In Berlin wird es nach der Europawahl zur Regierungsumbildung kommen. Spekuliert wird, wie umfangreich die sein wird. In der CDU wächst die Unzufriedenheit mit Teilen des Regierungspersonals.
Eines ist sicher: Nach der Europawahl wird es eine Regierungsumbildung geben, geben müssen. Denn Justizministerin Katarina Barley wird auf jeden Fall ihren derzeitigen Job aufgeben. Als SPD-Spitzenkandidatin will Barley ins EU-Parlament umziehen. So weit, so vorhersehbar. Wer der 50-Jährigen nachfolgt, ist derzeit noch unklar.
Längst wird spekuliert, dass es nicht nur diese absehbare kleine Umbildung geben könnte, die SPD-Ministerriege betreffend.
Bekanntlich wird schon seit geraumer Zeit, auch in Unionsreihen, über Modelle diskutiert, Kanzlerinnenwechsel inbegriffen. Was maßgebliche Teile des Koalitionspartners SPD aber ablehnen.
Neben der strategischen Frage, ob Kanzlerinnenwechsel, und falls ja, wann, steht die Union vor weiteren Fragen. Ihre Kabinettsmitglieder sind in Umfragen reichlich unpopulär. Vor allem Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist zuletzt unter Beschuss geraten. Der leutselige Saarländer ist einer der erfahrensten Minister im Kabinett. Seine Karriere begann als Staatssekretär unter Wolfgang Schäuble, dann parlamentarischer Geschäftsführer unter Volker Kauder und schließlich Kanzleramtschef unter Angela Merkel. Nebenbei war er sogar einige Monate Umwelt- und noch ein paar Wochen Finanzminister. Die recht teure Energiewende geht auf ihn zurück.
Zeitfenster zwischen Europa- und Landtagswahlen
Für den CDU-Bundeswahlkampf im Sommer 2017, den viele im Nachhinein als ziemlich verkorkst ansehen, sprang Altmaier als „Feuerwehrmann aus dem Kanzleramt" für den erkrankten Generalsekretär Peter Tauber ein. Damit hat er das bislang schlechteste Bundestagswahlergebnis (28,2 Prozent) mit zu verantworten.
Bislang hat der 60-Jährige politische Pannen ganz gut verkraftet. Er ist gut vernetzt. Wenn einer im politischen Berlin weiß, wie der Hase läuft, dann Altmaier. Als Wirtschaftsminister steht er in der ersten Reihe, und da fallen Fehler sofort auf. Spätestens seit dem Wiederauftauchen von Friedrich Merz aus der politischen Versenkung ist es eng geworden für den Saarländer. Vor allem Vertreter von Wirtschaft und Mittelstand haben sich auf ihn eingeschossen: Als Wirtschaftsminister sei er ein Totalausfall. Vor allem sein „Nationaler Industrieplan 2030" hat für ganz schlechte Kritiken gesorgt. Dieser soll nationale europäische Champions schaffen. Doch das geht klar an der Kernzielgruppe christdemokratischer Wirtschaft vorbei: der Mittelstand, die Familienunternehmen, die bislang stabilen Säulen im globalen Wettbewerb.
Bei aller Kritik bliebe die Frage: Wer sollte Altmaier nachfolgen können? Ein Gedankenspiel geht von einer möglichen Rochade nach der Europawahl aus: Der Saarländer geht nach Brüssel, dafür kommt EU-Kommissar Günther Oettinger nach Berlin. Eine Idee, die unter Beobachtern aber höchst strittig betrachtet wird, Tendenz: ziemlich unwahrscheinlich. Die Kanzlerin selbst könnte sich offenbar auch den haushaltspolitischen Sprecher der Unionsfraktion Eckhardt Rehberg im Wirtschaftsressort vorstellen. In der Unions-Bundestagsfraktion wird auch Friedrich Merz als Altmaier-Nachfolger hoch gehandelt. Was neue Nahrung durch die gemeinsame mediale Inszenierung mit Annegret Kramp-Karrenbauer bekommen hat. Womit die Frage allerdings nicht beantwortet wäre, welche Aufgabe Altmaier dann übernehmen könnte. Auch wenn der Fachminister derzeit wenig glücklich wirkt, sind seine Fähigkeiten als Strippenzieher und Moderator im Hintergrund enorm.
Eine weitere Baustelle für die CDU ist das Verteidigungsministerium. Eines war von Anfang an klar: Ursula von der Leyen wurde dieses Ministerium von der Kanzlerin angedient, um der ehemaligen Konkurrentin eine höchst undankbare Aufgabe zu übertragen. Dass das Verteidigungsministerium immer für negative Schlagzeilen gut ist, liegt auf der Hand. Denn das Geschäft ist nun mal alles andere als bloß ein netter Abenteuerurlaub, auch wenn das die Bundeswehr-Werbung suggeriert. Sicherheit schaffen mit teuren Waffen, die den Dienst verweigern, in einem familienfreundlichen Umfeld als attraktiver Arbeitgeber in einer Vielzahl von Auslandseinsätzen: Die Quadratur des Kreises ist dagegen eine leichte Fingerübung. Die erste Frau an der Spitze der Bundeswehr muss sich hauptsächlich mit Berateraffären und andauernden Ausrüstungsproblemen der Truppe herumschlagen. Staatsanwälte ermitteln wegen des Verdachtes auf Korruption, der Bundesrechnungshof prangert ständig neue Fälle von Steuergeldverschwendung an. Dazu kommt der Untersuchungsausschuss des Bundestages, um Rechtsverstöße bei der Beschäftigung von externen Beratern aufzuklären. Die Kostenexplosion bei der Sanierung des Segelschulschiffs Gorch Fock wirkt da nur noch wie der berühmte letzte Tropfen. Trotzdem deutet vieles darauf hin, dass Ursula von der Leyen die anstehende Regierungsumbildung wohl überstehen dürfte, und sei es auch nur aus Mangel an personellen Alternativen aus CDU-Reihen, wo sich niemand wirklich aufdrängt.
Wenig Gutes ist auch von der Stimmung im CDU-geführten Bundesministerium für Bildung und Forschung zu hören. Scheinbar geht die schlechte Laune in dem Zukunftsministerium auf eine sehr fragwürdige Entscheidung von Ministerin Anja Karliczek gleich zu Beginn ihrer Amtszeit zurück. Die beamtete Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen wurde von jetzt auf gleich in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Innerhalb von Stunden bestätigte Bundespräsident Steinmeier die Entlassungsurkunde. Über zehn Jahre war die Staatssekretärin in dieser Position beschäftigt. Eine nachvollziehbare Erklärung gab es für die Entlassung nicht. Die wissenschaftliche Seiteneinsteigerin Karliczek hat sich damit aber ganz offensichtlich im Haus viele Feinde gemacht. Und eine Ministerialbürokratie kann ihren Chef reichlich alt aussehen lassen. Vermutlich ein Grund, warum Karliczeks Außendarstellung erheblich zu wünschen übrig lässt. Dabei könnte es eigentlich gut laufen für die gebürtige Münsterländerin. Bund und Länder haben Hand an das leidige Kooperationsverbot gelegt. Mit dem Digitalpakt für die Schulen wird den Ländern finanziell vom Bund unter die Arme gegriffen. An anderen Stellen war Anja Karliczek alles andere als geschickt. Die Idee, den hoch angesehenen deutschen Handwerksmeister aufzugeben und in „Berufsbachelor" umzubenennen, hat nicht wirklich überzeugt. Das Grundproblem vieler Handwerksbetriebe ist, überhaupt geeignete Bewerber zu finden, weniger, sich über Bezeichnungen zu streiten. Obendrein hat nun Finanzminister Olaf Scholz angekündigt, Karliczeks Etat um 530 Millionen Euro kürzen zu wollen. Von der Forschungsministerin kam kein wirklich hörbarer Aufschrei der Kritik, was ihr als Schwäche ausgelegt wird. Gerade in einer Zeit, in der alle Parteien Bildung für eine Schlüsselfrage der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands halten. Doch auch für Karliczek drängt sich derzeit kein wirklicher Ersatz auf, sollte es zu der erwarteten Kabinettsumbildung kommen.
Spekuliert wird über fast alle
Spannend bleibt im Übrigen, wie sich CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach einer möglicherweise versemmelten Europawahl halten wird. Der Europawahlkampf findet überraschend ohne Kanzlerin Merkel statt. Dass sie gegen Ende ihrer politischen Laufbahn hat auf flächendeckende Pfeifkonzerte wie bei der Bundeswahl vor zwei Jahren keine Lust mehr, wäre nachvollziehbar, dürfte aber kaum der einzig ausschlaggebende Grund für die Enthaltsamkeit sein. Ursprünglich war die Europawahl auf Angela Merkel ausgerichtet. Nun steht Annegret Kramp-Karrenbauer allein im Rampenlicht, damit geht die Wahl voll auf ihre Kappe als CDU-Chefin.
Schon werden Erinnerungen an Martin Schulz wach. Gestartet mit viel Aufbruchstimmung, nach dem Hype auf den hinteren Bänken verschwunden. In den Umfragen zur Europawahl dümpelt die Union irgendwo bei 30 Prozent vor sich hin und das trotz des geschlossenen Burgfriedens mit der Schwester CSU. Die CDU allein droht weit unter diesen magischen 30 Prozent zu landen, die heutzutage als Messlatte für eine Volkspartei angelegt werden.