auch Shanghai-Rekordhalter. Mit dem 47. Doppelerfolg in der Teamhistorie zieht Mercedes in der ewigen Bestenliste mit McLaren gleich. Nur Ferrari sind noch mehr Doppeltriumphe gelungen, nämlich 84.
„Es war unser bester Saisonbeginn", stellte Motorsportchef Toto Wolff nach dem Rennen fest, der diesen Aufgalopp vor dem ersten Rennen in Australien nicht so erwartete hatte. In Bahrain hatte Mercedes das Glück, dass Ferrari in Probleme geriet, doch China war erneut eine Machtdemonstration der Silbernen. Hamiltons Sonntagnachmittagsfahrt war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Locker und entspannt fuhr er zu seinem zweiten Saisonsieg. Ferrari-Star Sebastian Vettel wurde Dritter hinter Bottas. „Der Start war für mich entscheidend, der Rest ist Geschichte. Unsere Strategie war bei den ersten drei Rennen immer auf den Punkt richtig, so müssen wir weitermachen", ließ Hamilton in der Mercedes-Presseaussendung verlauten. Bottas dagegen haderte mit seinem Start. „Ich bin von der Pole losgefahren und habe das Rennen leider am Start verloren. Gleich außerhalb der Startmarkierung befindet sich eine weiße Linie, und meine Räder haben durchgedreht, als ich darüber gefahren bin. Dadurch habe ich Platz eins an Lewis verloren. In unserem Sport kommt es auf jedes Detail an, und diese Kleinigkeit hat das Rennen entschieden", stellte der Auftaktsieger von Australien enttäuscht fest. Am Ende hatte Hamilton 6,6 Sekunden Vorsprung auf Bottas und 13,7 auf Vettel. Für Sportchef Toto Wolff war es „fantastisch, beim 1000. Rennen auf Pole zu stehen und das Rennen dann auf so überzeugende Art und Weise zu gewinnen. Das war ein ganz besonderer Sieg für uns. Wir haben nie so recht geglaubt, dass wir so dominant sind."
„Unsere Strategie war immer auf den Punkt richtig"
Lange Gesichter dagegen bei Ferrari und ein ziemlich angefressener Sebastian Vettel trotz seines ersten Podestplatzes in dieser Saison. Fakt ist: WM-Mitfavorit Ferrari konnte wieder einmal nicht mit Mercedes mithalten, hatte mit dem Sieg nichts zu tun. Und in Sachen Teamorder knirscht es schon heftig im Gebälk. Der Haussegen in Maranello hängt beachtlich schief. Richtig zufrieden war Vettel nach seinem dritten Platz nicht. „Ich bin glücklich, auf dem Podium zu sein. Es war aber hart. Wir haben versucht, dranzubleiben, es ging aber einfach nicht. Die beiden Mercedes-Fahrer waren vom Start weg einfach zu schnell." Und Vettel zu langsam. Von Platz drei ins Rennen gegangen, „flog" Team-Rookie Charles Leclerc von Rang vier an dem Routinier vorbei auf Platz drei. Vettel gibt zu, dass er in den ersten zehn Runden „alles probiert" hat, um Leclerc aus eigener Kraft zu überholen, aber: „Ich hatte nie wirklich eine Chance." Vettel hing also hinter Leclerc fest. Der viermalige Weltmeister fühlte sich schneller und durch seinen neuen Stallgefährten aufgehalten. Was nun? Jetzt waren die Ferrari-Strategen und Teamchef Mattia Binotto gefragt. Der Kommandostand forderte Leclerc auf, mehr Tempo zu machen, sonst müsse er Vettel überholen lassen. In Runde elf bekam der Monegasse dann die unmissverständliche Anweisung: „Lass Sebastian vorbei, lass Sebastian vorbei." Leclerc gehorchte widerwillig – und hatte einen dicken Hals. Per Teamorder wurde Vettel so auf Platz drei geschleust, kam aber nicht an den vor ihm fahrenden Bottas heran. Leclerc fühlte sich als Opfer, war stinksauer und beendete das Rennen hinter Red-Bull-Pilot Max Verstappen auf Rang fünf. Als er sich beruhigt hatte und mit ein bisschen Abstand konnte Leclerc die Entscheidung vom Kommandostand sogar nachvollziehen.
Im dritten Rennen erteilte die Teamführung bereits zum dritten Mal Befehle an seine Fahrer, um sie während des Grand Prix zu steuern. In Australien hatte man Charles Leclerc im Schlussstint – als Stint bezeichnet man den Abschnitt eines Rennens, in dem ein Fahrer mit dem gleichen Reifensatz auf der Strecke ist – zurückgepfiffen. In Bahrain forderte man ihn auf, zwei Runden hinter Vettel zu warten. Leclerc ignorierte die Aufforderung und überholte Vettel bei der ersten Gelegenheit, was der Heppenheimer nachvollziehen konnte und akzeptierte. Leclerc war einfach schneller. Schon jetzt in der Frühphase ist zu erkennen: Diese WM wird ein Kampf der Generationen zwischen dem 31-jährigen Vettel und dem aufstrebenden, aufmüpfigen 21-jährigen Leclerc. Vettel muss neben der WM nun auch um die Vorherrschaft im Team kämpfen. Der Monegasse wird nicht gewillt sein, Befehle und Anweisungen vom Kommandostand zu akzeptieren. Er will unverkennbar zum Teamleader aufsteigen. Ferrari hatte sich im Vorfeld des Rennens nochmals positioniert und den mittlerweile seit elf Rennen sieglosen Vettel zur klaren Nummer eins deklariert. Man werde „in einer 50:50-Situation weiter Sebastian bevorzugen, weil er die meiste Erfahrung im Team und in der Formel 1 hat. Er ist für uns der Fahrer mit der größten Wahrscheinlichkeit auf eine gute Rolle im Titelkampf", sagte Teamchef Binotto vor dem Renn-Wochenende. Nach dem Rennen erkannte der in der Schweiz geborene Italiener: „Wir müssen die Leistung und die Zuverlässigkeit unseres Autos verbessern. Das hat Priorität." Vettels Fazit: „Wir haben ein starkes Auto, es ist nichts falsch damit. Wir kriegen es aber nicht optimal hin. Wir sehen allerdings ein bisschen ein Muster. Diese und die kommenden Wochen sind sehr wichtig für uns, damit wir sehen, wohin es die kommenden Monate geht. Wir waren einfach nicht so schnell wie Mercedes." Das Jubiläumsrennen war eher ein langweiliger Gähn-Grand-Prix mit wenig Action auf der Strecke und eines Jubiläums nicht würdig.
Leclerc gehorchte widerwillig
Die große Party zum 1000. Grand Prix war es jedenfalls nicht. Wie FORUM bereits in seiner Vorschau auf dieses Jubiläum berichtete, ist Shanghai der falsche Ort – was sich jetzt auch bestätigt hat. China hat keine Motorsport-Tradition. Auch im 16. Jahr der Formel 1 im Reich der Mitte hat der Sport noch nicht Fuß gefasst. Deutschlands renommiertester Formel-1-Experte Michael Schmidt vom Fachmagazin „auto-motor-und-sport" berichtete, dass im Fahrerlager und auf den Tribünen einfach keine Stimmung aufkommen wollte. Die Veranstaltung sei so grau wie der Himmel über Shanghai geblieben. Der Plan, alle Weltmeister einzuladen und alle Weltmeister-Autos um die Rennstrecke fahren zu lassen, sei gescheitert. Am Ende waren von den Weltmeistern nur die üblichen Verdächtigen in Shanghai. Alain Prost in seiner Rolle als Botschafter von Renault, die TV-Kommentatoren Damon Hill und Nico Rosberg. Und natürlich die Champions, die noch aktiv sind: Hamilton, Vettel und Kimi Räikkönen. Experte Schmidt weiß: „Lewis Hamilton mag weder Geburtstage noch Jubiläen, hat sich aber aus Anlass der Feierstunde eine eigene Kappe in Rot anfertigen lassen – auch wenn Rot aus Sicht von Mercedes nicht gerade linientreu ist." „Aber sie haben es mir durchgehen lassen", sagte Hamilton zu der Farbwahl.
Nach drei Doppelsiegen aus den ersten drei Rennen fährt Mercedes in einer eigenen Liga und reist mit einem komfortablen Vorsprung zum vierten Saisonlauf an diesem Sonntag (28. April, 14.10 Uhr RTL/Sky) in den Kaukasus nach Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan. In der Team-Wertung hat die Marke mit dem Stern 130 von 132 möglichen Punkten eingestrichen. Ferrari kommt auf 73, Red Bull auf 52 Zähler. Bei den Fahrern führt Lewis Hamilton mit 68 Punkten die WM-Wertung vor Teamkollege Bottas (62) und Max Verstappen (Red Bull/39) an. Als WM-Vierter hat Vettel (37) bereits 31 Punkte Rückstand auf Hamilton, Leclerc (36) ist WM-Fünfter.
In dem öl- und gasreichen Land ist Vettel noch sieglos. Bei den bisher drei Rennen triumphierte Mercedes zweimal (Rosberg im Jahr 2016, Hamilton 2018) und Red Bull einmal (Ricciardo 2017). Der spektakuläre Stadtkurs am Kaspischen Meer ist eine Strecke mit einer ganz eigenartigen Charakteristik. Mit extrem engen Passagen um die Altstadt, mit einer über zwei Kilometer langen Geraden, mit Spitzengeschwindigkeiten von 350 km/h und einem Durchschnittstempo von knapp 200 km/h. Ganz eng ist die Einfahrt rund um den Altstadt-Bereich, Kurve acht und die folgende Kurvenkombination. Als besonders unfallträchtig erweist sich Kurve 15, auch noch im Altstadt-Bereich, nicht gerade langsam, blind über eine leichte Kuppe, dann stark bergab, mit einer etwas merkwürdig platzierten Auslaufzone. Die Gefahr, in die Streckenbegrenzung zu rutschen, ist hoch.
Die große Party war es nicht
Der 6,003 Kilometer lange Kurs mit seinen 20 Kurven verzeiht keine Fahrfehler. Besonders in Erinnerung geblieben ist das Wutduell zwischen Vettel und Hamilton 2017. Der Ferrari-Pilot fühlte sich vom führenden Hamilton hinter dem Safety-Car mehrere Male unfair eingebremst. Vor lauter Wut fuhr der Heppenheimer bei geringer Geschwindigkeit seinem Rivalen ins Auto. Das bescherte Vettel eine Zehn-Sekunden-Strafe und kostete ihn den möglichen Sieg. Hamiltons Auto wurde leicht beschädigt, er konnte aber seinen ersten Baku-Sieg einfahren.
„Wenn ich etwas bereue, dann mein Verhalten in Baku", bedauerte Vettel später. Am Sonntag kann Baku für den in Italien nicht mehr ganz so populären Deutschen richtungsweisenden Charakter im WM-Kampf haben.