Sie singt seit ihrer Kindheit, sei es Schlagermusik oder Jazz. Sie war in der DDR als Frontfrau verschiedener Bands bekannt, im Westen wurde sie durch ihre Auftritte mit Schauspieler Manfred Krug populär. Uschi Brünings glasklare Stimme trägt noch heute, nach über 50 Jahren Bühnenerfahrung, die Lieder – beim Free Jazz wie beim Chanson.
Frau Brüning, Sie wurden mal die Ella Fitzgerald des DDR-Jazz genannt – haben Sie sie jemals getroffen?
Leider nein. Nur einmal Caterina Valente, das war im Westberliner ICC. Sie gab mir ein Autogramm – und das war es.
Ihre Autobiografie ist gerade erschienen. Sie haben eine neue CD eingespielt, machen eine Lesereise, eine Tournee – Sie starten derzeit richtig durch. Wie geht es Ihnen damit?
Eigentlich sehr gut – da herrscht ein Hype um mich herum, den ich gar nicht gewohnt bin. Nur die Krankheit meines Mannes schimmert traurig da rein. Er liegt mit einer Infektion im Krankenhaus und fehlt mir. Aber dieser Erfolg ist eine gute Ablenkung, ich muss nicht immer daran denken.
Sie schreiben in Ihrer Autobiografie, dass Sie immer gesungen haben, auch wenn es Ihnen schlecht ging.
Ich habe aus Fröhlichkeit gesungen, aber auch aus Traurigkeit. Das ist wie das Atmen.
Sie brauchten nie eine echte Gesangsausbildung?
Ja, das stimmt, das Singen ist einfach da – da bin ich ein Naturtalent und Autodidaktin, genau wie mein Mann, der Saxofonist Ernst-Ludwig Petrowski, genannt „Luten" (Amn. d. Red.). Der ist auch Autodidakt – und das hat uns auch geeint.
Sie waren lange Zeit Schlagersängerin. Wie kommt man vom Schlager zum Jazz?
Das kommt daher, dass ich mich immer für Unterhaltungsmusik interessiert habe. Ich habe damals in der DDR viel Radio gehört, das war sehr abwechslungsreich: Caterina Valente, Heidi Brühl, Peter Alexander, aber auch die englischsprachigen Sängerinnen Aretha Franklin, Dinah Washington, Ella Fitzgerald, also Jazz. Ich saß damals vorm Radio und schrieb die Texte in Lautschrift mit, in der einen Sendung die erste Strophe, dann die zweite, bis ich alles zusammen hatte. Sonst ist man in der DDR ja nicht an die Texte gekommen.
Sie haben in Leipziger Amateurbands gesungen, unter anderem auf der Leipziger Messe.
Da haben wir einfach alles gesungen, was es so gab, Schlager, Popsongs, Chansons – querbeet. Da war auch schon mal Soul dabei, auch mal was Jazziges. Ich hatte nie Berührungsängste. Die Musiker haben mir damals sogar abgeraten, eine Gesangsausbildung zu machen, weil sie meinten, meine Stimme würde sonst verbiegen.
War das denn erlaubt? Jazz, westliche Musik?
Da gab es eine eiserne Regel: 60 Prozent Ost-, 40 Prozent West-Musik. Das kam ursprünglich von den Lizenzen. Die DDR hatte nicht so viel Westmark, um die Gema-Gebühren für die westliche Musik zu zahlen. Dann blieb das so über Jahre hinweg.
Wie ging es dann mit Klaus Lenz, dem bekanntesten Bandleader in der DDR, weiter?
Mit dem bin ich ins Profilager gewechselt – ich hatte ja eine Ausbildung als Gerichtssekretärin in Leipzig. Dort rief mich Klaus Lenz an und bot mir einen Vertrag an. Ich habe gekündigt, war anschließend einmal die Woche auf der Musikfachschule in Berlin-Friedrichshain, weil ich den Berufsausweis als „Sängerin" brauchte und trat anschließend in der ganzen DDR auf allen möglichen Bühnen mit Lenz und seiner Band auf.
Haben Sie sich so dem Jazz genähert?
Die Musiker, mit denen ich da zusammenkam, waren natürlich alle Jazzfans. Was ich am Jazz toll fand, war, dass ich beim Singen machen konnte, was ich wollte, ich konnte improvisieren, brauchte nicht immer Phrasen zu wiederholen. Beim Schlager musste immer etwas Schönes dabei sein, etwas, was die Zuhörer rührt.
In die sogenannte E-Musik, also ins ernste Fach, sind Sie nie eingestiegen?
Klassische Musik ist mir zu kalt. Die ist über Jahrhunderte gleich geblieben, da ist nichts Lebendiges drin. Der Ernst, der da von der Bühne kommt, macht mich unglücklich – auch bei der schönsten Oper.
Wenn Sie zurückblicken: Was ist vom DDR-Jazz geblieben? Was wirkt nach?
Die Musiker natürlich. Die haben alle auf Topniveau gespielt, und davon gibt es noch viele. Aber eigene Musik, eigener Jazz? So etwas gab es ja eigentlich nicht, es gab Bemühungen, aber immer auch mit dem Blick Richtung Westen. Und die Standards, die kamen alle von drüben.
Das war ja in Polen anders – die haben einen eigenen Jazz gespielt. Wieso war das in der DDR nicht so?
Die Polen haben eine ganz andere Volksmusik, die sie immer mit eingebaut haben. Sie lieben ihre Heimat, ihre Folklore, und damit haben sie gearbeitet. Die gibt es im Deutschen nicht – das ist alles so schwer. Denken Sie an den „Brunnen vor dem Tore", die Männerchöre …
Lag das auch am Eingesperrtsein?
Ich glaube schon, dass sich das auch in der Musik ausgedrückt hat. Ich kann das jetzt nicht an Beispielen belegen, vielleicht weiß da ein Musikwissenschaftler mehr, dass bei uns die Viertel vielleicht zu lang und die Achtel zu kurz waren.
Aber der Free Jazz war schon ein Mittel, dem Eingesperrtsein zu entkommen?
Unbedingt! Obwohl der Impuls dazu auch aus dem Westen kam. Viele Jahre haben sich die Free-Jazz-Fans aus Ost und West im Sommer in Peitz bei Cottbus getroffen, das hieß dann „Woodstock am Karpfenteich". Aber ganz wichtig war mein Mann für mich. Der hat mich diese Art Jazz gelehrt, er hat meine Stimme geöffnet, er war es, der mir diese Freiheit gebracht hat, mein Spektrum zu erweitern und keine Scheu zu haben. Das ist eine Musik, da muss man aus sich rausgehen.
Mit Luten haben Sie verschiedene Platten aufgenommen.
Ja, eine hieß nach dem bekannten Free Jazzer Ornette Coleman, nur mit Schlagzeug, Gitarre, Saxofon und mir – da sind wir aus den Stücken ausgebrochen und haben frei improvisiert. Gestern noch hatte ich ein Konzert in der Kulturbrauerei, das hieß „Uschi Brüning singt Billie Holiday" – nur mit Bass und Schlagzeug. Das ist irre schwer, da haben wir auch Billie Holiday etwas entblättert, also frei gespielt.
Wie war das mit Manfred Krug – der hat Sie ja als jemand beschrieben, der ziemlich verschlossen ist?
Nina Hagen hat einmal gesagt, ich sei wie eine Auster. Aber der Krug, der musste ja etwas finden, weil ich ihm anfangs so gar nicht passte. Der bekam mich quasi vor die Nase gesetzt. Und als das Publikum bei unseren Auftritten auch meinen Namen rief, war er nicht erfreut. Er war verunsichert, hat mich aufgezogen: Du kommst immer auf der Eins, Du musst auf „Eins und" kommen und solche Scherze. Aber je älter wir beide wurden, je öfter wir gemeinsam auftraten, desto netter wurde er und desto mehr haben wir miteinander harmoniert.
Wenn man sich das so durch den Kopf gehen lässt: Die stark reglementierte DDR und der Jazz – das ist doch eigentlich ein Widerspruch in sich?
Ja, weil man immer davon ausgeht, dass Jazz eine freie Musik ist, die aus einem freien Land kommt. Wobei das auch nicht so ganz stimmt. In Amerika herrscht ja auch nicht unbedingt Freiheit. Schon gar nicht damals, als der Jazz entstand – Ende des 19. Jahrhunderts. Aber das, was möglich war, entsprang diesem Eingesperrtsein. So wie Sie eine Pustel haben und reinstechen, so brach alles aus uns heraus.
Aber das war nicht politisch?
Alles ist politisch. Indem wir uns mit der Musik, die das Leben der Unterdrückten widerspiegelt, befasst haben, haben wir uns solidarisiert. Allein schon, weil die DDR-Oberen diese Musik eigentlich ablehnten.
Aber die DDR verlassen wollten Sie nie?
Wir haben das schon immer mal überlegt, aber wir hatten uns in der DDR eingelebt. Es war unser Zuhause, hier lebte meine Mutter. Als Biermann ausgebürgert wurde, waren wir nahe dran. Ich hatte gegen die Ausbürgerung unterschrieben, bin aber dann eingeknickt, weil mir das Berufsverbot drohte. Das hat Biermann erst jetzt erfahren.
Wie haben Sie die Wende erlebt?
Ich war überrollt von dem, was alles passierte. Alles wollte aus dem Land. Unser Freundeskreis brach auseinander, das gemeinsame Feindbild war weg. Und dann all die Veränderungen: neues Geld, neue Krankenkasse, neue Mieterhöhung, die Steuer – ich war alles andere als glücklich in der Zeit. Ich bin immer mit Bangen zu meinem Postkasten gegangen. Und mein Publikum rannte weg.
Aber Sie wussten doch, wie der Westen ist – Sie durften doch auf Tournee?
Wenn ich nachrechne, waren wir vor der Wende, glaube ich, öfter im Westen als danach. Aber das waren immer kurze Gastspiele. Da hat man nicht viel gesehen außer seinem Hotel und der Bar nach dem Auftritt. Das richtige Leben im Westen haben wir ohnehin kaum wahrgenommen – jeder glaubte, dass es den Leuten nur gutgeht.
Sind Sie nach 1989 in ein tiefes Loch gefallen?
Eigentlich nicht – wir hatten nach ein paar Monaten wieder unser Publikum, wir waren ja nur „mittlere" Künstler, keine Stars. Luten und ich, mit Saxofon und Stimme, wir konnten überleben. Wir wurden in den Jazzclubs in Ost und West gebucht.
Welche Musik hören Sie heute gerne?
Jazz. Ich habe noch viel nachzuholen, es gibt so viele Jazzmusiker und Sängerinnen, dass das nie aufhört mit dieser Musik.
Sängerinnen lieber als Sänger?
Ja, sicher. Das ist doch nicht verwunderlich. Aber die Stimme muss mich berühren, ich brauche diesen Schuss in die Brust.
Was ist für Sie Jazz?
Leben. Jazz verkörpert für mich das ganze Leben, mit all den Facetten.
Und der Blues?
Gehört dazu. Gefühl gehört zum Jazz und Blues ist pures Gefühl.