Vor 90 Jahren wurden in Hollywood erstmals die Oscars verliehen. Unter den Preisträgern war auch Emil Jannings, der als bislang einziger Deutscher als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde. Die Zeremonie fiel allerdings deutlich bescheidener aus, als man es von den heutigen Galas gewohnt ist.
Nach einer Viertelstunde war schon wieder alles vorbei. Die erste Oscar-Verleihung am 16. Mai 1929 hatte noch wenig vom Glamour der heutigen Veranstaltungen. Gerade einmal 270 Gäste waren bei dem privaten Abendessen im „Hollywood Roosevelt Hotel" anwesend, der Preis für eine Eintrittskarte betrug gerade läppische fünf Dollar, nach heutigem Kurs etwa 73 Dollar beziehungsweise 65 Euro. Es gab keine Radio- und keine Fernsehübertragung, und die Verkündung der Gewinner war auch für niemanden eine Überraschung, waren die 15 Ausgezeichneten doch schon drei Monate vorher veröffentlicht worden. Charlie Chaplin bekam ebenso einen Sonderpreis wie Warner Brothers, als bester Film wurde der Kriegsfilm „Flügel aus Stahl" ausgezeichnet, als beste Schauspielerin Janet Gaynor für „Das Glück in der Mansarde", „Engel der Straße" und „Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen".
Zum besten Hauptdarsteller wurde ein Deutscher gekürt: Emil Jannings. Er ist bis heute der einzige deutsche Gewinner in dieser Kategorie. Dabei hatte man ihm einst fehlendes Talent bescheinigt, als er sich nach einem Jahr als Matrose auf See nach der Schule am Theater in Görlitz für ein Schauspielvolontariat bewarb. Jannings ließ sich davon jedoch nicht entmutigen: Er schloss sich diversen Wanderbühnen an und bereiste mit ihnen den gesamten deutschen Sprachraum; später bekam er Engagements an mehreren Provinztheatern. 1915 gelang ihm in Berlin schließlich der Durchbruch, wo er eine Anstellung am Deutschen Theater bekam und auf nahezu allen großen Bühnen der Stadt auftrat. Einen seiner größten Auftritte hatte er 1918 am Königlichen Schauspielhaus als Dorfrichter Adam in Heinrich von Kleists Theaterstück „Der zerbrochene Krug".
Preis von Louis B. Mayer ins Leben gerufen
In Berlin lernte er auch Ernst Lubitsch kennen, der später in zahlreichen seiner Filme Regie führen sollte. Allerdings wurde die Filmarbeit nie zu Jannings großer Leidenschaft, das blieb für ihn zeitlebens die Schauspielerei am Theater. Anfangs gab es auch lediglich Stummfilme, in denen er seine vielseitige Stimme nicht einsetzen konnte. Als Darsteller sei Jannings das geborene Scheusal gewesen, schrieb der „Spiegel" vor einigen Jahren – animalisch, derb und proletenhaft. „Ein Mensch? Beinahe ein Vieh", urteilte das „Berliner Tagblatt" im Januar 1923; und der „Film-Kurier" meinte im selben Jahr, der Schauspieler sei ein „menschgewordener Rülps".
Doch das Publikum liebte ihn dafür, auf der Bühne ebenso wie auf der Kinoleinwand. Jannings wurde zu einem der größten Stars der boomenden deutschen Filmindustrie. Für seine Rolle im Film „Der letzte Mann" von Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau bekam er 1924 die enorme Gage von 600.000 Mark, fortan galt er als bester Schauspieler der Welt. Der Film brachte ihm außerdem einen Vertrag in Hollywood mit den Paramount-Filmstudios ein. Auch in Amerika wurde er wie ein Star gefeiert. Jannings lebte in einer luxuriösen Villa, er freundete sich mit Schauspielgrößen wie Greta Garbo und Charlie Chaplin an, die „New York Times" nannte ihn den „German Film Genius". Die Auszeichnung mit dem Oscar als bester Hauptdarsteller war da nur die logische Konsequenz.
Der Preis war im Februar 1929 vom damaligen Präsidenten der MGM Studios, Louis B. Mayer, ins Leben gerufen worden, der zwei Jahre zuvor bereits die Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) initiiert hatte. Damals befand sich die amerikanische Filmindustrie in der Krise – die Besucherzahlen gingen zurück, und die Bildung von Gewerkschaften auch in der Filmindustrie machte die Situation für die Eigentümer der großen Studios zunehmend schwieriger. „Ich fand, dass der beste Weg, um mit Filmemachern umzugehen, darin bestand, Medaillen über sie zu hängen", kommentierte Mayer später. „Wenn ich ihnen Pokale und Auszeichnungen gäbe, würden sie sich förmlich darum reißen, das zu produzieren, was ich wollte."
Woher der Spitzname Oscar stammt, ist bis heute nicht geklärt
Es war jedoch nicht der erste Filmpreis: Bereits seit 1921 wurde in den USA der Photoplay Award vergeben, begründet durch die gleichnamige Filmzeitschrift aus Chicago. Er wurde jährlich bis 1940 sowie von 1945 bis 1969 verliehen, ehe er an Bedeutung verlor und eingestellt wurde. Der Oscar beziehungsweise der Academy Award of Merit (englisch für „Verdienstpreis der Akademie"), wie er in den ersten Jahren genannt wurde und bis heute offiziell heißt, hatte dem Photoplay Award den Rang abgelaufen.
Woher der Spitzname stammt, ist übrigens bis heute nicht endgültig geklärt. Mal heißt es, die Schauspielerin und spätere Akademievorsitzende Bette Davis habe die Statuette als Erste so genannt, weil sie sie an ihren ersten Mann Harmon Oscar Nelson Jr. erinnere. Häufig wird aber auch die ehemalige Vorstandssekretärin der Akademie, Margaret Herrick, als Namensgeberin bezeichnet, die beim Anblick des kleinen goldenen Schwertträgers ausgerufen haben soll: „Der sieht ja aus wie mein Onkel Oscar!" Entworfen hat ihn in jedem Fall der Art Director der Metro-Goldwyn-Mayer (MGM), Cedric Gibbons; geformt wurde er dann von George Stanley. Für den Entwurf der Statuette soll der mexikanische Schauspieler Emilio Fernandez nackt Modell gestanden haben.
Anfangs wurden die Gewinner für ihre gesamte Arbeit, die sie in ihrer Kategorie (Schauspiel, Regie, Produktion und so weiter) während eines bestimmten Zeitraums geleistet hatten, ausgezeichnet. Emil Jannings etwa bekam seinen Oscar für gleich zwei Filme, in denen er die männliche Hauptrolle gespielt hatte: „Sein letzter Befehl" aus dem Jahr 1928 von Regisseur Josef von Sternberg sowie „Der Weg allen Fleisches" von Victor Fleming, der bereits ein Jahr zuvor erschienen war – beides Stummfilme. Sein einziger Konkurrent bei der Wahl war Richard Barthelmess, der für die beiden Tonfilme „Die Nacht ohne Hoffnung" und „Die Welt in Flammen" nominiert worden war.
Emil Jannings war bei Preisverleihung schon auf der Heimreise
Selbst entgegennehmen konnte Jannings seinen Preis beim Galadinner im „Hollywood Roosevelt Hotel" allerdings nicht. Als die Academy Awards 1929 verliehen wurden, befand er sich bereits wieder auf der Heimreise nach Deutschland – seinen Oscar hatte er bereits vorab überreicht bekommen, was ihn auch zum ersten Oscar-Gewinner der Geschichte macht. Denn trotz aller Erfolge auch in den USA: Wirklich heimisch geworden war Emil Jannings dort nie. Am Set ließ er sich deutsche Speisen bringen, am liebsten Königsberger Klopse oder Sauerbraten, doch vor allem vermisste er die Bühnenarbeit am Theater.
Zurück in Deutschland fuhr er wieder zweigleisig. Sein wohl bekanntestes Werk aus dieser Zeit war jedoch ein Kinofilm: In „Der blaue Engel", übrigens sein erster Tonfilm überhaupt, spielte Jannings 1930 die Gestalt des Professor Unrat, eines gealterten Lehrers, der sich in eine Sängerin aus dem Varieté verliebt und daran letztlich zugrunde geht. Bis heute handelt es sich um einen der am meisten zitierten deutschen Filme aller Zeiten, allerdings auch vor allem deshalb, weil Marlene Dietrich damit der internationale Durchbruch gelang. Filmpublizist Frank Noack zeigt in seiner Biografie über Emil Jannings aber, dass der Film zunächst Jannings Film gewesen sei und nicht der von Marlene Dietrich. Auf den Filmplakaten habe zunächst der männliche Hauptdarsteller im Mittelpunkt gestanden, erst nach und nach habe Dietrich ihm dann den Rang abgelaufen.
Jannings Oscar ist heute im Filmmuseum in Berlin zu bewundern
Der Film steht somit gewissermaßen sinnbildlich für die Karrieren der beiden. Während Marlene Dietrich anschließend zum Weltstar wurde, konnte Jannings in den Folgejahren nie wieder an seine frühere schauspielerische Leistung anknüpfen. Im Dritten Reich suchte er die Nähe zu den nationalistischen Machthabern. Jannings interessierte sich zwar kaum für Politik, spielte aber dennoch im NS-Propagandafilm „Ohm Krüger" mit, für den er neben der Hauptrolle auch die künstlerische Leitung innehatte. Propagandaminister Joseph Goebbels ernannte ihn gar zum Staatsschauspieler und Reichskultursenator und schickte ihn als Repräsentant des deutschen Films zu Italiens Machthaber Benito Mussolini. Nach dem Krieg wurde ihm das zum Verhängnis: Die Alliierten verhängten ein lebenslanges Auftrittsverbot. Emil Jannings starb 1950. Sein Oscar ist heute im Filmmuseum in Berlin zu bewundern.