War Charlottenburg nicht schon immer das eigentliche Paris? Am Meyerinckplatz wäre diese Annahme berechtigt. Im „Louis Laurent" sorgen Küchenchef Christoph Brzeski und seine Riege von Garçons mit Bistro-Küche und Charme für Genuss und französisches Lebensgefühl.
Ich bringe Ihnen noch einen Käseteller. Der gehört in Frankreich zu jedem Essen", sagt Thierry Pipart. „Es wäre doch schade, wenn der Käse nicht mit auf einem Foto wäre." Charmant eingefädelt! Natürlich naschen wir dann doch vom Comté und Reblochon, vom cremigen Brillat Savarin und vom blaugeäderten Fourme d’Ambert. „Und ein Schluck vom Merlot." Ehe wir uns versehen, stehen drei ziemlich mittelgroße Schlucke Rotwein vor uns. Warm und weich umschmeichelt uns die traubige Tiefe vom „kleinen Bordeaux". Wir sinken endgültig auf die Bänke und Stühle im „Louis Laurent", umsorgt und länglich beglückt mit Speisen und Getränken, die Küchenchef Christoph Brzeski uns geschickt und die Thierry Pipart vom Service aufgetragen und einschenkt hat. Ach, ich möchte immerzu „Garçon, s’il vous plaît!" rufen, so unaufdringlich und fürsorglich umhegen uns die Herren. Wie die vier Kellner stelle ich mir einen Garçon aus dem Französisch-Lehrbuch, Kapitel Restaurantbesuch, vor: Nicht mehr ganz jung, mit Eleganz, Charme und der versammelten, aber keineswegs steifen Würde ihres Berufsstandes behalten sie ihre Gäste und das Geschehen nicht zuletzt durch die großen Wandspiegel unauffällig im Blick.
Das „Louis Laurent" ist von seinen Speisen her eher ein unkompliziertes Bistro als ein Restaurant mit Menü und allem Drum und Dran. Auch wer nach dem Theaterbesuch noch ein paar Fines-de-Claire-Austern und ein Glas Champagner oder einen Flammkuchen und einen Wein nehmen will, ist dort gut aufgehoben. Tout Charlottenburg ist jedenfalls schon mal da: Paare, Freundinnen, der eine oder der andere bekanntere Mensch aus dem „guten alten West-Berlin" und gar nicht mal so wenige Einzelgänger sitzen auf den wandlangen Bänken im Raum sowie im kleinen „Schaufenster" zum Meyerinckplatz hin.
Es gibt allerdings keinen Grund, warum das „Louis Laurent" nur seinem Stammpublikum und dem gediegenen Charlottenburg vorbehalten bleiben sollte. Die Küche ist traditionell, legt Wert auf sehr gute Produkte und ist ganz einfach wohlschmeckend. Küchenchef Christoph Brzeski bringt genau das auf die Teller, was alle lieben und zum Wohlfühlen brauchen: Wärme und Aroma, produktbasierte Einfachheit mit einer Prise Raffinesse.
Sommerliche Gefühle an einem kühlen Maiabend
Et voilà, da ist auch schon unsere Zwiebelsuppe. Heiß, wie es sich für die zum Mund-Verbrennen taugliche zwiebelige Suppe unter ihrer Haube von geschmolzenem Käse und Brot gehört. Wir wenden das Ungemach mit Pusten ab. Schließlich wollen wir neben dem substanziellen Süppchen, das allein schon eine gute Grundlage für das eine oder andere Glas Wein bilden kann, ein Lachstatar als weitere Vorspeise probieren. Das „Tatare de saumon" kommt auf einem Sockel von Avocado daher. Gesprenkelte Pitaya- und Sternfruchtscheiben, Litschis und Maracuja machen nicht nur optisch auf Tropen: Die frischen, säuerlichen und exotisch-süßen Noten wie von der Maracuja tun Fisch und Avocado gut. Die Kombi lässt sommerliche Gefühle aufkommen, selbst wenn während unseres Besuchs an einem kühlen Maiabend sogar die Decken auf den Terrassenstühlen noch eher symbolisch ausliegen.
Zwar macht ein Schild auf dem stillen Örtchen darauf aufmerksam, dass die Gäste nach 22.30 Uhr ins Innere des 45-Plätze-Lokals hineinkommen mögen und verweist auf eine funktionierende Klimaanlage mit angenehmen Temperaturen. Aber eigentlich, bei allem Verständnis für die Nachbarn, möchte man sich doch draußen so gern direkt am Seine-Ufer wähnen! Nun ist der Innenraum mit den Tischen vor Weinregalen und 70er-Jahre-Filmplakaten aber keineswegs zu verachten. Dort trinkt und speist es sich vorzüglich auch an kälteren Tagen und Abenden. Ein 2016er-„Entre-deux-Mers" Chateau Chrismar aus dem Bordeaux geleitet uns weiß, frisch und munter durch Meeresfrüchte, Fisch und Fleisch bei den Hauptgerichten. Jakobsmuscheln, Crevetten, Meerbarbe, Seeteufel, Loup de Mer, Lachs und Gambas von der Fischplatte wollen verzehrt werden. Das erledigen wir mit großem Wohlgefallen ob des auf den Punkt gebratenen versammelten Meeresgetiers. Einen Tick Zitrone obenauf geträufelt, das eine oder andere Löffelchen Rouille auf den Teller gehäufelt, schon neigt sich das Meer auf dem Teller seinem Ende zu.
Ehe wir uns versehen wird unauffällig die rote, cremige, knofelige Soße, von der wir gar nicht genug bekommen können, nachgereicht. Sie sei nicht mit einer Mayonnaise zu verwechseln, erklärt Küchenchef Christoph Brzeski, der seit drei Jahren im „Louis Laurent" wirkt. Weich gekochte und zerdrückte Kartoffeln sind neben roter Paprika, Knoblauch, Safran und rohem Ei die Zutaten der traditionellen Bouillabaisse-Begleitung. Die provenzalische Fischsuppe mit Fischfilet-, Muschel- und Garnelen-Einlage gibt es natürlich ebenfalls im „Louis Laurent" – große Suppenliebe für den tomatisierten Sud mit den leicht jodigen Einlagen.
Flammenzauber in lila-orange
Und, ach, es ist eine große Freude, als wir nach dem erfolgreichen Auspacken und Verzehr von Garnelen und Crevetten mit den Fingern drei Schälchen heißes Zitronenwasser mit einem Extra-Papiertuch zum Reinigen unserer Hände gereicht bekommen. Es sind diese Feinheiten und Aufmerksamkeiten, die in einem Sterne-Restaurant erwartbar wären, uns aber in einem Bistro – dazu noch mitten im rumpeligen Berlin – das Herz vollends aufgehen lassen.
Natürlich spickt der Küchenchef, nachdem alle Gäste versorgt sind, hinterm Tresen hervor und schaut persönlich nach, ob’s mundet und gefällt. „Auf die französische Art lernt man doch am ehesten kochen", sagt Brzeski. „Die meisten Menschen essen diese ganzen Sachen ja dann auch sehr gern." So einfach und wahr ist das. Wir lassen uns von ihm ein Entrecôte empfehlen und wählen als Beilagen „Streichholzkartoffeln", Pommes allumettes, die schlanken Schwestern der Pommes frites, sowie eine Sauce Béarnaise aus.
Droht etwa das Fleisch auszukühlen, während der Fotograf ein anderes Gericht ablichtet? Schon wird es zur Wärmelampe in der Küche getragen. Für die Begleiterin, den Fotografen und mich wird es in drei Streifen geteilt zurückgebracht, und die Kräuterbutter auf einer Gurkenscheibe hat sich wie von Zauberhand verdreifacht. Unser drittes Hauptgericht ist eine confierte Entenkeule auf einem Strich Brombeersoße mit Nocken von Bärlauch-Kartoffelpüree – ein gehaltvoller wie schmackhafter Genuss. Die knusprige Haut, das mürbe, aromatische Fleisch und das Püree mit einer Vorschau als noch frühlingshaftere Speisen gefallen ebenfalls.
Gut, dass wir es auch mit dem Tempo beim Genießen wie die Franzosen halten: Die Fotografier-Pausen kommen uns zum Plaudern und Sacken-Lassen der guten Dinge sehr gelegen. Leicht ist an diesem Abend jedenfalls der knackige Blattsalat mit Zwiebelringen und Senf-Vinaigrette. Er gibt einen Ausblick darauf, dass auch die großen, vollgültigen Geschwister wie ein „Salade Catalane" mit Thunfisch, Ei und Sardellen oder ein Kopfsalat mit Roquefort, Walnüssen und Croutons einzeln Spaß machen.
Wahrlich ein Ort für alle Tage und alle Lebenslagen
Derweil strömen wir gemach auf einen Crêpe Suzette zu. Premiere nach dreieinhalb Jahren dienstlichen Essengehens: Zum ersten Mal wird ein in Orangensoße gebadeter, dünner Faltpfannkuchen für uns flambiert! Nicht zuletzt dem Fotografen zuliebe findet das Feuerspektakel ausnahmsweise und unter den Blicken aller anderen Gäste am Tisch statt. Thierry Pipart gießt den lila-orange flammenden Grand Marnier aus einer Saucière dekorativ über den Crêpe. Gut, dass wir nur einen geordert haben. Schließlich warten noch drei Nocken Mousse au Chocolat und eine sehr, sehr cremige Schale Crème brûlée, für die die Bezeichnung „Schälchen" untertrieben wäre, auf uns.
Ach ja, wir sind entzückt und wissen nicht, dass die Verführung zur kleinen Käse-Orgie erst noch kommt. Der Fotograf zitiert einen italienischen Spruch: „Der Käse trocknet den Mund."
Während das geschieht, beobachten wir den Abschied einiger Gäste. „Dir wird sogar in die Warnweste geholfen", ruft die Begleiterin aus. Ja, nicht nur mit Designer-Handtasche oder im Anzug sind die Gäste willkommen. Mit Rucksack, Fahrradweste oder so wie sie von der Arbeit, vom Einkaufen oder woher auch immer kommen, werden sie herzlich empfangen.
Das „Louis Laurent" ist eben ein Ort für alle Tage und Lebenslagen. Kaum zu glauben, dass es erst seit drei Jahren vor Ort ist; es wirkt, als wäre es schon immer da gewesen. Kann es ein schöneres Kompliment für ein Lokal geben?