Bonnie Tyler wurde mit den Songs „Total Eclipse Of The Heart" und „Holding Out For A Hero" zum Weltstar. Auf ihrem neuesten Album „Between The Earth & The Stars" singt sie unter anderem Duette mit Rod Stewart, Francis Rossi von Status Quo und Cliff Richard.
Frau Tyler, das Album „Between The Earth & The Stars" wurde von David Mackay produziert, dem Mann, dem Sie den Erfolg Ihres Debüts „The World Starts Tonight" von 1977 zu verdanken haben. Ein Déjà-vu-Erlebnis?
Yeah, es war wirklich toll! David Mackey hat „The World Starts Tonight" und „Natural Force/It‘s A Heartache" produziert – zwei erfolgreiche Alben, die ich in den 70ern gemacht habe. Und jetzt haben wir wieder zusammengearbeitet.
Wollten Sie an den Sound Ihrer Frühwerke anknüpfen?
Nein. Ich erzähle Ihnen mal die Geschichte dieser Platte, die eigentlich gar kein ganzes Album werden sollte. Vor einiger Zeit schickte mir der Bassist meiner ersten Band, Kevin Dunne, ein paar Songs. Er spielte auf „It‘s A Heartache" und „Lost In France" mit. Ich sagte zu ihm: „Kevin, du bist Bassist und kein Songschreiber!" Als ich mir seine Songs dann aber anhörte, war ich baff: Sie waren fantastisch! Ich rief ihn sofort an, und er schlug vor, davon Demos aufzunehmen, die David Mackay produzieren solle. Ich hatte David aber seit 40 Jahren nicht mehr gesehen. Wie es der Zufall wollte, ist David ein guter Freund von Sir Francis Rossi. Francis war von dem Song „Hold On" begeistert und wollte ihn gern mit mir singen.
Wie ging es weiter?
David Mackey erzählte mir, er sei in Wimbledon mit Sir Barry Gibb von den Bee Gees verabredet und werde ihn fragen, ob er nicht einen Song für mich schreiben wolle. Da sagte ich zu ihm: „Oh mein Gott, das wäre genial!" Eine Weile später schickte Barry Gibb mir tatsächlich ein Demo mit seinem wundervollen Gesang darauf. „Seven Waves Away" ist ein herrlicher Song. Ich hoffe, ich werde ihm gerecht.
Wie haben Sie sich Barry Gibbs Song erarbeitet?
Ich habe das Demo an meinen Gesangs-Coach in London geschickt, dem ich vieles zu verdanken habe. Ich brauche nur einen einzigen Satz zu sagen, und schon weiß er, in welcher Verfassung meine Stimme gerade ist. Er war von Barry Gibbs Gesang wie von den Socken. Aber wie sollte ich das hinkriegen mit meiner heiseren Röhre? Da meinte mein Gesangscoach: „Bonnie, du machst daraus etwas ganz Eigenes!" Ich rufe ihn übrigens vor jeder Show an, und wir unterhalten uns eine Viertelstunde. Egal, ob ich gerade in Hongkong, Singapur, Neuseeland oder bloody Australia toure. Ohne meinen Coach kann ich überhaupt nicht mehr auftreten. Er ist brillant. Als mein Produzent den fertigen Song gehörte hatte, sagte er, meine Stimme klänge heute sogar noch besser als in den 70er-Jahren.
Wie gut kennen Sie eigentlich Sir Cliff Richard?
Voriges Jahr hat Sir Cliff mich und meinen Mann nach Barbados in sein Haus eingeladen. Er hat einen riesigen Freundeskreis. Einer dieser Leute ist mit Rod Stewart zur Schule gegangen, ein Milliardär namens Ricky Simpson. Ich habe ihn im Booklet erwähnt, weil diese Sache ohne ihn nicht zustande gekommen wäre. Ich fragte ihn direkt: „Würdest du Rod Stewart bitten, ein Duett mit mir zu singen?" Er antwortete: „Schick ihm eine E-Mail!" Ich wartete damit aber noch so lange, bis ich den richtigen Song gefunden hatte. Es sollte ja kein Mist dabei herauskommen.
Wie fanden Sie den perfekten Song?
Er kam von Chris Norman von der Band Smokie und heißt „Battle Of The Sexes". Ich schickte also über Ricky Simpson ein Demo mit Chris und meinem Gesang an Rod Stewart, damit er einen Eindruck von meiner Stimme bekommt.
Wie reagierte Rod Stewart?
Dann geschah die größte Überraschung meines Lebens! Den Moment werde ich nie vergessen. Ich saß gerade in einem Restaurant, als mich Rods E-Mail erreichte. Er schrieb mir Folgendes: „Ich liebe den Song, Darling! Ja, ich werde mit dir singen!" Unsere Stimmen harmonieren wirklich sehr gut, weil sie beide so heiser klingen. Anschließend brauchte ich einen kleinen Urlaub in Portugal, wo ich dann Sir Cliff Richard wiedersah. Er konnte es nicht fassen, dass ich Duette mit Sir Rod Stewart und Sir Francis Rossi singen würde. „Und was ist mit mir?" Sofort rief ich David Mackay an, damit er für Sir Cliff und mich einen geeigneten Song sucht. Und das war dann „Taking Control". Oh mein Gott!
In „Battle Of The Sexes" machen Sie sich Gedanken über den Geschlechterkampf. Welches sind dabei Ihre persönlichen Erfahrungen?
Eigentlich geht es in dem Song gar nicht um Kampf, sondern um Respekt. (singt) „When a boy meets a girl, you gotta show some respect!" Ich glaube nicht, dass es da draußen wirklich einen Geschlechterkampf gibt.
Sie haben in Ihrer Karriere mit vielen sehr erfolgreichen Männern zusammengearbeitet, wie Jim Steinman oder Dieter Bohlen.
Dieter Bohlen ist gerade 65 geworden. Er ist ein Baby – und ich bin 67. Shit!
Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine starke Frau aus?
Wissen Sie, ich bin mit der Zeit zu einer starken Frau geworden. Ich war früher sehr, sehr schüchtern. In den 1970ern hätte ich mich noch nicht einmal getraut, eine Gans zu erschrecken. Eigentlich fehlte mir als 17-Jährige der Mut, an einem Talentwettbewerb in unserem lokalen Wannabee-Club teilzunehmen, aber mein Tantchen meldete mich einfach dafür an. Tief im Innersten wusste ich aber, dass ich singen wollte. Meine Mutter sagte immer zu mir: „Du musst an dich glauben, weil du es kannst. Nimm die Dinge selbst in die Hand!"
Wie haben Sie bei dem Wettbewerb abgeschnitten?
Ich wurde Zweite. Das stärkte mein Selbstbewusstsein, und ich bin sieben Jahre lang durch die Clubs getingelt. Eines Tages wurde ich in einem Laden in Wales zufällig von dem Talentscout Roger Bell entdeckt. Eigentlich war er aus London angereist, um sich die Band im ersten Stock anzuhören, aber er nahm die falsche Tür und landete in meinem Konzert. Auf diese Weise kam ich zu meinen ersten Hits „It‘s A Heartache", „Lost In France" und „More Than A Lover".
Wussten Sie immer genau, was Sie wollten?
RCA wollte mich für weitere fünf Jahre unter Vertrag nehmen. Ich wollte aber mehr Rockmusik machen und mit Jim Steinman arbeiten. Unser Nummer-eins-Hit „Total Eclipse Of The Heart" war für zwei Grammys nominiert, aber Michael Jackson und Irene Cara haben sie am Ende für „Billie Jean" beziehungsweise „Flashdance... What A Feeling" bekommen. Auf einmal war ich in einer ganz anderen Liga. Mein Album stand vier Wochen in Amerika und drei Wochen in England an der Spitze. Ich war die erste britische Sängerin, deren Platte von null auf eins ging. All das hat mein Selbstbewusstsein gestärkt. Dass ich jetzt mit großen Künstlern wie Rod Stewart, Francis Rossi, Barry Gibb und Cliff Richard zusammenarbeiten durfte, ehrt mich sehr. Ich glaube wirklich an diese Platte.
Müssen Frauen, die im Musikbusiness Karriere machen wollen, härter arbeiten als Männer?
Mag sein, aber anfangs war das für mich kein Problem. Man muss auf die Leute zugehen. Meine Plattenfirma hielt es für eine verrückte Idee, Jim Steinman anzurufen. Er würde niemals mit mir zusammenarbeiten wollen, er sei die Nummer eins weltweit. Ich habe trotzdem gefragt – und seine Antwort war „Ja". Und ich habe Rod Stewart gefragt. Francis Rossi wiederum fragte mich – und ich sagte ja.
Haben Sie damals Dieter Bohlen gefragt oder er Sie?
Er hat mich gefragt. Und ich war sehr erfolgreich mit seinen Songs. Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen. Francis Rossi sagt immer: Showbusiness ist Show – und Business! Haha!
Sind all Ihre Träume wahr geworden?
Ja. Man darf aber niemandem von seinen Wünschen und Träumen erzählen, sonst gehen sie nicht in Erfüllung.
Warum gibt es in der Welt der Rockmusik so wenige Songschreiberinnen und Produzentinnen?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Schreiberinnen gibt es schon, aber mit einer Produzentin habe ich noch nie gearbeitet. Ich kenne auch keine. Amy Wadge, die mir ihre Demos geschickt hat, wäre sicher auch eine gute Produzentin. Sie ist ihre eigene Herrin.
Hatten Sie immer Kontrolle über Ihre Karriere?
Bis zu einem gewissen Grad, ja. Steve Wolfe und Ronnie Scott haben anfangs die Songs für mich geschrieben. Wir hatten wundervolle Hits. Aber ich wollte lieber Rocksongs singen. Sie meinten, das wäre ein Fehler, aber als ich mit „Total Eclipse Of The Heart" meinen ersten Nummer-eins-Erfolg hatte, gratulierten sie mir per Telegramm: „Glückwunsch: Du hast es geschafft!"
Sind Sie noch immer sehr ehrgeizig?
Nun, es sieht ganz danach aus. Nach meinen letzten Album „Rocks And Honey" stand ich ohne Plattenvertrag da. Es machte mir aber nichts aus. Nachdem Kevin Dunne und ich Demos aufgenommen hatten, dachte ich: Wenn mich jemand unter Vertrag nimmt, wäre das toll, aber ich werde kein Album vorfinanzieren. Und plötzlich hatte ich wieder einen Record-Deal. Heute erzielt man leider keine großen Plattenverkäufe mehr. Vor Jahren noch habe ich 50.000 Scheiben pro Tag abgesetzt! Mein Traum ist, dass jeder mein neues Album besitzt und sämtliche Details über die Songschreiber und Texte im Booklet liest. Und die Bilder erzählen, wie das Werk zustandegekommen ist.
Wie kam es zu dem Song „Older"?
Amy Wadge schrieb unter anderem den Nummer-eins-Hit „Thinking Out Loud" gemeinsam mit Ed Sheeran. Alle wollen mit ihr arbeiten. Und für mich hat sie gleich drei Songs komponiert. Sie ist eine Facebook-Freundin meines Bruders. Er hat uns zusammengebracht. „Older" handelt davon, im Musikgeschäft älter zu werden. Ein fantastischer Song!
Wie alt fühlen Sie sich in einem Business, das immer jüngere „Stars" generiert?
Wessen Songs singen sie in diesen Castingshows? „Total Eclipse Of The Heart", „Holding Out For A Hero", „It‘s A Heartache". Diese jungen Leute mögen gute Musik. Sie sind mit meinen Songs aufgewachsen, die sie über ihre Eltern kennengelernt haben. Ich habe ein sehr loyales Publikum, speziell in Deutschland. Ich liebe das Wort „Zugabe"!
Was ruft das britische Publikum?
Mooooore! (lacht) Und die Amerikaner kreischen wie verrückt. Typisch.
Kennen Sie den Jethro-Tull-Song „Too Old To Rock‘n‘Roll: Too Young To Die!" aus dem Jahr 1975?
Wahrscheinlich habe ich ihn schon mal gehört. Alter bedeutet uns Musikern nichts! Ich werde nie in Rente gehen, es sei denn, ich bin nicht mehr in der Lage zu singen. Familie und Gesundheit sind die wichtigsten Bausteine eines glücklichen Lebens. Ich singe nicht um des Geldes, sondern um der Liebe willen. Ich liebe Musik! Wenn Sie zu einer meiner Shows kommen, werden Sie sehen, wie ich zwischen den Songs all diese Storys erzähle. Die Menschen lieben Geschichten. Dieses Jahr werde ich mich aber ein bisschen kürzer fassen, weil ich so viele tolle neue Songs habe. (lacht)
Was ist das Beste für Ihre Stimme?
Wie Sie sehen, trinke ich gerade Limonentee. Und zwar ohne Honig, weil darin zu viele Kalorien sind. Ich trinke auch viel Ingwertee. Das Beste für meine Stimme ist aber mein Coach. Und noch etwas: Bevor wir eine Bühne betreten, nehmen wir uns immer alle gegenseitig in den Arm. Und ich trinke eine Dose Red Bull mit einem Schuss Wodka – dann bin ich bereit, abzuheben!