Die Diskussion um die Abschaffung von Ortsräten und Ortsvorstehern ist ein Dauerbrenner. Kaum Geld, kaum Kompetenzen – und trotzdem viel Gestaltungsraum, wenn man die Chancen anpackt. Sitterswald ist ein Beispiel von vielen im Saarland, das zeigt, was engagierte lokale Politik vor Ort bewegen kann.
Abseits der Straße, entlang der kleinen gepflegten Vorgärten, führt ein Gehweg zum Waldrand. Genau hier liegt auch der Kirschwaldplatz oder „Generationenplatz", wie ihn die Einwohner von Sitterswald nennen. „Vor Jahren sah dieses Fleckchen Erde noch ganz anders aus", erzählt Hans Jürgen Laschinger, Ortsvorsteher in dem mit rund 1.500 Einwohnern kleinsten Ortsteil von Kleinblittersdorf. Damals wucherten zwischen den Bäumen Sträucher, und auch das Unkraut breitete sich immer weiter aus. Jetzt lockt der Platz mit gemütlichen Bänken, einer bunten Spielburg mit Klettergerüst samt einer Rutsche und einer Ecke mit einem gemütlichen Fußballplatz. Auf der gegenüberliegenden Seite, unter den dichten Kronen der Bäume – sie blieben bei der Umgestaltung des Platzes unangetastet – präsentieren sich mehre kleine Holzhütten. Steht mal wieder ein Fest in Sitterswald an, öffnen sich ihre Läden und versorgen die Einwohner mit Speisen und Getränken. „Diese ganze Arbeit haben wir gemeinsam gestemmt", sagt der Ortsvorsteher stolz. Viele Einwohner von Sitterswald halfen bei der Umsetzung des Projekts mit. Sie tischten auf, griffen zum Spaten und füllten das Projekt-Budget mit großzügigen Spenden. Laschinger war dabei die antreibende Kraft. Nach der Abstimmung mit den Ortsratskollegen beantragte der SPD-Politiker Finanzmittel bei der Gemeinde, putzte anschließend Klinken auf der Suche nach Geldgebern, half aktiv während der Bauphase mit und fischte das lukrativste Spielburg-Angebot heraus. Geprüft und installiert wurden die Geräte von einem lokalen Unternehmen, welches Laschinger für seine Idee begeistern konnte. Eine Rechnung für ihre Arbeit stellten die Fachmänner dagegen nicht aus. „Sie haben uns ihre Dienstleistung einfach geschenkt."
Motivieren und Klinken putzen
Zugegeben, die Funktionsfähigkeit von Ortsräten ist nicht unumstritten. Immer wieder flackert die Diskussion um die Sinnhaftigkeit auf und wird ebenso hitzig wie leidenschaftlich geführt. Einige Parteien plädierten dafür, Ortsräte zu verkleinern oder sie gänzlich abzuschaffen, um Geld einzusparen. Andere wiederum sahen in der demokratisch legitimierten Bürgervertretung eine Chance auf mehr Bürgerbeteiligung und damit verbunden einen möglichen Weg aus der allseits umgreifenden Politikverdrossenheit. Hans Jürgen Laschinger bleibt in dieser Debatte pragmatisch. „Als Ortsvorsteher habe ich eigentlich kaum eine Chance, etwas selbst zu bestimmen", gibt der Lokalpolitiker offen zu. „Ich kann nur Empfehlungen beim Gemeinderat aussprechen, der wiederum zu entscheiden hat, ob die empfohlenen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden können." Auf der anderen Seite sieht Laschinger die Verantwortung gegenüber den Bürgern. „Als Ortsvorsteher muss man auch etwas tun, um das Zusammenleben und die Gemeinschaft zu fördern. Das ist sehr wichtig."
Wie es funktionieren kann, zeigt der Ortsvorsteher von Sitterswald an seinem eigenen Beispiel. Im Jahr 2014 übernimmt das ehemalige ZF-Betriebsratsmitglied den Posten von seinem Parteikollegen und Vorgänger Harald Thieser. Eine Entscheidung, die nicht ganz einfach gefallen ist. „Als ich vorgeschlagen wurde, war ich erst mal skeptisch", erzählt Laschinger. „Ich wusste nicht, ob ich so viel Zeit aufbringen konnte, mich um alle Angelegenheiten zu kümmern. Zudem war auch das Verhältnis unter unseren ortsansässigen Vereinen – wir haben in Sitterswald 16 unterschiedliche Vereine – sehr angespannt. Manche arbeiteten sogar gegeneinander." Doch die Parteikollegen ließen nicht locker und konnten ihren Wunschkandidaten im Endeffekt überzeugen: Laschinger wurde zum Ortsvorsteher von Sitterswald gewählt. Seine erste Amtshandlung war der Aufbau eines Dialogs. Nach und nach hilft Laschinger den Vorständen der lokalen Vereine dabei, zueinanderzufinden und sich auszusöhnen. Als diese Hürde genommen war, ging der zielstrebige Lokalpolitiker an die Verbesserung der Lebensqualität in Sitterswald. In diesem Zuge wurde unter anderem aus einem kleinen Trampelpfad, der sich zu einer Bushaltestelle schlängelt, ein ordentlicher Gehweg in Eigenregie. Der Kirchwaldplatz verwandelte sich in einen beliebten, generationsübergreifenden Treffpunkt, und auch die Wasserquelle, der Gehlbachbrunnen, wurde erneuert.
Eigenleistung Entscheidung
Alle seine Projekte laufen dabei nach dem gleichen Prinzip ab: Zunächst wird die Idee mit dem Ortsrat abgestimmt. Anschließend stellt Laschinger einen Finanzierungsantrag bei der Gemeinde und sucht parallel nach möglichen Helfern, um die anfallenden Arbeitsstunden auch tatsächlich leisten zu können. „Wir bekommen natürlich keine Vollfinanzierung", erklärt Laschinger. Die Gemeinde Kleinblittersdorf, so wie alle saarländischen Gemeinden, bezuschusst lediglich die Materialkosten der angedachten Ortsprojekte. „Die Manpower müssen die jeweiligen Ortsvorsteher organisieren, sonst gibt es keinen Zuschuss."
Das gilt im Übrigen erst recht, wenn es um Zuschüsse aus anderen Töpfen geht, beispielsweise aus dem auch für die Dorfentwicklung zuständigen Umweltministerium. Projekte werden zur Hälfte finanziell gefördert, die andere Hälfte muss als Eigenleistung aufgebracht werden. Jede Stunde wird dabei vom Ministerium mit 11,36 Euro verrechnet. „Bei unserem Projekt ‚Erneuerung des Gehlbachbrunnens‘ bekamen wir als Ortsteil beispielsweise einen Zuschuss von 9.335 Euro", erzählt Laschinger. Das entsprach etwa 440 Arbeitsstunden, die der kleine Ort an der französischen Grenze im Gegenzug zur Finanzierung leisten musste, um ihren Wunsch nach einer aufgefrischten Wasserquelle in die Realität umsetzen zu können. Die Aufgabe des Ortsvorstehers bestand darin, die Menschen zu überzeugen. Dabei stieß Laschinger auf ganz viel Zuspruch. „Es war ja nicht für mich persönlich, sondern für unsere Gemeinschaft", sucht er eine mögliche Erklärung für die durchgehend positive Resonanz. „Und so kamen schon gleich am Anfang 25 Helfer zusammen." Gearbeitet wurde meistens am Freitagabend und am Wochenende. Schließlich sind die meisten Einwohner noch berufstätig und konnten unter der Woche nicht helfen. Mit der Zeit stießen immer mehr Helfer dazu. Die ehrenamtlichen Frauen unterstützten ihre männlichen Helfer mit selbstgebackenen Kuchen und kühlen Getränken. Die ortsansässigen Firmen halfen beim Transport, dem Verbau von Baumaterial oder versortgen die Helfer aus ihrer Restaurantküche. „Wenn sich Hans Jürgen Laschinger was in den Kopf gesetzt hat, dann zieht er es auch durch. So war das bis jetzt bei allen Projekten, die er angepackt hat", betont Martin Baum, der erste Vorsitzende des lokalen Heimat- und Verkehrsvereins. Und darin sieht Laschingers Stellvertreter auch das Geheimnis für den Erfolg des beliebten Ortsvorstehers: Es wäre ihm nie darum gegangen, die Arbeit bestmöglich zu delegieren, stellt Baum fest. „Ganz im Gegenteil. Er macht sich selbst die Hände schmutzig und geht mit dem besten Beispiel voran. Damit verbessert er nicht nur das Erscheinungsbild und die Lebensqualität von Sitterswald, sondern führt auch die Menschen unserer Gemeinde näher zusammen. Und deswegen folgen ihm auch die Menschen."
Projekte schweißen zusammen
Doch woher nimmt der Ortsvorsteher selbst die Motivation, jedes Wochenende auf einer Baustelle zu verbringen, anstatt in aller Seelenruhe seine Pension zu genießen? Bei dieser Frage muss der gebürtige Sitterswalder lächeln. „Nun ja, wenn man etwas haben möchte, muss man auch was dafür tun. Und so war es auch bei mir: Ich wollte einfach etwas verändern." Als er sich dann in der Ortsgemeinschaft umhörte, stellte Laschinger schnell fest, dass es vielen anderen Einwohnern auch so ging. „Jemand musste halt den Anfang machen, und so dachte ich mir: Gut, dann nehme ich diese Verantwortung auf mich."
Mittlerweile ist die Gemeinschaft in Sitterswald noch mehr zusammengewachsen, als sie vorher schon war. Gemeinsame Projekte brachten die Menschen näher zueinander. Auch die angespannte Situation innerhalb der Vereine gehört längst der Vergangenheit an – als wären sie schlichtweg mit dem Bauschutt der einzelnen Maßnahmen entsorgt worden. Dafür trifft man sich noch öfter als früher schon auf dem umgestalteten Generationenplatz und verweilt auf der satten, grünen Wiese vor dem Gehlbachbrunnen. Laschinger arbeitet bereits an weiteren Ideen. Das Bienenhotel muss erneuert, die Ortszugänge neu gestaltet werden. Ob er für alle seine Projekte eine Finanzierungsbeihilfe seitens der Gemeinde bekommen wird, weiß der Lokalpolitiker natürlich nicht. „Wenn es aber nicht klappen sollte, finden wir schon einen anderen Weg. Solange wir als Gemeinschaft drangehen, können wir alles stemmen."