Eine auskömmliche Rente im Alter ist der Garant für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Grundrente könnte ein erster Schritt für mehr Gerechtigkeit sein, doch die Kritiker lassen nicht locker. Ralf Kapschack, rentenpolitischer Sprecher der SPD, verteidigt den Vorschlag: Respekt sei nicht verhandelbar.
Altersarmut in Deutschland wird eines der drängendsten Probleme der Zukunft. Besonders das Thema Rente rückt dabei zunehmend in den Mittelpunkt. Für immer mehr Menschen reicht die gesetzliche Rente allein nicht mehr aus, um im Alter auskömmlich zu leben. Zu unterschiedlich sind heute die Erwerbsbiografien der Menschen mit Lücken wie Arbeitslosigkeit, Auszeiten oder Erziehungszeiten.
SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil hat mit der sogenannten „Respektrente" oder Grundrente nun einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, der helfen soll, die drohende Altersarmut abzuwenden oder zumindest abzumildern. Doch die Kritiker bezeichnen die von Heil vorgeschlagene Grundrente als ungerecht, ineffizient und zu teuer.
FORUM hat bei Ralf Kapschack nachgefragt, was hinter der Grundrente steckt, wie sie funktionieren soll und was die SPD damit bezweckt. Kapschack, geboren 1954 in Witten, ist Bundestagsabgeordneter für den nördlichen Ennepe-Ruhr-Kreis in Nordrhein-Westfalen und rentenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er war Ende März zu Gast bei der SPD-Fraktion im saarländischen Landtag in Saarbrücken.
Herr Kapschack, die SPD hat in den letzten Jahren bei den meisten Wahlen deutlich Federn lassen müssen. Besinnt sich die Partei jetzt auf ihre Wurzeln und entdeckt den Sozialstaat neu?
Der Sozialstaat ist ein Kernthema der SPD. Sie muss deshalb ihr Profil schärfen und deutlicher machen, wofür sie steht. Das Thema Rente können wir bei den Menschen ganz klar sichtbar machen und das haben wir in der letzten und der laufenden Legislaturperiode schon teilweise erreicht. Doch es gibt noch Luft nach oben. Daran arbeiten wir.
Inwiefern?
Nach vielen Jahren der Kürzungen konnten seit 2014 erstmals Rentenleistungen wieder verbessert werden. Als Beispiele stehen dafür die Erwerbsminderungsrente und die Mütterrente. Außerdem haben wir das Rentenniveau bei 48 Prozent stabilisiert. Damit steigen die Renten wieder wie die Löhne. In den rund 20 Jahren zuvor wurde von interessierter Seite versucht, die gesetzliche Rente als nicht zukunftsfähig und überholt darzustellen. Die Rente mit 67 und die Senkung des Rentenniveaus waren aus meiner Sicht Fehler, die wir nun korrigieren. Wir hatten damals allerdings auch mit fünf Millionen Arbeitslosen andere Bedingungen und eine starke Diskussion um steigende Rentenbeiträge insbesondere für die jüngeren Generationen.
Nach Riester- und Rürup-Rente soll jetzt die „Respekt"-Rente kommen. Wie funktioniert sie?
Die Grundrente ist etwas völlig anderes als Riester und Rürup. Letztere sind Kapitalmarktprodukte und waren als Ersatz für ein sinkendes Rentenniveau gedacht. Bei der Grundrente geht es darum, ein zentrales Versprechen des Sozialstaates einzulösen. Die Menschen hierzulande müssen sich wieder darauf verlassen können, dass die gesetzliche Rente nach dem Arbeitsleben ein auskömmliches Leben im Alter erlaubt. Wie gesagt, das Image der Rente hat in den letzten Jahren gelitten, aber in ihrer 150-jährigen Geschichte gab es lediglich nur den Mai 1945, wo sie nicht gezahlt wurde. So viel an dieser Stelle zur Sicherheit.
Das Ziel der Grundrente ist es, die Lebensleistung der Menschen anzuerkennen. Wir wollen möglichst viele Menschen aus der Grundsicherung herausholen oder sie gar nicht erst hineinrutschen lassen. Laut Forschungsinstitut der Deutschen Wirtschaft beziehen drei Prozent der heutigen Rentner Grundsicherung. Doch die Dunkelziffer der Menschen, die Grundsicherung beziehen könnten, liegt weit höher. Sie beantragen sie nicht, weil sie sich schämen oder weil sie nicht wollen, dass ihre Kinder für sie aufkommen müssen. Zwei Bedingungen gibt es für die Grundrente: Mindestens 35 Beitragsjahre und ein regulärer Rentenanspruch unter 900 Euro.
Es kann nicht sein, dass jemand mit 35 Versicherungsjahren inklusive Erziehungs- oder Pflegezeiten eine Rente bezieht, von der er im Alter nicht leben kann. Das ist für ein reiches Land wie Deutschland beschämend.
Das wird wohl niemand abstreiten. Aber warum gibt es so viele Kritiker? Der Koalitionspartner CDU will unbedingt die Bedürftigkeitsprüfung bei der Grundrente. Der Vorwurf lautet: Hier wird Geld mit der Gießkanne verteilt.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Grundrente einzuführen. Wenn die CDU auf die Bedürftigkeitsprüfung wie bei der Grundsicherung besteht, wird es mit der SPD keine Grundrente geben.
Hier werden im Übrigen verschiedene Dinge und Begrifflichkeiten in einen Topf geworfen. Bei der Rente gibt es keine Bedürftigkeitsprüfung, das könnte die Rentenversicherung auch gar nicht leisten. Es gibt allerhöchstens eine Einkommensprüfung zum Beispiel bei der Hinterbliebenenversorgung also der Witwen- beziehungsweise Witwerrente. Die Rente ist kein Almosen. Jemand, der gearbeitet, jemanden gepflegt oder Kinder erzogen hat, hat in seinem Leben Ansprüche erworben. Diese Ansprüche sind durch Arbeit entstanden, egal ob das nun die viel zitierte Friseurin mit wenig Geld im Alter ist oder die Gattin des Zahnarztes.
Warum die CDU nun eine Bedürftigkeitsprüfung für erbrachte Leistungen wünscht, ist nicht nachzuvollziehen. Bei der Mütterrente gibt es das auch nicht. Eine auskömmliche gesetzliche Rente ist im Übrigen ein Eckpfeiler unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und ein Garant für den sozialen Zusammenhalt. Das ist nicht verhandelbar.
Wie stehen Sie zu dem Vorwurf, die Grundrente wäre ungerecht?
Die Philosophie hinter der Grundrente heißt: Wer lange gearbeitet hat, soll mehr Rente bekommen als jemand, der weniger gearbeitet hat. Die Grundsicherung ist eine Fürsorgeleistung, die das Existenzminimum und eine angemessene Wohnung sicherstellen soll. Der Anspruch wird individuell geprüft, alle Einkommen, Vermögen auch von Partnern müssen dabei offengelegt werden. Der aktuelle Regelsatz liegt derzeit bei 424 Euro im Monat. Hinzu kommt der regional unterschiedliche Zuschuss zur Miete.
Die gesetzliche Rente dagegen hängt in erster Linie von geleisteten Beiträgen ab, von individuellen Faktoren wie Beitragsjahre oder Höhe des Verdienstes. Wer lange erwerbstätig war, Angehörige gepflegt oder Kinder erzogen hat, soll am Ende seines Berufslebens eine gesetzliche Rente erhalten über der Grundsicherung. Dieser Unterschiedsbetrag soll aus Steuergeldern finanziert werden. Laut ersten Berechnungen wird das ein einstelliger Milliardenbetrag im Jahr sein. Natürlich gibt es mit dem Kriterium 35 Versicherungsjahre eine Grenze, die jemand, der knapp darunter liegt, vielleicht als ungerecht empfinden wird. Dieses Problem lässt sich allerdings nicht lösen. Auch wenn man die Grenze nach unten verschiebt, kann es immer Menschen geben, die die Kriterien nicht erfüllen. Aber wir können uns auch weiche Übergänge, eine Art Korridor, vorstellen, zum Beispiel bei den Beitragsjahren, um mögliche Ungerechtigkeiten abzumildern. Das wird gerade geprüft.
Wann soll die Grundrente eingeführt werden?
Hubertus Heil hat den ersten Aufschlag gemacht. Der Referentenentwurf dürfte im Mai auf dem Tisch sein. Dann müssen die Knackpunkte in der Regierungskoalition geklärt werden, sodass, wenn alles gut läuft, der Gesetzesentwurf noch vor der Sommerpause in den Bundestag kommt. Dann nimmt das Gesetzgebungsverfahren seinen regulären Lauf. Im Herbst sollte die Grundrente beschlossen sein. Sie würde nicht nur für künftige Rentner, sondern auch für Bestandsrentner Anwendung finden.
Deutschland ist ein reiches Land. Dass wir überhaupt über Grundsicherung und Grundrente reden müssen, ist das nicht der eigentliche Skandal? Und das, obwohl die SPD viele Jahre mit in der Regierungsverantwortung steht.
Das ist in der Tat so. Wenn in Deutschland flächendeckend anständige Löhne und Gehälter gezahlt würden, hätten wir dieses Problem nicht so massiv vor allem in Hinblick auf den Niedriglohnsektor. In Westdeutschland sind rund die Hälfte der Unternehmen aus den Flächentarifverträgen ausgeschieden, in Ostdeutschland sogar 70 Prozent. Hier muss dringend gegengesteuert werden und das tun wir auch. Die lautstarke Kritik an der Grundrente fände ich dann glaubwürdig, wenn sich die Wortführer in Wirtschaft und Wissenschaft genauso laut und stark für eine stärkere Tarifbindung, anständige Löhne und die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern einsetzen würden. Außerdem wäre es sinnvoll, wenn alle Erwerbstätigen, sprich die abhängig Beschäftigten, die Abgeordneten, die Beamten und die Selbstständigen, verpflichtet wären, in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Das ist in Deutschland derzeit allerdings nur schwer durchsetzbar, aber wir arbeiten daran.