Nicolas Bogislav von Lettow-Vorbeck hat ein Buch über skurrile Todesfälle auf Reisen geschrieben. Spazieren geht er sicherheitshalber im Berliner Umland.
Nicolas Bogislav von Lettow-Vorbeck: Das sei kein Name, sondern eine Kurzgeschichte, sagte kürzlich jemand im Scherz zu dem Berliner. Mit dem 35-Jährigen, der einem alten pommerschen Adelsgeschlecht entstammt, kann man diesen Spaß machen. Er ist locker drauf und macht über den Name zuweilen selbst seine Witze.
Genauso ungewöhnlich wie der Name ist sein Anfang April erschienenes Buch „Das Krokodil im Flugzeug – Skurrile Todesfälle auf Reisen" (Eden Books). Ob Bungee-Jumping bei zwielichtigen Anbietern oder Schnorcheln in Küstenabschnitten mit Haien – die Liste von Ausflügen und Urlauben mit Risiko ist der Lektüre zufolge lang. Ohnehin riskante Extremsportarten, Bergsteigen oder Surfen sind da noch nicht einmal mit eingerechnet. Für sein Buch hat der Autor 92 kuriose Todesfälle recherchiert und zusammengetragen. Angereichert sind die Geschichten mit Überlebenstipps und einer Portion schwarzem Humor. Der Lesestoff lässt Urlaub auf Balkonien nicht mehr wie eine Notlösung aussehen.
Dass sich auch in Paradiesen manchmal Dramen abspielen, erfuhr Nicolas Bogislav von Lettow-Vorbeck schon im Mallorca-Urlaub mit den Eltern: „Bei einem Tanzabend mit vorwiegend älterem Publikum kippte plötzlich ein Senior tot um." Über den soeben Verstorbenen habe das Personal eine Decke gelegt. „Die Disko beendete man zwar, doch diniert wurde weiter", erinnert sich der Schreiber an den Fall, der im Buch aber nicht auftaucht. Das Thema begleitete den Wahl-Berliner auch auf der Hochzeitsreise mit seiner Frau nach Hawaii. Zur Vulkanbeobachtung ging es zunächst raus aufs Meer, dann zurück ans Ufer – genau dorthin, wo sich Lavagestein in den Pazifik ergoss. „Wir fuhren bei stürmischer See auf einem schäbigen Kahn. Auch der Kapitän machte keinen sicheren Eindruck, was unser mulmiges Gefühl noch verstärkte", erinnert sich der Autor. Bis auf zehn Meter ging es an den Lavastrom heran. Das frisch vermählte Paar war heilfroh, den Trip überstanden zu haben.
Über toten Gast legte das Personal eine Decke
„Monate später lasen wir in der Zeitung: ‚Hawaii: Lava-Bombe trifft Touristenboot.‘ Es war genau unser Ausflug und unser Boot." Zwar habe es bei dem Vorfall keine Toten gegeben, aber alle Ängste und Vorbehalte bestätigten sich. Zu diesem Zeitpunkt – im Juli 2018 – war der Autor und Lektor von Lettow-Vorbeck längst Feuer und Flamme fürs Thema „Gefährliche Ferien". Der gebürtige Düsseldorfer recherchierte daraufhin in Zeitungen, aber auch auf dem Videoportal Youtube. Die daraus resultierenden Buchstorys sind beißend-witzig, aber auch voller Respekt vor denen, die auf Reisen zu Tode kamen. Im Interview im Café an der Berliner Karl-Marx-Allee kommt von Lettow-Vorbeck gleich zum nächsten Drama – dem Autoausflug einer chinesischen Familie in einem Pekinger Safari-Park mit Wildtieren. Nach einem Streit verließ hier die Ehefrau und Mutter laut Buchbeschreibung das schützende Fahrzeug, was ein Tiger sofort ausnutzte und zuschnappte. „Der Ehemann stürzte aus dem Auto, um seine Frau zu retten, kurz darauf öffnete die Schwiegermutter die Wagentür." Dem Gatten schenken die Raubtiere offenbar keine weitere Beachtung. Die Schwiegermutter wird jedoch das nächste Opfer. Die Ehefrau überlebt mit schweren Verletzungen. Tragisch endet laut von Lettow-Vorbeck auch die Zugfahrt einer Russin, die weit aus dem Fenster gelehnt Selfies knipst. Ein Strommast der Bahnanlagen reißt die Gedankenlose in den Tod.
Das ständige Fotografieren mit Smartphones hält der Autor für eins der größten Sicherheitsrisiken auf Reisen, weil es Ausflügler ablenke. Viele Urlauber scheinen Sehenswürdigkeiten heute eher durch die Handy-Fotolinse statt im Original zu sehen. Dem Thema Fotografie und Selfie widmet er im Buch einen ganzen Abschnitt. Im September 2002 sei das Wort Selfie (Handy-Selbstporträt) online erstmals verwendet worden. „Allein im Jahr 2014 kamen 49 Menschen beim Schießen von Selfies ums Leben", gibt Nicolas Bogislav von Lettow-Vorbeck das Ergebnis seiner Recherche wieder. „Die Dunkelziffer dürfte dabei noch weit höher liegen", mutmaßt der Mann mit den großen wachen Augen. Die meisten Todesfälle in Verbindung mit Selfies ereignen sich seinen Angaben nach in Indien. Zu den häufigsten Todesursachen zähle hier der Sturz aus großer Höhe. Im Buch heißt es: „In einigen Städten wie Mumbai gibt es Zonen, in denen strenges Selfie-Verbot herrscht."
Der Autor beschreibt einen Fall aus Japan, bei dem ein 59-jähriger Einheimischer die Knipserei per Smartphone mit dem Leben bezahlt. Ursprünglich wollte der Japaner den Vulkan Ontake 200 Kilometer südwestlich von Tokio fotografieren, als dieser völlig unerwartet ausbrach. Statt sich in Sicherheit zu bringen, begann der Tourist, das Naturereignis aus der Nähe abzulichten. Eine dicke Ascheschicht soll den Ausflügler begraben haben. Im Gegensatz zu ihm überstand sein Handy die Katastrophe gut.
„In einigen Städten gibt es Zonen mit strengem Selfie-Verbot"
In Nicolas Bogislav von Lettow-Vorbecks Lektüre ist dazu zu lesen: „So konnten die Ermittler den Unfallhergang haargenau nachvollziehen. Die Selfies auf dem Gerät zeigen, dass der Japaner beim Anblick der immer näher kommenden Aschewolke keineswegs um sein Leben lief und sich einen Unterstand suchte – stattdessen posierte er begeistert für unzählige Fotos und Videos, bis ihn die dunkle Wolke verschlang." Dem Buch zufolge fanden 47 Menschen beim Ausbruch des Ontake im September 2014 den Tod. Nach Mitteilung der Rettungskräfte waren an jenem Tag weitere Touristen im Fotofieber: „Gut die Hälfte der geborgenen Leichen hielt noch ihre Smartphones in den Händen", heißt es im bebilderten Band.
In einem anderen Fall stürzte ein 51-jähriger Deutscher in die Tiefe, als er sich selbst und die Inka-Ruinenstätte Machu Picchu ablichten wollte. Dabei kletterte er in den peruanischen Anden offenbar über die Sicherheitsabsperrungen. Um die Originalität der Bilder noch zu steigern, begann er mit waghalsigen Posen und Luftsprüngen. „Bei einem dieser Hüpfer verlor er das Gleichgewicht und purzelte hundert Meter in die Tiefe", gibt von Lettow-Vorbeck die Buchzeilen wieder. Nicht zuletzt wegen solcher Vorfälle ist Nicolas Bogislav von Lettow-Vorbeck bei der eigenen Urlaubsplanung vorsichtig geworden, wie er sagt. Airlines checkt er auf Sicherheitsstandards. Verreist wird nur noch nach penibler Vorbereitung und unter absoluter Vermeidung von Risiken. Meist gehe er im Berliner Umland spazieren, erklärt von Lettow-Vorbeck. Ohnehin hält er Brandenburg für ein sicheres Pflaster. Das sage er nicht, weil seine Partnerin aus Wittenberge in der Prignitz stammt. „Ich kann im Märkischen wirklich entspannen, stundenlang auf einen See schauen und danach in einen Gasthof einkehren." Nichts gegen Paris und Rom. Doch das Abarbeiten touristischer Ziele verursache auch Stress, sagt von Lettow-Vorbeck. Der startet mit seiner Partnerin viel lieber in die Döberitzer Heide oder Richtung Potsdam.
„Als Draufgänger würde ich mich in Sachen Urlaub nicht unbedingt bezeichnen", sagt er und lächelt. Seine Lektüre enthält nicht nur Berichte über ungewöhnliche Todesfälle, sondern auch Statistiken und Ratschläge für sicheres Reisen. „Das Krokodil im Flugzeug" solle nicht nur unterhalten, sondern auch weiterbilden, sagt der Autor.
Zu Hause ist von Lettow-Vorbeck heute in Moabit, dort, wo Berlin noch Berlin ist, wie er findet. 2010 zog er der Liebe wegen in die Hauptstadt. „Ich bin ehrlich: Als ich kam, wusste ich nicht, ob Moabit im Osten oder Westen, Norden oder Süden Berlins liegt." Er liebe seinen Kiez, die Cafés und die Bewohner.
Zum Schluss berichtet der Autor noch vom „Krokodil im Flugzeug", der Titelstory des Buchs. In einer riesigen Sporttasche sei das Reptil unbemerkt in eine alte Propeller-Maschine gelangt. Auf dem Flug ab Kinshasa befreite es sich aus der Tasche und löste Panik aus. Dem Buch zufolge rannten erst eine Stewardess, dann mehrere Passagiere vom hinteren Bereich des Fliegers in Richtung Cockpit. Die Maschine geriet ins Taumeln und stürzte ab. Zwei Insassen überlebten: ein Fluggast und das Krokodil. Nicht nur wegen dieser unglaublichen Story sei von Lettow-Vorbecks Lektüre empfohlen. Merke: Dieses Buch kann Leben retten!