Er gehörte zu den ersten parteilosen Bürgermeistern im Saarland. Dass Stephan Strichertz nicht erneut antritt, war ein Paukenschlag für Kleinblittersdorf. Gesundheitliche Gründe lassen ihn kürzertreten. Bewegt hat der Parteilose viel im Haifischbecken der Kommunalpolitik.
Ein Bürgermeister ohne Parteibuch? Das gab es im Saarland lange Zeit nicht. Thomas Burg aus Überherrn war so einer, der aber bald wegen massiver psychischer Probleme aufhören musste. Und dann kam Stephan Strichertz. Im September 2001 wählten ihn die Kleinblittersdorfer zu einem der ersten parteilosen Bürgermeister im Land. Nun geht mit seiner Amtszeit eine Ära zu Ende. Doch wie kam es dazu? „Als ich 1991 mein Studium abgeschlossen hatte, war ein Verwandter von mir, der SPD-Mitglied war, Ortsvorsteher in Kleinblittersdorf", erinnert sich der Jurist. „Er meinte dann, dass die SPD auf der Suche nach einem Kandidaten sei und das doch etwas für mich sein könnte. Aber ich fühlte mich zu jung." 30 Jahre war Strichertz damals und hatte das Gefühl, direkt nach dem Studienabschluss noch nicht erfahren genug für das Amt des Bürgermeisters zu sein. So zerschlug sich die Idee zunächst.
Es sollte zehn weitere Jahre dauern, ehe wieder eine Partei einen Vorstoß bei Strichertz machte – diesmal die CDU. In seinem Handballverein gab es ein Mitglied der Union, das Strichertz geeignet hielt für den Posten des Kleinblittersdorfer Bürgermeisters. „Also fragte er mich, aber ich wollte nicht in die CDU eintreten", erzählt Strichertz. Aber er hatte doch Feuer gefangen. Und da es mit Beitritten zu SPD und CDU nichts werden sollte, besorgte er sich kurzerhand den Segen seiner Frau und stellte sich als parteiloser Kandidat im Wahlkampf – mit Erfolg. Die Kandidaten der großen Parteien waren zu schwach oder zu unbeliebt. Über acht Wochen hinweg stellte er sich auf Podien unzähligen Fragen und glänzte bei seinen Wählern.
Doch weshalb wollte er nie in eine Partei eintreten? „Für mich ist es ein großes Problem, in einer Hierarchie zu arbeiten", sagt Strichertz, „deshalb war ich froh, dass ich keine Partei hatte. Ich wäre mit Sicherheit angeeckt." Vieles, was in einer Partei passierte, sei zu sehr in einem Parteizwang eingeengt. „Damit kann ich mich nicht identifizieren", sagt Strichertz, der ohnehin viele Vorteile darin sieht, als Bürgermeister parteineutral zu sein: „Man kann Themen in den Rat einspielen, diskutieren und das wird alles sachbezogen diskutiert ohne in die rote, schwarze oder gelbe Ecke geschoben zu werden." Fernab der Parteipolitik habe man seiner Meinung nach viele Chancen. Dabei habe es schon auch Zweifel gegeben. Viele mutmaßten, was ein parteiloser Bürgermeister überhaupt bewegen könne, ganz ohne Netzwerk. „Das muss man sich über die Jahre einfach aufbauen", sagt Strichertz. „Wir haben im Saarland die oft zitierten kurzen Wege, das muss man nutzen, dann kann man viel bewegen." Und Strichertz hat viel bewegt.
Für Ideen und Projekte ohne Parteizwänge Mehrheiten suchen
Nach der Wahl im Jahr 2001 lud ihn der damalige Staatssekretär im saarländischen Wirtschaftsministerium zu einem Gespräch über die Saarland-Therme ein. Die CDU auf Landesebene war von dem Projekt überzeugt, doch Probleme gab es, da sein Vor-Vorgänger Enteignungen beabsichtigt hatte, um die Therme zu realisieren. Strichertz war gegen die Enteignung, nicht aber gegen das Bad. „Ich war überzeugt davon, dass man im Sinne von Wellnesstourismus einiges auf den Weg bringen konnte." Strichertz erreichte, dass am Ende alle an einem Strang zogen und es 2012 zur feierlichen Einweihung der Therme kam. Auch die Wiedereingliederung in die Biosphärenzone ist einer seiner großen Erfolge im Amt. „Das ist natürlich touristisch und naturschutzfaktisch ein riesiger Meilenstein gewesen", sagt er. Projekte wie die Aufstockung der Ferienwohnungen in Kleinblittersdorf von zwei auf mehr als 30, neue Hotelzimmer am Wintringer Hof und ein viel größeres Kulturprogramm. „Als Marionette einer Partei wäre so etwas viel schwieriger geworden", ist Strichertz überzeugt, der in seinen vielen Jahren im Amt Konzepte und Ideen im Gemeinderat frei vorschlagen und dafür ohne Zwang Mehrheiten suchen durfte. „Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen rede, die in einer Partei sind, erzählen sie oft von Problemen, die Mehrheit in der eigenen Fraktion zu bekommen oder dass sich die Interessen ihrer Partei oft nicht mit ihren eigenen decken."
Viele nutzten die Möglichkeit, als freier Kandidat anzutreten, obwohl sie einer Partei angehören. „Das führt dann etwa dazu, dass die SPD zwei Kandidaten hat, was problematisch sein kann, da sie im selben Gewässer fischen", sagt Strichertz, der sicher ist, dass die Bevölkerung gern Kandidaten wählt, die parteilos sind. Noch heute merkt er, dass sein Entschluss, nicht mehr anzutreten, viele in Kleinblittersdorf trifft.
„Viele kamen auf mich zu, Bürger, Feuerwehrleute, und baten mich, weiterzumachen", sagt er. „Der Tenor war, dass der Ort gute Erfahrungen mit einem Parteilosen gemacht habe – man spürt den Drang bei ihnen, keine parteiorientierten Entscheidungen treffen zu müssen." Gut möglich, dass die allgemeine Politikverdrossenheit mit hinein spielt, wenn auch viele Menschen sich aufstellen lassen, um ohne Partei etwas zu bewegen. Kleinblittersdorf hat es damit dazu gebracht, der Ort im Saarland mit den meisten Kandidaten für die anstehende Kommunalwahl zu werden.
„Die vergangenen 17 Jahre haben die Gemeinde geprägt. Man hat positive Erfahrungen gemacht, und die Bereitschaft, hier in Zukunft etwas weiterzuentwickeln ist groß", sagt Strichertz. Das zeigt auch die Bürgerbeteiligung. Mehr als 600 Kleinblittersdorfer kamen ins Rathaus, um Unterstützerlisten für Kandidaten zu unterschreiben. „Die Leute haben dann Sachen gesagt, wie: Da war ein Kommissar bei uns an der Tür und will gewählt werden, den wollen wir unterstützen. Da darf dann aber kein CDU, SPD, FDP oder Grüne hintendran stehen", sagt Strichertz. „Das ist eine ausgeprägte Parteiverdrossenheit, die aus der unsäglichen Geschichte mit dem Bordell resultiert." Sehr viel Vertrauen sei im parteipolitischen Streit um das Schloss Falkenhorst, das ein Investor in ein Bordell umwandeln wollte, kaputtgegangen. Erst ein Gericht verhinderte die Lusthauspläne.
„Es steckt einfach viel Herzblut drin"
Strichertz selbst erlitt 2010, kurz nach der Wiederwahl, einen Herzinfarkt. Daraus entstand eine kuriose Situation, an die er sich noch heute lebhaft erinnert. „Am 30. April musste mir für die zweite Amtsperiode die Urkunde übergeben werden, just an dem Tag, als ich auf dem Winterberg auf der Intensivstation lag." Beamtenrechtlich sei es nämlich notwendig, die Urkunde zumindest einmal in der Hand gehalten zu haben. Der Chefarzt lehnte das eigentlich ab, denn um 18 Uhr musste der Bürgermeister in den OP. Nach langem Hin und Her und vielen Diskussionen erlaubte er, dass Strichertz sein Dokument für einen Moment in den Händen halten durfte.
Fortan war er am Herzen vorbelastet. „Mit dieser Bordellgeschichte kam dann auch auf, dass einige Ratsmitglieder Strafanzeige gegen mich eingereicht hatten", erzählt Strichertz. Ein Ratsmitglied beantragte ein disziplinarrechtliches Verfahren beim Ministerium, weil der Bürgermeister den Beschluss der Ansiedlung nicht umsetzte. Es folgte eine medienwirksame, fünfstündige Gemeinderatssitzung mit Polizeipräsenz zum Thema Bordell. Zu viel für den angeschlagenen Bürgermeister, der beschloss, nicht noch einmal anzutreten.
„In den vergangenen drei Jahren hatte ich Glück, dass mein Körper nicht reagiert hat", sagt er, „ich will es aber nicht herausfordern." Der heute 58-Jährige hat genug: „Ich komme mir vor wie ein Rennpferd, das über Monate auf Hochtouren unterwegs ist und nicht mehr runterkommt." Trotzdem fiel ihm die Entscheidung nicht leicht. Als er sie Anfang Januar den Mitgliedern der Verwaltung mitteilte, musste er zweimal unterbrechen, weil ihm die Tränen kamen. „Es steckt einfach viel Herzblut drin".
Noch bis zum 30. April 2020 ist er gewählt. Dann könnte er sich vorstellen, wieder in die freie Wirtschaft zu wechseln. „Ich habe Angebote, in Kanzleien mitzuarbeiten", sagt er, „ich muss mir das aber genau überlegen. Denn wenn ich wieder anfange, bin ich schnell bei 120 Prozent. Ich kenne mich gut genug." Auch ehrenamtlich will er sich weiter engagieren. Und seiner Heimat nebenberuflich damit weiter dienen. Und trotz der Turbulenzen hat er in seiner langen Amtszeit eines bewiesen: Ein parteiloser Bürgermeister kann frischen Wind in die Kommunalpolitik bringen. Ein Allheilmittel ist er in großen Krisen aber nicht.