Das Pokalendspiel zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern München verspricht fußballerisch ein Ereignis zu werden. Doch viele Fans von Traditionsvereinen wollen das Endspiel regelrecht boykottieren. Denn schließlich treffen am 25. Mai die beiden Vereine aufeinander, die in Fußball-Deutschland wohl am meisten polarisieren.
Als das aus tabellarischer Sicht fast bestmögliche Finale perfekt war, begann bei Twitter die große Diskussion. Gerade in diesem sozialen Netzwerk sind viele eingefleischte Fans von Traditionsvereinen unterwegs. Und für viele von ihnen war es die schlimmstmögliche Endspiel-Paarung, die sich für den 25. Mai im Berliner Olympiastadion ergab: der FC Bayern München, Serienmeister der vergangenen Jahre und trotz eigenerwirtschafteten Geldes für viele der Prototyp eines Kommerzvereines. Schließlich kaufen die Bayern für sie einfach nur mit ihrer Kohle Jahr für Jahr die anderen aufstrebenden Vereine kaputt, statt ihre Stars selbst auszubilden. Übertroffen werden sie als Feindbild dort nur noch von RB Leipzig, das für viele die Steigerung der Münchner ist: ein Retorten-Verein, der mit Geld um sich wirft, das er nicht einmal selbst erwirtschaften muss, weil ihn ein Brause-Hersteller unterstützt. So weit die Klischees. Für die Fans vieler Vereine ist diese Endspiel-Paarung im Endeffekt also das Duell Feindbild gegen Feindbild. Und so wissen viele neutrale Anhänger gar nicht, wem sie die Daumen drücken sollen. „Ich überlege ernsthaft, die Schiedsrichter anzufeuern", schrieb einer. Ein anderer fragte: „Können nicht einfach beide verlieren?" Ein Dritter fragte: „Hat jemand eine Idee, was man am 25. Mai machen könnte?" Und ein weiterer stellte fest: „RB gegen Bayern könnte wirklich ein Finale sein, wo ich eine Austragung in China oder den USA begrüßen würde." Ein User fasste schließlich zusammen: „Bayern gegen RB Leipzig im Finale. Das ist wie einen Veganer fragen, ob er Blutwurst oder Sülze essen möchte." Das „Fums-Magazin" schrieb: „Da weiß man echt nicht, für wen man nicht sein soll." Und die „Rheinische Post" erklärte den Zwiespalt vieler Fans so: „Der Feind meines Feindes ist auch doof – nur anders." Auch das Bayern- und RB-kritische Magazin „11 Freunde" schrieb: „RB Leipzig gegen Bayern München – ein Pokalfinale, das wirklich niemand sehen will." In einer satirischen Vorschau schreiben sie, dass es „im dichten Gedränge der zahllosen Schwarzmarkthändler, die alle noch Karten verkaufen wollen, beinahe zu einer Massenpanik kommt". Sie zitieren imaginäre RB-Fans, die über die Halbzeit-Show von Helene Fischer urteilen: „Tolles Konzert, wirklich. Nur die 45-minütige Fußballshow vorher war zu lang." Das Motto „Vereint gegen beide" sorgte sogar für einen ungewohnten Zusammenschluss von eigentlich rivalisierenden Fangruppen. So starteten sowohl die Facebook-Seite „HSV Inside" als auch das Internetportal „WerderNews" eine Petition für das Duell der beiden unterlegenen Halbfinalisten aus dem Norden als „The real DFB-Pokalfinale!".
Leipzigs Fans emanzipieren sich vom Sponsor
Das „Hamburger Abendblatt" fragte deshalb: „Führt der Pokal zur Verbrüderung von HSV und Werder?" Und die „Taz" schrieb: „Das ist in etwa so, als ob Markus Söder und Anton Hofreiter auf einmal gemeinsam gegen Christian Lindner und Annegret Kramp-Karrenbauer rebellierten." Das Endspiel nannte das Blatt den „Antipathie-Gipfel".
Wird es also wirklich so trostlos? So gefühls-unecht? So geschäftig? Natürlich sind Titel für den FC Bayern Routine. „Wenn die Meisterfeier auf dem Mariannenplatz stattfindet, kommen 3.000 Leute plus 1.500 Touristen, die gucken: Was ist denn da los, okay, da gehen wir auch mal vorbei", lästerte kürzlich Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Und sogar Ur-Bayer Thomas Müller witzelte im Vorjahr auf die Frage, wie die Meisterfeier nach dem 29. Spieltag ausgefallen sei: „So wie, wenn man in der Kreisklasse aufsteigt. Nur vielleicht ein bisschen gedämpfter." Doch Endspiele sind für den FC Bayern eben die Höhepunkte, die Abwechslung vom Liga-Alltag, der außer in diesem Jahr zuletzt lange nicht mehr spannend war.
Und RB hat eben auch in der kurzen Zeit der jetzigen Vereins-Form eine durchaus beachtliche Fan-Basis aufgebaut. Die Ablehnung vieler Traditions-Fans hat sie wohl auch wachsen lassen. Frei nach dem Motto: wir gegen alle. Oder auch: jetzt erst recht. Außerdem hat der seit der Wende alles andere als erfolgsverwöhnte Fußball-Osten nun eben endlich einen Verein, der um Titel mitspielen kann. Das hat viele Fans mobilisiert, die zuvor nicht auf einen Verein festgelegt waren. Und weil es das erste große Endspiel für den Club ist, war der Run auf die Tickets so groß wie bei anderen Vereinen vor dem ersten Pokal-Finale. Am 6. Mai schaltete RB um 10 Uhr einen Online-Warteraum zum Erwerb der Tickets frei. Wer sich um 10 Uhr anmeldete, stand schon hinter 10.000 anderen. Kurz darauf konnte man sich nicht mehr anmelden. Um 12.47 Uhr twitterte der Verein – nun selbstironisch: „Kommt eh keiner mit. Haben sie gesagt. Ihr bekommt Berlin nie voll. Haben sie gesagt. Wir sind nach nur drei Stunden ausverkauft. Sagen wir." Alle 24.000 Leipziger Tickets waren da schon weg.
Und im Endeffekt sorgt das Ereignis offenbar auch ein wenig dafür, dass sich die Fans vom omnipräsenten Sponsor emanzipieren. Als das offizielle Final-Shirt mit dem Spruch „Beflüüügelt ins Finale" vorgestellt wurde, forderte der Account „Südkurve Leipzig – Rasenball" sofort: „Mehr Leipzig, weniger Red Bull!" Und erhielt dafür fast so viele Likes wie der Verein für sein Posting. Viele weitere kritische Kommentare folgten. Doch am Ende waren auch das Shirt und der dazugehörige Schal schnell ausverkauft.
Leipzig derzeit die „stabilste Mannschaft"
Und zu guter Letzt muss eines festgehalten werden: Fußballerisch hat es Potenzial, ein denkwürdiges Endspiel zu werden. Den Reiz eines klaren Außenseiters bietet es nicht. Dafür ein Duell zweier Mannschaften fast auf Augenhöhe mit vor allem spielerisch großartigen Voraussetzungen. In 2019 hat keine Mannschaft mehr Punkte geholt als diese beiden, die vor ihrem direkten Duell am 33. Spieltag nur je ein Spiel verloren. Beide haben dies überwiegend über aktiven Fußball erreicht, nicht übers Verteidigen. Und es ist das größtmögliche Treffen deutscher Nationalspieler. Denn zum ersten DFB-Kader des Jahres 2019 gehörten fünf Spieler des FC Bayern und drei aus Leipzig. Kein anderer Verein stellte mehr. Sowohl Trainer Sandro Schwarz, der mit Mainz kürzlich auf RB traf, als auch Gladbachs Manager Max Eberl nach dem direkten Duell lobten die Leipziger als „derzeit stabilste Mannsschafts Deutschlands". Alle, die einem der beiden Vereine extrem kritisch gegenüberstehen, könnten sich also wahlweise sagen: Wenn derzeit eine Mannschaft die Bayern in einem Finale schlagen kann, dann wohl Leipzig. Und adäquat: Wenn derzeit eine Mannschaft Leipzig in einem Finale schlagen, dann wohl der FC Bayern.
„Das Finale wird die Zuschauer begeistern", verspricht deshalb Bayern-Präsident Uli Hoeneß: „Leipzig spielt auch eine Super-Rückrunde. Die werden sich nicht hinten reinstellen, sondern mit uns mitspielen wollen." Leipzigs schwedischer Nationalspieler Emil Forsberg schwärmte: „Wir spielen gegen die größte Mannschaft, die jeder schlagen will." Und RB-Kapitän Willi Orban formulierte schon nach dem Halbfinale eine Kampfansage: „Wir werden immer reifer, gewinnen an Qualität, an Abgezocktheit – und dieser Weg ist noch nicht zu Ende."
Es gibt im Endeffekt also sogar einiges, bei dem man bei diesem Finale genau hinschauen kann. Auf die Stimmung, auf die Einschaltquoten – und am Ende doch vor allem auf das Spiel.