Fußballer, Trainer, Berliner: Einen Blick aus sportlicher Sicht auf seine Heimat gönnt uns André Hofschneider, seit Kindheit eng verbunden mit Union Berlin. Er ist dafür, Ost-West-Unterschiede in der Stadt beim Namen zu nennen. Und wünscht sich wieder Derbys zwischen Hertha und Union – damit ganz Berlin mitfiebert.
Herr Hofschneider, was ist für Sie Heimat?
Die Frage habe ich mir vor 15 Jahren selbst gestellt, als meine Profikarriere zu Ende war. Da war einfach das Thema: Fußball ist zu Ende – und was kommt jetzt? Wo willst du eigentlich am Ende leben? Ich war elf Jahre aus Berlin raus, viele Dinge hatten sich verändert. Über den einen oder anderen Umweg bin ich ja trotzdem wieder zurückgekommen. Nach einigen Monaten habe ich festgestellt, dass Berlin meine Heimat ist. Ich bin da ja aufgewachsen und habe hier viele Veränderungen erlebt. Es ist ja eine geschichtsträchtige Stadt. Ost – West, das ist ja nun einfach der Kontrast, das ist nirgendwo so groß wie in dieser Stadt. Ein Teil dieser Stadt zu sein, ist schon was Besonderes. Berlin wird immer meine Heimat sein. Das Gefühl hier, der Dialekt. Auch gewisse Dinge, die man mal mehr, mal weniger mag. Das ist die Berliner Schnauze, die direkte Art – das ist etwas, das mich mit dem Wort Heimat verbindet.
In welchem Stadtteil sind Sie geboren?
Lichtenberg. Aber meine Heimat war immer Treptow. Im Treptower Park habe ich meine Kindheit verbracht. Ich habe immer auf die Mauer geguckt, habe auf die Mauer Fußball gespielt. Das war meine Prellwand. Treptow war immer der Ort, an den ich am Ende wieder hin zurück will. Die Spree, der Treptower Park, das Ehrenmal war oft ein Ausflugsziel zu meiner Schulzeit. Das wird immer der Standort bleiben, der mich am meisten interessiert.
Ist Union Berlin eine Heimat für Sie?
Ich bin mit sieben Jahren dahin, mit 24 Jahren weg. Jetzt bin ich schon wieder 13 Jahre da. Also 30 Jahre in einem Verein tätig zu sein in unterschiedlichster Form, da würde ich ja lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht meine Heimat ist!
Und wenn man auf Berlin oder darüber hinaus blickt: Welche Bedeutung hat Union da?
Der Osten hat sich jahrelang über Hansa Rostock definiert. Das war halt der Verein, der in der Ersten Liga war. Der hat stark polarisiert. Erst in den letzten Jahren ist Union auch eine Heimat für den gesamten Osten geworden. Wir sind nachgerückt, dazu noch Aue, Dresden und jetzt Magdeburg. Union hatte Stabilität in den letzten Jahren. Fußball ist einfach die populärste Sportart in Deutschland. Union ist auch über Berlin und Brandenburg hinaus sehr, sehr wichtig für den Osten. Es würden sich auch überregional sehr viele Leute freuen für den Verein, wenn er aufsteigen würde in die Erste Liga. Und natürlich hast du den Kontrast von Hertha BSC und Union in der Stadt. Ohne die Polarisierung hat der blaue Verein nicht so viel Zugkraft, denn du brauchst auch einen Gegenpol. Davon lebt auch die Stadt in gewisser Weise. Am Wochenende verfolgen viele Menschen die Ergebnisse von Rot oder Blau.
... womit wir bei den Fans und der Union-Fankultur wären ...
Die ist schon einzigartig! Das selbst gebaute Stadion kennt jeder, viel kopiert wurde auch das Weihnachtssingen. Das ist ja entstanden aus einer eigenständigen Fankultur. Es ist schon was Besonderes, das auch dem gegnerischen Verein immer eine gewisse Gänsehaut gibt. Es ist zum Beispiel auch das einzige Stadion mit einem so hohen Stehplatzanteil. Es ist etwas Besonderes an der Alten Försterei zu spielen, das kann keiner leugnen.
Und anderswo? Konnten Sie als Profi auch in Westvereinen Wurzeln schlagen?
Eigentlich nie. Weder in München, noch in Bielefeld. In München war es ja nur ein Jahr, in Bielefeld waren es vier, aber es war immer anders als zu Hause. Aber auch auf der ersten Station auf der Autobahn nach Rostock raus habe ich mich immer gefragt, was machst du da?
Auf den 100 Kilometern von Wittstock nach Rostock gab es ja nicht mal eine Tankstelle. Die drei Jahre in Rostock waren sportlich gesehen die schönsten meines Lebens. Sowohl mannschaftlich als auch sportlich erfolgreich. Es war einfach eine wunderschöne Zeit. Aber zu meiner Zeit war es einfach so: Du wurdest im Osten anders wahrgenommen als im Westen. Als ich zu 1860 München gekommen bin, das war immerhin 1997, da war die Mauer schon ein paar Jahre weg. Der erste Spruch, der dort kam: „Ach guck mal, da kommt noch so ein Ossi." Es gibt immer noch Osten und Westen in den Köpfen, da braucht mir keiner was anderes zu erzählen.
Und Berlin – ist das inzwischen eine einheitliche Stadt?
Nein. Kann es ja nicht sein. Solange es getrennte Berechnungen gibt für Renten, für Arbeitslosengeld und sonstige Dinge, bleibt das auch erlebbar. Nach wie vor gibt es die Begriffe „alte Bundesländer" und „neue Bundesländer". Wie soll da eine Einheitlichkeit entstehen? Und in Berlin ist der Kontrast ja am größten. Nach der Wende war das ja extrem. Manche haben im Westen das Doppelte verdient von dem, was jemand im Osten verdient hat. Wenn du damit groß wirst, da kannst du nicht davon reden, dass es eine einheitliche Stadt ist.
Also gibt es wirklich noch Ost- und Westberlin?
Ich bleib’ dabei: Es gibt gewisse Dinge im Leben, die haften bleiben. Man hat ja auch einen gewissen Stolz und es ist ja im Osten nicht alles schlecht gewesen. Ich will keine Ost-West-Diskussion, aber die Stadt hat einfach in gewisser Weise, nicht nur sportlich, sondern auch politisch unterschiedliche Standbeine. Es wird immer einen gewissen Unterschied geben. In zukünftigen Generationen werden die Dinge einfach miteinander verwachsen. Aber solange die Lebensgrundlagen so unterschiedlich bleiben, warum soll der, der damit aufgewachsen ist, nicht deutlich sagen, dass es Unterschiede gibt?
Was mögen Sie selbst denn an Berlin besonders?
Viele Leute, die mich besuchen, sind immer überrascht, wie grün die Stadt ist. Wie viele Seen und Gewässer rundum sind. Leider schätzt man die Dinge manchmal nicht so wert, wenn man jeden Tag davon profitiert. Du fährst in Berlin eine halbe Stunde nach rechts, eine halbe Stunde nach links, dann kannst du baden gehen und hast ein riesiges Freizeitangebot. Das hat schon ein gewisses Hauptstadtflair. Wir sind vielleicht nicht auf dem Niveau von London, aber du kannst jeden Tag kulturelle Dinge erleben oder einfach chillen. Wir erleben es ja gerade in Form von einer Spirale bei den Mieten, dass auch viele Leute aus dem Ausland in die Stadt kommen. Die Stadt wurde jahrelang in der Wertigkeit unterschätzt. Es ist halt die Hauptstadt. Da gibt es ja keine andere Stadt in der Größe in Deutschland, die dem Rechnung trägt. Manchmal ist es mir zu viel Verkehr – und wir haben leider den BER, der ist schon eine peinliche Lachnummer …
Gibt es eine zweite Heimat für Sie?
Für mich ist als Stadt Augsburg im Kopf geblieben. Das Leben dort hat einfach Spaß gemacht. Eine Kleinstadt, komplett anders als Berlin. Ich habe mich da wohlgefühlt als Spieler. Da war ich halt anonym, es war der komplette Gegensatz. Ich hatte ja in Berlin eine gewisse Popularität. Augsburg war eine Stadt wo ich gesagt hätte, da hätte ich gut zurechtkommen können.
Und gibt es einen Wunsch für Berlin?
Ich glaube schon, dass ein Derby allen Seiten guttut: Viele Leute vermissen dieses Derby Blau (Hertha) gegen Rot (Union). Wenn man sich erinnert an die Derbys in der Zweiten Liga, diese Rivalität auf sportlichem Niveau würde der Stadt guttun. So, wie es zum Beispiel in London der Fall ist: Da fiebert man Wochen vorher schon darauf hin.