7.000 Inseln mit unzähligen Regionalküchen, mit chinesischen, malaysischen, spanischen und amerikanischen Einflüssen: Das „Ayan" in der Potsdamer Straße zeigt mit Streetfood und traditionellen Gerichten einige kulinarische Facetten der vielfältigen philippinischen Küche auf.
It’s more fun in the Philippines." Das stimmt kulinarisch auf jeden Fall. Der gelb gewebte Sinnspruch in einem Kranz von farbigen Fächern gibt an der Wand des „Ayan" die Richtung vor. Philippinisches Street Food kommt im Restaurant von Bulawan Callanta an der wuseligen Potsdamer Ecke Lützowstraße auf die Teller und in die Streetboxen. Die kleine kulinarische Außenstelle des ostasiatischen Inselstaates lädt seit vier Jahren mit maiengrünem Schild und roter Markise zum Niederlassen im Inneren oder draußen an Bänken und Tischen direkt an der Bushaltestelle ein. „Da ist es!", so die sinngemäße deutsche Übersetzung des Namens aus dem Tagalog, hatte sich Bulawan Callanta gedacht, als er das Ladenlokal an der damals noch unhippen nördlichen „Potse" besichtigte. Eine Ausbildung zum Hotelfachmann im „Mandala-Hotel", eine Station im Restaurant „Facil", Jobs als Barkeeper und eine Reise über 14 Inseln der Philippinen lagen da hinter ihm. Der heute 34-Jährige wusste: „Entweder mache ich mich in der Bar-Richtung oder mit philippinischem Essen selbstständig." Ich begrüße die Entscheidung für Letzteres.
Es gibt gegrilltes und geschmortes Fleisch oder Tofu, Papaya-Salat, Sprossen und Reis als schnell und frisch zubereitetes Streetfood. Wir wollen aber ein bisschen länger in dem mit 25 Plätzen kleinen, aber heimeligen Restaurant sitzen. Bulawan Callanta heißt uns auf die philippinische Art willkommen – mit selbst gemachtem Eistee und einer „Calamansi Cooler"-Limonade. Die Gäste im „Ayan" bekommen sie zwar nicht wie auf den Philippinen üblich „bottomless", unbegrenzt, nachgeschenkt, aber für 3,50 und vier Euro ist durchaus mehr als ein Glas drin. Der Eistee kommt eher herb rüber, die mit Rohrzucker und Calamansi-Sirup angesetzte Limonade ist erfrischend intensiv und gut gekühlt. Die Herbheit der kleinen philippinischen Zitrusfrucht, einer Kreuzung aus Mandarine und Kumquat, im Nachhall erfreut unseren Gaumen besonders.
Ich wäre allerdings mit mindestens einer philippinischen Essgewohnheit kompatibel – der Liebe zum Süßen. Die Süße ist als Gegenpol zu Schärfe, Säure und Salz auch in den herzhaften Gerichten häufig im Spiel. „Filipinos essen auch gern das Dessert als Erstes", erfahren wir. Damit könnte ich mich als Süßschnabel ebenfalls anfreunden! Mit anderen Gepflogenheiten wohl nicht, da bin ich deutsch sozialisiert. Filipinos schätzten eher zähes Fleisch, weiß Callanta. Das käme bei den meisten anderen Gästen aber nicht gut an. Deshalb gibt’s „Filipino Food mit deutschen Feinheiten. Zartes Fleisch, nicht ganz so viel Soße und alles schön angerichtet." Beim „Filipino Streetfood" made in Berlin soll auch das Auge mitessen.
Schweinebauch gab es so vorher nicht in Berlin
Schweinebauch, Huhn, Tintenfisch und Tofu sind bei unserem Dinner tipptopp zart gegrillt und geschmort. Das in Sojasoße, Essig und mit Knoblauch geschmorte „Adobo Pork" mit Schweinebauch ist butterweich und geschmacksstark. „Liempo", der in Calamansi, Sojasoße und braunem Zucker marinierte und gegrillte Schweinebauch, ist das Lieblingsgericht von Bulawan Callanta. „Das gab es nicht in Berlin", stellte er nach seinem Insel-Trip fest. Also eröffnete er das „Ayan" und steht selbst häufig am Barbecue-Grill in der Küche.
Schwein hat in dem durch die spanische Kolonialzeit katholisch geprägten Land mit seinen mehr als 7.000 Inseln kulinarisch einen guten Stand. Auf den Philippinen treffen chinesische, malaysische, spanische, latein- und US-amerikanische Einflüsse aufeinander und mixen sich mit vielen, vielen Regionalküchen. Sie machen den „Filipino Taste" aus. Zwei Frauen am Nachbartisch haben „Longanisa Burger" geordert. In ihren Burgern stecken philippinische Chorizo, Tomaten, Schalotten, Spiegelei und Bananen-Cocktailsoße. Dazu werden Pommes frites aus weißen Süßkartoffeln serviert. Das Multinationale spiegelt sich auch bei den Desserts wider: „Leche Flan", „New York Cheesecake" und „Ginataan Bilo-Bilo" sprechen deutlich unterschiedliche Herkunftssprachen.
Wir bleiben noch in der herzhaften Abteilung. „Milchfisch. Den hatten wir morgens, mittags und abends." Die Begleiterin erinnert sich an eine Reise auf die Insel Luzon. „Das ist aber schon 30 Jahre her." Der südostpazifische Großfisch ist der auf den Philippinen am weitesten verbreitete, erzählt Callanta. Das in Kokosessig gebeizte, gegrillte und mit einem Tomatensalat mit Soja-Sesam-Dressing servierte Milchfisch-Filet bleibt aber einem weiteren Besuch mit mehr Kapazitäten für die Hauptgerichte vorbehalten.
Die Begleiterin darf sich dieses Mal in der Meeresgetier-Ecke an den mit Tomaten und Schalotten gefüllten und gegrillten kleinen Tintenfischen in der Tapas-Runde erfreuen. Spätestens dabei kommt unsere Besteckkompetenz ins Trudeln. Wir „schneiden" die gestückelten Happen mit Löffel und Gabel noch weiter klein. „Möchtet ihr traditionell essen?", hatte uns Bulawan Callanta gefragt. „Mit den Händen?", wollte die Begleiterin wissen. „Das machen nur noch Deutsche. Sie sind sehr offen und wollen alles ausprobieren."
Wir erfahren: Löffel und Gabel ist heutzutage das traditionelle Besteck. Grundsätzlich gilt: „Der Löffel ist bei uns alles – Messer, Gabel und Dosenöffner." Letzteres probieren wir nicht aus. Genauso wenig wie die große Festtafel mit vielen Kleinigkeiten auf einem Bananenblatt. Dafür bräuchte es mindestens sechs Esser, die mit Bier oder dem einen oder anderen Schluck vom karamelligen, starken „Don Papa"-Rum richtig viel „Fun" haben wollen.
Pannacotta auf philippinisch
Im „Ayan" variieren die Portionsgrößen angenehm: Als Tapas serviert kosten die Snacks drei oder 3,50 Euro. Streetfood-Boxen mit drei Happen oder Barbecue-Sticks plus Salat und Reis kosten fünf Euro, mit zwei Snacks 7,50 Euro. „Richtige" Hauptgerichte werden für 8,20 bis 13,50 Euro serviert. So kann sich jeder nach Lust und Laune, Hunger und Begleiterzahl die richtige Menge zum Alleinessen oder Teilen zusammenstellen. Das traditionelle „Tocibet" ist mit 10,20 Euro dabei: Süßlich mariniertes Rindfleisch aus der Steak-Hüfte wurde im Wok und in Sesam-Austernsoße scharf angebraten und kommt mit Pandan-Reis und viel Gemüse auf den Teller. Auf ein zweites Gemüsegericht verzichten wir dieses Mal. „Kang Kong", in Ingwer-Sojasoße geschwenkter Wasserspinat mit Tomaten und Schalotten, hätte uns schon gereizt. Die vegetarischen Gerichte wurden sogar unkompliziert veganisiert: Statt traditionell mit Fischsoße werden Gemüseeintopf, Wasserspinat und gegrillter Tofu mit einer Soße aus fermentierten Sojabohnen abgeschmeckt. „Die verändert nichts am Geschmack", sagt Callanta. Frisches Streetfood kann auf Trends wie Veggie oder Vegan reagieren. Auch auf den Philippinen folgt das schnelle Draußen-Alltagsessen eigenen Moden: „Klassisches Streetfood gilt inzwischen als altbacken", sagt Callanta. „Meine Cousine hat mir erzählt, dass sie etwas ganz Neues gegessen hätte – Schawarma." Arabisches Grillfleisch oder Pizza seien gerade schwer angesagt. Kein Ding – wir übernehmen gerne „Adobo Pork", „Fish Balls" und „Milkfish" auf unseren Speisezettel!
Oder hübsche Desserts wie das fliederfarbene „Ginataan Bilo-Bilo". Die traditionelle Nachspeise erhält ihre Optik nicht nur durch orange-, sondern insbesondere durch lilafarbene Süßkartoffeln, die im Verbund mit Tapioka, Jackfruit und Klebreisbällchen zu einem fruchtig-perligen Cremevergnügen werden. Der saftige und ordentlich mit „Icing" überzogene „Carrot Cake" dagegen empfiehlt sich wie sein Cheesecake-Kollege durchaus für den separaten Torten-Hunger am Nachmittag.
Die beiden Cakes zeugen von der großen Beliebtheit „der" großen US-amerikanischen Kaffeekette, deren Süßigkeiten längst kulinarisch „einphilippinisiert" wurden. Die größte Überraschung bietet eine „Maja blanca". „Das ist eine philippinische Pannacotta", meint der Fotograf. „Stimmt, aber mit ein bisschen lateinamerikanischem Innenleben, das sich zartgelb in der glatten, weißen Kokoscreme versteckt. Mit der leichten Süße und dem gemüsigen Biss von Maiskörnern im Mund und ganz viel „Fun" nicht nur im Bauch, sondern auch im Herzen verabschieden wir uns für dieses, aber ganz bestimmt nicht zum letzten Mal vom „Ayan".