Ob Tierschutzpartei oder ÖDP: Die kleinen Parteien bleiben bei der kommenden Europawahl für den Wahlausgang eher unbedeutend. Deren Kandidaten gelangen erst durch die Zusammenarbeit mit einer Fraktion zu mehr Gehör im Europaparlament.
Piraten, Familien-Partei, Freie Wähler … zumindest dem Namen nach dürften diese Parteien vielen durchaus bekannt sein. Aber schon mal etwas gehört von den Liberal-Konservativen Reformern, der Blauen Partei, der Tierschutzpartei, der Ökologisch-Demokratischen Partei oder der „Partei" um den Satiriker Martin Sonneborn? Kleinstparteien vertreten mit einem Abgeordneten einen Teil der deutschen Wähler seit 2014 im Europäischen Parlament. Hinzu kommt noch ein Abgeordneter der NPD. Ins Parlament einziehen konnten sie nur, da es bei der Europawahl 2014 keine Sperrklausel mehr gab. Die hatte das Bundesverfassungsgericht zuvor gekippt. Rechnet man die FDP dazu, die 2014 an einer Fünfprozenthürde gescheitert wäre, vertreten zehn Abgeordnete von den 96 deutschen Parlamentsvertretern insgesamt rund zwei Millionen Wähler.
Spätestens 2024 könnte mit den Miniparteien wieder Schluss sein in Europa, denn das EU-Parlament hat den Vorstoß der Bundesregierung für eine Sperrklausel bei Europawahlen gebilligt. Von den großen Mitgliedstaaten sind Deutschland und Spanien derzeit übrigens die einzigen, die keine Mindesthürde für die Europawahlen haben. Für die nächste Wahl am 26. Mai 2019 kommt der Vorstoß allerdings zu spät, so dass die Kleinstparteien durchaus nochmals einziehen könnten.
Doch was bringt es den Bürgern eigentlich, wenn solche „Exoten" unter den Etablierten sitzen und bei europäischen Fragen mitmischen wollen? Ist es demokratisch, wenn man diese Kleinstparteien durch Sperrklauseln aus dem Parlament befördert? Oder gilt das Europäische Parlament sowieso als bunt gemischter Parteienhaufen aus 28 beziehungsweise 27 Ländern?
Lobbyisten haben zu viel Macht
Europe Direct hatte in Zusammenarbeit mit der Asko-Europa-Stiftung, der Europäischen Akademie Otzenhausen (EAO), European Horizons und dem Asta der Universität des Saarlandes die Vertreter der Kleinstparteien von extrem links bis extrem rechts zu einer Diskussion geladen. Lediglich Klaus Buchner von der ÖDP, Stefan Eck, früher Tierschutzpartei und heute parteilos, Bernd Kölmel, früher AfD, dann Liberal-Konservativer Reformer und heute parteilos, sowie Marcus Pretzell, früher AfD und heute bei den Blauen, waren der Einladung gefolgt.
Dass die Kleinstparteien nichts bewegen können, sehen deren Vertreter naturgemäß anders. Schließlich gehören alle Abgeordneten der Miniparteien einer der acht Fraktionen im Europaparlament an – außer der NPD und Martin Sonneborn. „Wer Fraktionsstatus genießt, arbeitet in Ausschüssen mit, bleibt aber trotzdem unabhängig", erklärte Klaus Buchner von der ÖDP, der meistens mit den Grünen stimmt. Eine Fraktion muss multinational aus sieben Nationen bestehen und mindestens 25 Abgeordnete umfassen. Derzeit gibt es acht große Fraktionen der unterschiedlichen politischen Ausrichtungen im Europäischen Parlament. Der Fraktionsstatus garantiere eine gewisse Infrastruktur wie Sekretariat und Zugriff auf das Fachwissen von Mitarbeitern, sagt der parteilose Bernd Kölmel. „Das kann ein einzelner Abgeordneter überhaupt nicht leisten." Kritisch sieht der Baden-Württemberger Kölmel allerdings eine gewisse Verlogenheit in der Fraktionsarbeit. „Wird eine gemeinsame länderübergreifende Position in einer Fraktion erarbeitet, kommt es nicht selten vor, dass diese Position von den Vertretern eines Landes aufgegeben wird, wenn es den Landesinteressen widerspricht. Nationale Interessen haben dann Vorrang."
Der parteilose Stefan Eck aus Homburg sieht in dem relativ lockeren Fraktionszwang den Vorteil, Abgeordnete aus anderen Fraktionen und allen politischen Richtungen für die Sache gewinnen zu können. Schließlich gibt es im Europaparlament keine Regierungsfraktion, die wie beispielsweise im Bundestag auf einen Fraktionszwang angewiesen ist. Eck setzt sich im Europaparlament für den Tierschutz ein, aber auch für andere Bereiche wie Umweltschutz. Das Thema Tierschutz würde alleine nicht ernst genommen.
Bemängelt wurde einhellig die versuchte Einflussnahme der Lobbyisten aus der Wirtschaft „mit mehr oder minder kleinen Bestechungsversuchen", wie Eck es nannte. Da müsse man schon konsequent eine ablehnende Haltung entwickeln. Es sei nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Berliner oder Pariser Politik, die versuche, Einfluss zu nehmen, sagte Marcus Pretzell, der wie Klaus Buchner 2019 erneut für das Europäische Parlament kandidieren will. Dann aber erstmalig mit der Blauen Partei, zu der er 2017 wechselte. Der Ehemann von Frauke Petry ist 2014 auf dem Ticket der AfD ins Europaparlament eingezogen. Eck und Kölmel ziehen es dagegen vor, es bei fünf Jahren Erfahrung im Europarlament zu belassen und in ihre Berufe zurückzukehren. Den Vorwurf, als Europaparlamentarier zu viel Geld zu verdienen, verwiesen übrigens alle in das Reich der Fabeln. Sitzungsgelder müssten teilweise an die Parteien überwiesen werden wie bei der ÖDP, Unterkünfte in Brüssel seien teuer und außerdem gebe es durch die Ausschussarbeit jede Menge Arbeit und Termine. Kölmel, Buchner und Eck betonten sogar, sie hätten im zivilen Leben im Verhältnis zur geleisteten Parlamentsarbeit mehr Geld verdient.
Mehr Ehrlichkeit über Ziele angemahnt
Die EU und ihre Institutionen werden von der Bevölkerung zunehmend kritischer gesehen. Das gilt auch für das Europaparlament. Eine Strukturreform sei dringend geboten, waren sich die vier Vertreter durchaus einig, aber nicht über das Wie. Während Stefan Eck von den Vereinigten Staaten Europas sprach, wohlwissend, dass der Weg dahin ein sehr weiter ist, und Klaus Buchner zuerst mehr Demokratie und dann mehr Kompetenzen für die EU forderte, sahen das die Vertreter der rechten Parteien anders. Kölmel verlangte insbesondere vom EU-Kommissionspräsidenten mehr Ehrlichkeit in der Debatte, welche Entwicklung Europa nehmen solle. Er warnte vor einem neuen Zuschnitt der EU nach Austritt der Briten zugunsten eines stärkeren Gewichts der Mittelmeeranrainerstaaten. „Gerade in Fragen der Haushaltsdisziplin zeigen die Südeuropäer wie derzeit Italien ein anderes Gesicht. Die EU verkommt zu einer Transfergesellschaft von Nord nach Süd." Marcus Pretzell sprach sogar davon, dass das Europaparlament der Entdemokratisierung der nationalen Staaten aus Gründen der öffentlichen Meinung diene. Griechenland sei ein Beispiel dafür, dass eine demokratisch gewählte Regierung einfach nur fremdbestimmt sei. „Die wahren Machthaber in der EU sitzen im Ministerrat", sagt Kölmel. „Die Vertreter im Rat beschließen im Geheimen und erzählen zu Hause in ihrem Land etwas anderes, das Parlament darf nur noch abnicken." Unliebsame Themen werden auf Europa abgeschoben. Europa sei aufgrund des Einflusses und der Demokratiedefizite für die Vereinigten Staaten Europas nicht reif. Durch die Einstimmigkeit bei Beschlüssen hätten auch kleine Länder Einfluss. Es gehe oftmals zu wie auf einem Basar.
Als Fazit bleibt: Ob die Stimme für eine Kleinstpartei eine verlorene Stimme ist, mag dahingestellt sein, ohne Fraktion ist sie praktisch wertlos.