In der Diskussion um Organspende spielen Parteigrenzen plötzlich keine Rolle. Jenseits politischer Farbenlehren haben Frauen aus Union, SPD, Linken, Grünen und FDP einen eigenen Lösungsvorschlag vorgelegt – mit Chance auf Zustimmung.
Die Geschichte der ungewöhnlichen Allianz beginnt in der Kantine des Bundestags. Etwas ermattet macht sich Linke-Parteichefin Katja Kipping kurz vor halb eins auf den Weg zu einem Mittagsimbiss. Gerade wurde das neue Organspende-Gesetz im Plenum durchgebracht. Alle Fraktionen außer der AfD haben Mitte Februar zugestimmt. Allerdings fehlt in dem Gesetz noch die von Bundesgesundheitsminister Spahn favorisierte doppelte Widerspruchslösung. Kipping ist gegen diese Widerspruchlösung, wonach automatisch jeder Bundesbürger erst mal ein Organspender ist.
Durch Zufall kommt die Parteichefin der Linken beim Anstehen fürs Mittagessen mit der gesundheitspolitischen Sprecherin der CDU, Karin Maag, ins Gespräch. Auch Maag ist wenig überzeug von der doppelten Widerspruchslösung ihres Parteifreundes und Gesundheitsministers. Beide Frauen verabreden sich, ihre gemeinsame Kritik mal im Auge zu behalten. Vier Wochen später bei der ersten Beratung zur Widerspruchslösung wird klar, die beiden Frauen sind nicht allein. Auch die FPD-Gesundheitsexpertin Aschenberg-Dugnus kann mit dem Spahn-Vorschlag nichts anfangen. Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen würde restlos missachtet, argumentiert die Liberale vor dem hohen Haus. Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die Gesundheitsexpertin der SPD, Hilde Mattheis, stimmen dem uneingeschränkt zu. Mit dieser Gemeinsamkeit reift der Plan, ein eigenes Gesetz auf den Weg zu bringen.
Fraktionszwang aufgehoben
Fünf Frauen aus fünf zum Teil grundverschiedenen Parteien – und eine gemeinsame politische Initiative. Das funktioniert in diesem Fall nur, da der Fraktionszwang beim Thema Organspende aufgehoben wurde. Ähnlich wie erst kürzlich bei den Beratungen zur Früherkennung von Behinderungen des Fötus im Mutterleib.
Die Neuordnung der Werbung für Organspender ist notwendig, da ihre Zahl seit Jahren rückläufig ist. Der Tiefpunkt wurde 2017 erreicht. Gerade mal 790 Organspender kamen da noch aus Deutschland, bei einigen Millionen potenzieller Spender.
Seit 2012 sorgten immer wieder die Vergabepraktiken von Spenderorganen für Schlagzeilen. Gefälschte Krankenakten und Schmiergelder, kaum ein Transplantationszentrum geriet nicht unter Verdacht. Ob Leipzig, Göttingen oder München, überall krachten die Zahlen der Organspender in den Keller. Als die derzeitige Bundesregierung vor gut einem Jahr ihren Dienst antrat, stand die Problematik „Spenderorgane" mit ganz oben auf der Agenda.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht mit seinem Ansatz einen völlig neuen Weg. Jeder ist erst einmal Organspender. Dies bedeute „aber keine Organabgabepflicht", da man das auch ablehnen könne, so Spahn. Alle Bundesbürger sollen mit 16 Jahren drei Mal angeschrieben und darüber informiert werden, dass man sie als potenzielle Organspender führe. Kommt kein Widerspruch, gilt dies als Zustimmung. Eine weitere Widerspruchsmöglichkeit haben dann die Angehörigen nach dem Ableben. Daher der Name „doppelte Widerspruchslösung".
Dagegen steht nun die Registerlösung der fünf Frauen aus den fünf Parteien. Danach sollen die Bundesbürger von den verschiedenen Behörden im Laufe des Lebens mehrfach auf die Möglichkeit der Organspende angesprochen werden. Zum ersten Mal beispielsweise beim Beantragen des Ausweises in der Meldestelle oder im Bürgerbüro. Dort soll dann auch gleich Online die Möglichkeit bestehen, sich zu registrieren. Der Organspenderausweis hätte ausgedient. Die Bereitschaft zur Organspende soll digital unter anderem auch auf der Versichertenkarte vermerkt werden. Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, hat nur noch die Sorge, ob das dann auch noch mit der elektronischen Gesundheitskarte bis dahin flächendeckend klappt. CDU-Frau Karin Maag macht sich um die Mehrheiten für ihren parteiübergreifenden Gesetzentwurf keine Sorgen und hat auch kein Problem damit, jetzt gegen ihren eigenen Parteifreund Jens Spahn aufzutreten. „Hier geht es um eine ethische Frage, nicht um Parteipolitik, jeder muss da seinem Gewissen folgen", so Karin Maag. (siehe Interview). Über die beiden Gesetzesentwürfe zur Organspende soll voraussichtlich im Herbst abgestimmt werden, das Gesetz würde dann aber erst zum 1. Januar 2021 in Kraft treten.