Paul Webb hat sich im Verlauf seiner Karriere etliche Meriten verdient. Zuvorderst natürlich mit Talk Talk („Such A Shame", „Spirit Of Eden"), wo er an der Seite des jüngst verstorbenen Mark Hollis den Bass bediente. Gleichermaßen mit seinem ersten Projekt als Rustin Man. Das war 2002, als er mit der Portishead-Chanteuse Beth Gibbons das wundervolle „Out Of Season" (2002) erschuf.
Webb liebt die Idee, Musik zu erschaffen, die den Hörer für eine Weile der realen Welt entfliehen lässt, diesen gar in gänzlich unvertraute Areale entführt… Dies sei seine Vision, seit Talk-Talk-Companion Mark Hollis ihm damals Miles Davis’ „Sketches Of Spain" und Van Morrisons „Astral Weeks" vorgespielt hatte, gesteht der Brite. Gleichwohl scheint es unfair, jedes Album an diesen Meilensteinen zu messen.
Indes: gemessen am sonstigen Output der heutigen Pop-Szene erweist sich „Drift Code" nicht nur als ganz besonders ambitioniert, sondern auch als ausgesprochen stilvoll, ausgeruht, bewegend, würdevoll, vergnüglich. Ja, all dies – was ja bekanntlich keineswegs die leichteste Übung eines Künstlers ist…
Im Verlauf der CD kommen einem also nicht zufällig folgende Charismatiker aus der illustren Kollegenschar in den Sinn: von Robert Wyatt und – ja! – Talk Talk hat Rustin Man das Schwebende, an Peter Hammill und Frank Sinatra gemahnt seine Stimme. David Bowie pustet einen genialisch exzentrischen Hauch hinüber, Nick Cave spendiert wundersame Düsternis. Und mit Tom Waits wiederum teilt unser Mann das radikal Freigeistige.
Uff! Ist das nicht zu viel Hypothek? Ist da ein Scheitern nicht vorprogrammiert? Theoretisch schon, praktisch auf jeden Fall: ein absolutes Nein! Erleben wir doch neun behutsam arrangierte Weisen, die in ureigener Kraft und Magie erstrahlen. Soll heißen: nach drei, vier Durchläufen lösen sich die Referenzen wie von selbst in Luft auf… „Drift Code" ist wahrhaft großes Kino: erhaben, leidenschaftlich, prunkvoll, zeitlos, schillernd, elegant, detailverliebt - und selbstredend auch ein bisschen britisch spinnert. Was die lange Entstehungszeit von 16 Jahren (!) allemal rechtfertigt.