1969 wurde das Grips in Berlin als modernes eigenständiges Kinder- und Jugendtheater gegründet – und hat seitdem 200 Stücke auf die Bühne gebracht. Mit zwei Festwochen im Juni feiert das Haus nun sein 50-jähriges Bestehen.
Dieser unverwechselbare Ton, er hat sich schon seit fünf Jahrzehnten gehalten, dieser Widerspruchsgeist, diese Lust an der Provokation und am Demontieren von Vorurteilen. Das Grips-Theater kann seine Herkunft nicht verleugnen – die 68er-Bewegung sowie das politische Kabarett. 50 Jahre Grips – das sind 200 Produktionen, die Mut machen, unzählige Uraufführungen, ein leidenschaftliches Ensemble, ein intensiver Austausch mit dem Publikum und der Stadt und eine klare politische Haltung.
Und das habe sich seit dem ersten Stück nicht geändert, sagt Volker Ludwig, der langjährige Leiter des Grips-Theaters, anlässlich einer Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste. „Das Mädchen aus der allerersten Produktion überhaupt, ‚Stokkerlok und Millipilli‘ hat durchaus eine Verwandtschaft mit der Inge aus ‚Ab heute heißt du Sara‘. Oder mit dem Mädchen aus ‚Linie 1‘. Das sind alles, auf ganz unterschiedliche Art natürlich, Überlebensstücke. Kinder trotzen ihrer Ohnmacht mit Witz und mithilfe von Solidarität. Das sind die beiden Hauptmethoden."
Der Anlass, eine Bilanz der vergangenen Jahrzehnte zu ziehen: 30 Regalmeter Theatergeschichte sind jetzt ins Archiv der Akademie der Künste am Brandenburger Tor gewandert. 30 Meter Ordner, Plakate, Fotokartons, Tonbänder, Regiebücher, Briefwechsel, Programmhefte, Rezensionen, Preise und Urkunden. Dort im Archiv sollen sie nun für wissenschaftliche, publizistische oder private Studien nützlich sein.
Wandert Grips damit ins Museum? Gewiss nicht, denn gerade bei der Veranstaltung in der Akademie der Künste zeigte sich, dass die Theatermacher nach wie vor auf der Höhe der Zeit sind. Neben Auftritten der „Millibillies" – so etwas wie der Hausband des Theaters – rezitierte ein Schauspieler einen Monolog aus einem der neuesten Stücke: „Nasser#7Leben". Darin geht es um das Coming-out eines schwulen Moslems.
Auch heute noch auf der Höhe der Zeit
Natürlich haben sich die Stücke geändert, waren Kinder vor 50 Jahren unterdrückter als heute, mussten sich noch viel mehr wehren gegen autoritäre Eltern und Erzieher. Aber beengte Wohnverhältnisse, schlechte Schulen, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt unter Jugendlichen gibt es heute ebenso wie in den 70er-Jahren. Das Grips-Theater inszenierte 1973 das erste Stück über Mobbing. In „Mensch, Mädchen" (1975) und in vielen weiteren Aufführungen wurden stereotype Rollenbilder demontiert. 2005 produzierte Grips mit 20 Jugendlichen aus dem Beratungs- und Betreuungszentrum für Flüchtlinge und jugendliche Migranten ein an die Realität angelehntes Stück über eine Schülerin, die aus ihrer Klasse herausgeholt wird, um sie abzuschieben.
Wie Stücke entstehen, schildert Philipp Harpain, der 2017 die Leitung von Volker Ludwig übernommen hat. „Die Themen kommen von den Autoren oder vom Ensemble, ein Stückauftrag aber erst, wenn eine überzeugende Story vorliegt. Ein Themenvorschlag ist noch keine Stückidee." So dauerte es beispielsweise zwei Jahre, bis 1973 die richtige Geschichte zum Thema Gastarbeiter gefunden war und „Ein Fest bei Papadakis" entstand. Jede vorgelegte Szene, jeder Dialog werde von Anfang an auf Verständlichkeit und Umsetzbarkeit vor einem jugendlichen Publikum geprüft, erläutert Theaterleiter Harpain. „Wir machen neorealistisches soziales Theater, das vom Publikum ausgeht", sagt Volker Ludwig. Die Frage „Verstehen das die Kinder überhaupt?" hat das Grips nie davon abgehalten, auch scheinbar komplizierte Sachverhalte auf die Bühne zu bringen wie Mietwucher, Immobilienspekulation, Scheidungsrecht oder Korruption.
Aber wie bekommt man heute die an Games, Smartphones und Youtube gewöhnten Schüler dazu, einem Theaterstück zu folgen? Die langjährige Schauspielerin am Grips-Theater, Ilona Schulz (die „Maria" in „Linie 1"), verrät bei der Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste, wie man die jungen Zuschauer erreicht: „Die sind natürlich laut, werfen mit Popcorn und amüsieren sich. Aber die müssen mitkriegen, dass wir als Schauspieler noch schneller sind, noch schlagfertiger als sie und dabei doch ihre Sprache sprechen." Dazu kommt der Überraschungseffekt: Für viele ist es ja das erste Theaterstück überhaupt mit lebendigen Menschen auf der Bühne, die direkt vor ihnen stehen.
Neben den Aufführungen ist die theaterpädagogische Abteilung die zweite tragende Säule des Hauses. Sechs Theaterpädagogen arbeiten mit Schulen, sozialen Einrichtungen und Experten zusammen. Das Grips ist eines der wenigen Theater mit Kooperationsangeboten, bei denen das Publikum selbst aktiv werden kann, darunter auch der „KinderTheaterRat". Auch Nachwuchspflege gehört dazu – mit Unterstützung des Sponsors Gasag wird seit 2005 der „Berliner Kindertheaterpreis" ausgelobt.
Nachwuchspflege und Theaterpädagogik
Aus einem kleinen, linken Theater ist heute ein großes, internationales Theater geworden. Grips-Stücke werden weltweit nachgespielt. Die Hörbücher sind ein Verkaufserfolg. Bis zu 85.000 Zuschauer besuchen das Theater pro Jahr, die Auslastung liegt zwischen 80 und 90 Prozent. Und mit der Kulturstiftung des Bundes und der Lotto-Stiftung ist auch die Finanzierung gesichert. Seit 2009 gibt es auch eine zweite Spielstätte, das Grips-Theater im Podewil, einem Kulturzentrum in der Nähe des Alexanderplatzes.
„50 Jahre Zukunft" und „On the Child’s Side" – das sind die Schlagworte, unter denen das Theaterjubiläum im Juni gefeiert wird. Dabei stehen neben einem Symposium auch Gastspiele von befreundeten Gruppen unter anderem aus Griechenland, Indien und Südkorea auf dem Programm. Das Grips in Berlin-Moabit wird dann zwei Wochen lang zum Treffpunkt für die internationale Kinder- und Jugendtheaterszene.