Die Regierungsbildung wird schwierig – die Rechtspopulisten reden mit
Nun also auch Spanien. Jahrzehntelang schien das Land immun zu sein gegen die Versuchungen rechtspopulistischer Parteien. Die Erinnerungen an die Schrecken der 1975 zu Ende gehenden Franco-Diktatur wirkten nach. Spanien war offenbar eine Insel der Seligen.
Bis zum vergangenen Sonntag. Die rechtsaußen angesiedelte Vox-Partei schaffte bei den Wahlen den Sprung ins Parlament – und zwar mit einem zweistelligen Ergebnis. Damit schwappt die rechtsnationale Welle Europas auch auf die Iberische Halbinsel über. In Rom (Lega), Wien (FPÖ) und Athen (Anel) und etlichen mittel- und osteuropäischen Ländern sitzen verwandte Gruppierungen bereits in der Regierung.
Warum der plötzliche Schub für die erst 2013 gegründete Vox? Man sollte sich davor hüten, der Partei lediglich das Etikett „rechtsextremistisch" oder „neonazistisch" zu verpassen. Das wäre zu einfach. Vox ist es vielmehr gelungen, bei dem Thema, das die Spanier in den letzten Monaten am meisten elektrisierte – dem Katalonien-Konflikt –, viele Wähler zu mobilisieren. Der Vorstoß der katalanischen Separatisten, für die wohlhabende Provinz per Referendum die Unabhängigkeit zu erzwingen, hat im Land für großen Unmut gesorgt. Vox hat den Versuch des sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, ein Kompromiss-Paket mit mehr Autonomie für die Katalanen zu schnüren, als „Verrat" angeprangert. Bei etlichen Bürgern stieß diese radikale Linie auf Resonanz. An der Einheit Spaniens wollen nur wenige rütteln.
Darüber hinaus profilierte sich Vox erfolgreich als Denkzettel-Partei gegen die Etablierten. In den vergangenen Jahren waren sowohl die bislang regierenden Sozialisten als auch die konservative Volkspartei in zahlreiche Korruptionsaffären verstrickt. Vox warb mit einem Saubermann-Image.
Die Flüchtlingspolitik ist ein drittes Feld, auf dem Vox punkten konnte. Seit Italien die Häfen dicht macht, drängen die Migranten aus Afrika vor allem über Marokko nach Spanien. Das Argument der Rechtspopulisten: Mehr als 95 Prozent der Gestrandeten werden nicht als Flüchtlinge anerkannt, aber nur wenige abgeschoben. Vor diesem Hintergrund hat Ministerpräsident Sánchez seine Willkommenspolitik zwar heruntergedimmt. Doch der Chef von Vox, Santiago Abascal, besetzte das Thema immer wieder mit scharfmacherischen Tönen.
Vox jagte vor allem der konservativen Volkspartei Stimmen ab. Die erreichte knapp 17 Prozent der Stimmen und wurde gegenüber der letzten Wahl 2016 um die Hälfte rasiert. Der zunehmende Rechtsdrall der Konservativen zahlte sich nicht aus. Im Zweifelsfall machen die Wähler beim Original ihr Kreuz.
Spanien droht nun eine Fortsetzung der seit 2016 andauernden innenpolitischen Patt-Situation. Weder der Mitte-Links-Block mit den Sozialisten und den linkspopulistischen Podemos noch der Mitte-Rechts-Block mit Konservativen, rechtsliberalen Ciudadanos und Vox kommen auf eine absolute Mehrheit an Sitzen. Die Sozialisten konnten zwar ihr Resultat mit knapp 29 Prozent deutlich verbessern, aber Regierungschef Sánchez hatte sich wesentlich mehr erhofft.
Dennoch liegt es nun an Sánchez als Chef der stärksten Partei, eine Koalition zusammenzuzimmern oder es mit einer geduldeten Minderheitsregierung zu versuchen. Dies wird mühsam und dürfte dauern. Es war ihm im Juni 2018 immerhin gelungen, ein Misstrauensvotum gegen seinen Amtsvorgänger Mariano Rajoy durchzuboxen und sich danach mit einem tolerierten Sozialisten-Kabinett durchzuhangeln. Die Partner von damals dürften auch die neuen sein: Podemos und die kleinen Regionalparteien.
Ein derartiges Bündnis ist per se wackelig; die Teilnehmer werden einen hohen Preis verlangen. Sind die katalanischen Separatisten mit im Boot, besteht zudem die große Gefahr, dass sich Sánchez im Räderwerk der politischen Kompromissmaschinerie aufreibt. Der Katalonien-Konflikt ist ein so heißes Eisen, dass sich derzeit jeder daran die Finger verbrennen muss. Was den einen zu viel ist – weitgehende Autonomie –, ist den anderen zu wenig. Es waren schließlich die Katalanen, die sich im Februar bei Sánchez’ Haushaltsentwurf querlegten und damit Neuwahlen erzwangen.
Für die EU bedeutet das nichts Gutes. Europa, das bereits durch den Brexit geschwächt ist, hat im Süden eine weitere Zone von Lähmung und Instabilität.